bookmark_borderCorona im Schoschonenland

„Nix los auf der Dumbarton Bridge“, beklagt sich Piglet beim Queren der Bay. Es ist ein schöner Morgen. Wir wollen zurück nach Michigan, wo Nickis Familie wohnt. Doch Coco, die Schäferhündin, ist zu groß fürs Flugzeug. Also bleibt nur der Planwagen. Alles wie früher, nur halt in die andere Richtung. Vor uns liegen knapp 4000 Kilometer – von Menlo Park bis Ann Arbor, das ist wie Berlin nach Moskau und wieder zurück.

Tschüss, Bay!

In der Sierra Nevada liegt noch Schnee. Sehr schön ist es da. Manchmal vergesse ich die Pandemie. Aber nur bis zur ersten Rast. Interessant, wie die Leute alle den Griff an die Klotürklinke meiden. Alle grüßen und halten Abstand, keiner guckt doof, wenn jemand die Desinfektionssprühpistole rausholt. Ein Schild warnt vor Klapperschlangen. Coco reist bei all dem mit der Gelassenheit einer Königin.

„Eigentlich gehört das hier alles mir.“ Ach. Hundegedanken!

Man muss ein paar Worte über Nevada verlieren. Das ist der Staat, in dem Las Vegas liegt. Die haben anfangs ihre Kohle mit dem Zugverkehr zur Küste verdient. Aber dann war der Goldrausch plötzlich vorbei und von irgendwas muss man schließlich leben. Also: Glücksspiel. An der Tanke stehen am Fenster fünf super moderne Daddelautomaten (über das ausgefuchste Design dahinter hab ich mal ne große Geschichte für Psychologie Heute geschrieben; super spannend. Egal). Der Mann vor uns fragt, ob er zocken darf. Die Frau an der Kasse schüttelt den Kopf. „Die Maschinen sind alles aus.“ Wegen der Ansteckungsgefahr. Rona zieht sogar den Casinos den Stecker. Piglet wird derweilen müde und verlangt nach Koffein.

Doping für Piglet

Die Wolken sind unglaublich. Ich kenn mich damit nicht aus, bin mir aber sicher, dass verschiedene Landschaften verschiedene Wolken machen. Nevada hat sehr schöne Wolken. So viel steht fest.

Kaum Autos auf der Interstate 80

Wir haben uns natürlich gefragt, ob wir das alles überhaupt dürfen. Einfach so durch die Pandemie zu fahren. Wir haben die Verlautbarungen des Gouverneurs von Kalifornien gegoogelt. Die FAQs der verschiedenen Counties. Die haben da alles Mögliche beschrieben. Unseren Fall bespricht keiner, obwohl allen klar ist, dass es natürlich Leute gibt, die nach Hause fahren. So macht man das hier. Don’t ask, don’t tell. Man will’s (noch) keinem verbieten, aber auch niemanden ermutigen, indem man’s erlaubt. Nicki checkt social media während der Fahrt. Viele Gerüchte. Nicht wenige rechnen mit einem „travel ban“ zum Ende der Woche. Gut, dass wir unterwegs sind.

Nicki lächelt, Coco lächelt. Nur der Fahrer hat drei Probleme. 1) Kriegt nix mit vom Fototermin. 2) Fasst sich nicht ins Gesicht. Ergo: Krümel am Mund! 3) Hat sich gestern die Haare selbst geschnitten. Nicki murmelt was von „self presentation“

Wir lassen es locker angehen. Endstation in einer Stadt namens Elko. Die Schoschonen, so sagt Wikipedia, haben diesen Ort „Natakkoa“ genannt. Das bedeutet: „Rocks Piled on One Another“. Tut nichts zur Sache, ist aber zu gut, um es für sich zu behalten.

