bookmark_borderTaiwan und Corona: „Null Infizierte“

Taiwan hat am heutigen Dienstag – zum ersten Mal seit 36 Tagen – keinen einzigen neuen Coronafall dazubekommen. „No new cases“, sagt der Gesundheitsminister.

Wie haben die das bloß geschafft?

Ich habe per Zoom gerade den Vortrag von Prof. Su-Ling Yeh gehört, einer Psychologin aus Taiwan, die Nicki und ich in Stanford kennengelernt haben. Su-Ling sagt: In Taiwan sind die Schulen und Geschäfte geöffnet. Die Leute gehen in Kneipen und Restaurants. Es wird auch nicht flächendeckend auf Covid-19 getestet.

Klingt super, oder?

In Su-Lings Vortrag ging’s vor allem um die soziale und technische Seite der Sache, also um die nicht-medizinischen Maßnahmen. Warum schreibe ich hier darüber? Weil in den USA und der EU gerade alle über die neue Corona-App diskutieren, die Rolle von Google und Apple und so weiter. Ich glaube, wir sollten uns Taiwan ansehen, um zu entscheiden, welchen Weg wir gehen wollen. Ich würde gerne Eure Meinungen dazu hören (per Facebook, Mail, WhatsApp oder hier als Kommentar). Erstmal die Fakten.

Wie läuft die Sache in Taiwan?

  1. Taiwan ist eine Insel. Man kann nahezu perfekt kontrollieren, wer ins Land kommt. Wer aus dem Flieger steigt, füllt einen Fragebogen aus (in dem man z.B. angibt, welche Länder man zuletzt besucht hat).
  2. Bei allen Einreisenden wird automatisch die Körpertemperatur gescannt (solche Scans gibt’s auch für den öffentlichen Nahverkehr).
  3. Die Daten über die Auslandsreisen werden für 30 Tage auf der Krankenkarte gespeichert. Dies dient Ärzten als eine Art Vorwarnung: Vielleicht hat man es mit einem symptomfreien Corona-Infizierten zu tun. Die allermeisten Infizierten in Taiwan haben das Virus aus dem Ausland mitgebracht.
  4. In Deutschland verwenden sehr viele Nutzer WhatsApp. Eine ähnliche Rolle spielt in Taiwan eine App namens „Line„. Die hat da fast jeder. Per Bot bekommt man darüber nach der Einreise Corona-Tipps aufs Handy gespielt – gleichzeitig beantwortet man über diese App (regelmäßig) Fragen zum eigenen Gesundheitszustand. Der Bot funktioniert wie ein maschineller Arzthelfer, der einen nach Husten, Fieber und ähnlichen Symptomen befragt.
  5. Ach so: Wer kein Handy hat, kriegt eins vom Staat gestellt. Es herrscht also eine Art Handypflicht für Neuankömmlinge.
  6. Wer einreist, muss sich für zwei Wochen in Quarantäne begeben. Nichts Neues für uns, oder? Aber. Die Sache läuft in Taiwan nicht über Ehrenwort und guten Glauben. Sie wird überwacht. Und zwar …
  7. … über einen intelligenten, digitalen Elektrozaun. Das könnte man ziemlich präzise per GPS lösen (was anfangs wohl auch der Fall war). Inzwischen ortet man per Handy lediglich den nächsten Funkmast. Man überwacht bei den frisch im Land Angekommenen, ob sie innerhalb derselben Funkzelle bleiben. Das ist der Kompromiss, um den Leuten noch ein bisschen Privatsphäre zu lassen, sozusagen der Unterschied zwischen Elektrozaun und elektronischer Fußfessel.
  8. Um die Sache hinzukriegen, kooperiert der Staat mit den fünf größten Telekommunikationsanbietern des Landes. Das System checkt alle zehn Minuten, wo sich das Handy der betreffenden Person befindet.
  9. Wenn sich jemand zwei Mal hintereinander nicht in der richtigen Funkzelle befindet, geht automatisch eine „Warnmeldung“ an die jeweilige Person, die Gesundheitsbehörden und die Polizei.
  10. Die Behörden werden auch alarmiert, wenn jemand sein Handy ausstellt.
  11. Mehrmals täglich wird man überdies von den Behörden angeklingelt. Wenn man nicht reagiert, gehen die Behörden davon aus, dass man sein Handy nicht bei sich trägt. Dann kommt jemand vorbei (Polizei).
  12. Bei Nicht-Kooperation ist ein Ticket fällig. Die Tagespresse berichtet von einem Mann, den man zu einer Strafe von mehr als 30.000 Dollar verdonnert hat.
  13. Bars und Restaurant werden von der Polizei per Cloud-Datenbank darauf überwacht, ob sich jemand im Laden aufhält, der unter Quarantäne steht.
  14. Die Daten über die Auslandsreisen werden nach 14 Tagen automatisch gelöscht.
  15. Der virtuelle Elektrozaun gilt nur für Leute in Quarantäne.
  16. Manchmal entstehen auch in Taiwan neue Hotspots. Das war etwa der Fall, als Passagiere der „Diamond Princess“ hier auf Landgang waren. Alle Bewohner der entsprechenden Gebiete haben sofort eine Alarm-Meldung auf ihr Handy bekommen.

Das sind so im Groben die Sachen, die ich aus dem Vortrag mitgenommen habe.

Was davon würde man sich für Deutschland wünschen? Was würde zu weit gehen?

Wollen wir mehr Privatsphäre oder lieber mehr Sicherheit? Es wird dabei nicht nur um persönliche Entscheidungen gehen, sondern stets auch um kollektive Verantwortung. Nach dem Motto: Wer nicht mitmacht, gefährdet die anderen, also ähnlich wie bei Impfungen. Bin gespannt, wie das alles weitergeht.

bookmark_border„Dein Aufenthaltsort wurde 5398-mal abgerufen“

Ein Gespräch mit dem aus Deutschland stammenden Privacy-Forscher Prof. Florian Schaub von der University of Michigan über die Zugriffe, die wir anderen mit unserem Smartphone erlauben. Man wird beim Lesen ein bisschen paranoid. Vermutlich mit Recht.
Das Interview gehörte im Erscheinungsmonat zu den meistgeklickten Geschichten auf Blendle.
(P.M. Magazin, 1/2018)