
Einige Leute in Deutschland scheinen sich derzeit sehr über die Regierung und die „Experten“ zu ärgern und darüber wundere ich mich.
Ich gucke mir hier in Michigan täglich die lokalen Meldungen an – vor allem MLive.com, die Detroit News und die Updates des Staates Michigan. Manchmal poste ich etwas darüber, weil mir die Leute von zu Hause sagen, dass sie das gerne lesen. Natürlich schau ich auch mal bei CNN vorbei, bei der New York Times, ich höre sehr gerne NPR und sehe so ziemlich jeden Tag die TV-Nachrichten mit Lester Holt.
Aber natürlich lese ich in Arbeitspausen auch das, was in Deutschland so geschrieben wird. Nicht so intensiv, wie ich das zu Hause in Hamburg tue, aber immerhin. Manchmal schicken mir Leute was zu, manchmal sehe ich, worüber Freunde sich so auf Facebook oder Twitter unterhalten.
Und seit ein paar Tagen gibt’s da ein paar Sachen, die ich nicht mehr verstehe.
Ich halte mich ja gerade in einem Land auf, dessen Regierung von einem … äh … moralisch eher zweifelhaften Menschen geführt wird, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Das weiß jeder. Aber tatsächlich vor Ort zu sein und zu merken: Von diesem Typen hängt gerade meine Sicherheit ab – das ist dann doch mal ne andere Nummer. Mir wird hier manchmal Angst und Bange. Man wünscht sich da oben irgendeinen Erwachsenen.
Andererseits klopfen mir die Leute hier andauernd auf die Schultern (derzeit nur metaphorisch). Weil: Mutti. Die sind so was von neidisch. Als Merkel neulich den R-Wert erklärt hat, lief hier rauf und runter. Die New York Times hat Merkel und Deutschland als „Vorbild“ für die westliche Welt abgefeiert.
Und dann: Die ganze Testerei. Es war schon früh zu sehen, dass in Deutschland viel mehr und viel schneller getestet wurde als anderswo. Und natürlich viel, viel mehr als in den USA. Als es hier in Michigan den ersten bestätigten Corona-Fall gab, da verfügte der Staat über ganze 300 Testkits. Also so gut wie gar keine. Und das zu einem Zeitpunkt, als das Virus schon praktisch überall im Land rumging und alle davon wussten. Das lief in Deutschland schon mal deutlich besser, da gibt’s keine zwei Meinungen.
In Detroit haben sie Anfang April die Corona-Leichen im Schlaflabor gestapelt, weil sie keinen anderen Platz mehr hatten. Ist in Deutschland alles nicht passiert. Und das war kein Zufall, sondern eine Folge politischer Entscheidungen, von denen einige aus meiner Warte ziemlich richtig waren.
Jetzt aber krieg ich hier vermehrt Sachen zu lesen, bei denen irgendwer versucht, den Virologen, vor allem dem RKI, zu erklären, was deren Daten EIGENTLICH bedeuten. Im Grunde beschwert man sich darüber, dass nicht genügend Leute krank geworden und gestorben sind. Dazu fällt mir nicht mehr viel ein.
Im Übrigen erinnert es mich an eine Zeit, in der ich regelmäßig den Fortschritten auf einer Baustelle beiwohnen durfte. Der Maurer hat über den Klempner gelästert, der Klempner über den Elektriker, der Elektriker über den Maurer. Jeder hatte das Gefühl: Wer nicht aus meinem Gewerk stammt, ist ein Versager. Aber jetzt mal ehrlich: Beim nächsten mal, wenn’s was zu mauern gibt, wen werd‘ ich da wohl anrufen? Natürlich den Maurer, wen den sonst? Und nicht den Klempner. Und zwar erst recht, wenn der Klempner überall rumerzählt, dass außer ihm alle anderen Klempner (und auch die Klempner vor ihnen) so gar keine Checke vom Klempnern haben und hatten. So was verheißt nämlich nichts Gutes.
Und dann meine beiden Kollegen, die sagen, dass sie dagegen sind „die Dinge den Experten zu überlassen“. Der Spruch kommt mir irgendwie bekannt vor. Nämlich von hier (siehe Video). Hab’s mir gerade nochmal angehört. Gruselig, wie sich die Argumente gleichen. Damals waren die Expertenfeinde für den Brexit. Und genau wie jetzt bei Corona weiß man natürlich auch da noch nicht so genau, wie die Sache ausgeht. Ich hab bei beidem aber so meine Vermutungen.
Ich finde es wichtig, dass wir diskutieren. Alle sollen ihre Meinung sagen. Bitte.
Aber manchmal denke ich, so ganz aus der Ferne betrachtet: Leute, Ihr habt keine Ahnung, wie gut es Euch geht.
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