Die Bellsche Zahl als Schlüssel zur Kommunikation und zur Frage: „Was ist eigentlich eine Party?“

Heute geht’s um die Bellsche Zahl, und das kam so. Vor ner Woche war ich ja mit zwei Freunden bei Rolf und Britta. Er ist Maler, sie ist Bildhauerin, es war ein toller Besuch. Das Künstlerpaar, die beiden Freunde, ich – wir waren fünf Leute. Jörg hat auf Facebook gefragt, ob genau das, also die Anwesenheit von Freunden, etwas zum Erlebnis von Kunst beigetragen hat. Das ist eine sehr gute Frage, über die ich in einem etwas anderen Zusammenhang schon mal länger nachgedacht habe.

Und das kam so.

In Amerika meinte mal wer zu mir, dass man demnächst eine „dinner party“ veranstalten sollte. Vor meinem inneren Auge sah ich eine Art Orgie. Tatsächlich wurden dann aber nur zwei Leute zum Abendbrot einladen. Zwei Leute? Im Ernst? Aus diesem Missverständnis entstand eine Diskussion um den Begriff „Party“. Wie viele Leute braucht man eigentlich dafür – und wenn ja: warum?

Und dann hatte ich folgende Idee: Wenn zwei Leute beieinander sind, gibt es ja genau zwei Möglichkeiten, wie sich die Kommunikation gestalten kann. Sie reden miteinander … 

… oder sie reden nicht miteinander.

Hm. Wie sieht die Sache aus, wenn drei Leute beieinander sind? Mal überlegen.

Also: Sie reden alle drei miteinander … 

… oder nur #1 und #2 reden miteinander, während #3 seine Emails checkt … 

… und dasselbe Spiel noch einmal, wenn #1 irgendwas auf WhatsApp raushauen muss … 

… oder #2 einen Anruf von seiner Tochter bekommt …

… und dann, ganz zum Schluss, stehen natürlich alle drei da und tippen irgendwas in ihr Handy.

Das heißt: Bei zwei Gästen gibt es genau zwei Möglichkeiten, wie Kommunikation sich aufteilen kann. Bei drei Leuten sind es schon fünf Möglichkeiten. Interessant.

Wie sieht die Sache aus, wenn vier Leute beieinander sind? Keine Angst: Ich kürze die Sache diesmal ab.

Manchmal reden alle miteinander … 

… manchmal redet jeder nur mit sich selbst oder seinem iPhone … 

… und dann gibt es vier Kombinationen, in denen drei Leute miteinander reden, während einer nur für sich ist (Handy, Klo, Selbstgespräch) – ich zeige nur ein Bild dafür, um die Sache abzukürzen. 

Durchhalten jetzt! Wir haben noch drei verschiedene Kombinationen, bei denen es zwei Zweiergruppen gibt. Klingt komisch, ist aber so: 1&2 und 3&4; 1&3 und 2&4; 1&4 und 2&3. Ich zeige wieder nur ein Foto, um die Sache zu symbolisieren.

So. Und dann fehlen noch sechs verschiedene Möglichkeiten, in denen sich jeweils zwei Leute unterhalten und die beiden anderen nur was für sich machen. Klingt auch komisch, stimmt trotzdem. Ich spare mir die Notation der Kombis, Ihr könnt’s selber ausprobieren, wenn Ihr wollt. Hier ein Bild, um die Sache symbolisch zu zeigen:

Bei vier Leuten gibt es also genau 15 Kombinationen.

Nochmal zum Mitschreiben. Zwei Leute – zwei Kombinationen. Drei Leute – fünf Kombinationen. Vier Leute – fuffzehn Kombinationen.

Wow, das sind ja Wachstumskurven fast wie bei Corona!

Bei unserem Besuch bei Ralf und Britta waren wir fünf Leute. Keine Angst: ich zeige keine Fotos mehr. Hab’s aber trotzdem ausgerechnet: Wir hatten genau 52 verschiedene Kommunikationsmöglichkeiten. Davon haben wir natürlich nicht alle genutzt. Aber einige. Ich hab mich zum Beispiel mal allein umgesehen und mich dann zu Britta und ihrem „Dreh dich um“-Kuchen begeben. Zum einen, weil ich neugierig war, aber auch ein bisschen, damit die anderen mehr Zeit miteinander haben, ohne dass ich störe.

Ich glaube: Diese gelegentliche Rekombinationen haben die Sache sehr bereichert und den Besuch zu einem noch besseren und tieferen Erlebnis gemacht.

Damals in den Staaten hab ich jedenfalls viel freie Zeit damit zugebracht, noch mehr Zahlen auszurechnen. Ganz stumpf mit Listen per Kugelschreibe und Papier.

Also:

Sechs Leute – 203 Kombinationen.

Sieben Leute – 877 Kombinationen.

Acht Leute – 4140 Kombinationen.

Genau an dem Punkt habe ich dann aufgehört. Es ist einfach zu viel Papier dabei draufgegangen. Ich hab dann die Zahlen gegoogelt. 2, 5, 15, 52, 203, 877, 4140. Und siehe da – es gab tatsächlich einen Treffer. Ich hatte die ganze Zeit etwas ausgerechnet, das man in der Mathematik schon sehr lange kennt, nämlich die so genannte „Bellsche Zahl“. Verdammt! Alles gibt’s schon, alles ist schon da. Aber egal! Jetzt hab ich zumindest einen Begriff für meine Gedanken und kann Leuten davon erzählen. Besser als nix.

Hab anschließend verkündet, dass eine Zusammenkunft in meinen Augen erst ab sieben Leuten eine „Party“ genannt werden kann. So wird die Bellsche Zahl zum Schlüssel zur Kommunikation: Unter 877 möglichen Kommunikations-Kombinationen springt der Funke einfach nicht über.

Einen hab ich noch: Wenn 11 Freunde zusammen in den Fußball-Urlaub fahren, dann stehen sie vor 678.570 Arten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Man kann es sich nicht vorstellen, aber man kann es fühlen. Bei so vielen Leuten ist einfach sehr viel Leben in der Bude. Dauernd passiert was Neues, nur selten wiederholt sich eine Kombination. Deshalb sind große Gruppen so toll und so aufregend und so abwechslungsreich. Und die Erkenntnis des Tages für mich lautet: All das ist kein Wunder, sondern einfach eine Frage der Mathematik. Spannend, oder?

2 Kommentare
  1. Britta Wiesenthal
    Britta Wiesenthal sagte:

    Kaum zu glauben?
    Die Qualität des Gesprächs bildet die Bellsche Zahl aber nicht ab – oder? Bei 2 Personen könnte ich mir durchaus mehr als on off vorstellen.
    1:1
    1:0
    0:1
    1:-1
    -1:1
    Was das wohl für die weiteren Zahlen für Auswirkungen hätte…

    Antworten

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  1. […] Jochen über die Bellsche Zahl und Partys. […]

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