Im Dialekt meiner badischen Heimat würde dieser Ort „an Haufa uffananagschdabelde Schdoaina“ heißen. Klingt fast Schoschonisch

In der Stadt inklusive Umgebung gab es bislang zwei bestätigte Coronafälle. Trotzdem, so sagt die Hotelmanagerin, kriegt man im Supermarkt auch hier die üblichen Sachen nicht. Klopapier, Nudeln, Reis, Mehl. Man könnte ein Lied darüber machen. Der Refrain ist überall derselbe. Fast alle Läden sind dicht. In den Restaurants alles dunkel. Die Managerin sagt, dass sie vergangene Woche fast die gesamte Belegschaft hat entlassen müssen. Nicki unterschreibt mit ihrem eigenen Stift. „Gute Idee“, sagt die Managerin. Wir gehen in den Raum, desinfizieren die Türgriffe, die Oberflächen und werden in mitgebrachten Schlafsäcken pennen. Und ich hab keine Ahnung, ob wir total leichtsinnig sind (weil wir uns womöglich in die Viren legen) oder total einen an der Waffel haben (weil wir so ein Buhei veranstalten). Andererseits. Vielleicht weiß das im Moment keiner so richtig.

bookmark_borderCoco, die Natur und das Bildungssystem

Coco, the dog

Coco ist Nickis Schäferhündin und sie hat sich beschwert. 

Wir haben am Samstag eine Wanderung durch ein nahes Naturschutzgebiet unternommen, das Palo Alto Baylands Nature Preserve

Das ist eine große, von Gräben, Kanälen und Teichen durchzogene Feuchtfläche unten an der San Francisco Bay, eine verblüffend heile Gegenwelt zur nahen Hightech-Industrie – die Firmenzentrale von Google liegt gleich in der Nachbarschaft. 

Da! Unter dem Pfeil bauen sie gerade das neue Googleplex

Coco träumt manchmal davon, dort im Park von der Leine zu gehen und ihren Erzfeinden, den Kanadagänsen, ein nachmittägliches Workout zu verpassen.

„Gänse, wir kriegen Euch“, denkt Coco

Leider haben die Ranger an allen Zugängen lustige Schilder aufgestellt. Sie besagen: Cocos Jagden wären teure Freuden. Jetzt ist die Gute beleidigt und eine erklärte Gegnerin des westlichen Bildungssystems: Könnten ihre Menschen nicht lesen, wäre ihr Leben erheblich besser. Tja. So was nennt man in Amerika „unintended consequences“ – der Fluch einer jeden Neuerung. 

Mal sehen. Den Pfad verlassen: 250$; Hund von der Leine: nochmal 250$; Tiere stören: 500$; den Hund auf Tiere loslassen: nochmal zweihunderfuffzich. Macht: nen runden Tausender. Mein Urteil: zu teuer! Cocos Urteil: doof!

Trotzdem war das ein ganz erstaunlicher Ausflug. Über uns fliegen die Flugzeuge von drei nahen Flughäfen: Von San Francisco im Norden, San Jose im Süden – und dann sind da noch die vielen Sportflugzeuge, die an den Wochenenden rund um den kleinen Flugplatz von Palo Alto ihre Trainingsflüge absolvieren (Uff! Sieben Mal eine Form von „Flug“ oder „fliegen“ in einem Absatz; war nicht leicht. Ging aber trotzdem!).

Von der Sorte haben wir heute locker ein Dutzend über uns rüberfliegen sehen. Naja. Die meisten waren noch ein bisschen kleiner

Auch die ersten Schwalben haben sich eingefunden. Und zwar viele davon. Die Jahreszeiten sind hier in der Bay Area ohnehin eine merkwürdige Angelegenheit. Im November haben sich manche Bäume herbstlich bunt gefärbt (ganz so, wie man das als Europäer erwartet). Gleichzeitig kam aber auch der Regen nach langer Dürre. Die braunen, verbrannten Hügel haben sich innerhalb weniger Tage in ein sattes Frühlingsgrün gefärbt. Gefühlt hatten wir also Herbst und Frühling zugleich. Auch die entsprechenden Düfte haben sich vermischt. Psychologen nennen so etwas eine kognitive Dissonanz: Die Welt passt nicht recht zusammen. Was macht der Kopf? Er rückt sie so lange zurecht, bis wieder alles seine Ordnung hat! In meinem Fall hat der Kopf sein inneres Programm auf „Frühling“ gestellt. Der Zustand hält noch immer an. 

Seht Ihr die kleinen schwarzen Punkte? Nein. Es ist kein Schmutz. Das sind die Schwalben!

Das Naturschutzgebiet ist jedenfalls ein ganz seltsames Gelände. Es liegt halb im Tidegebiet der Bay (mit tüchtig unterschiedlichen Wasserständen zwischen Ebbe und Flut). Im Wasser schwimmen Enten und Rallen; Reiher stehen am Ufer. Manchmal sieht man Pelikane. Heute fliegt ein Truthahngeier durch die Luft. Zwei Kalifornische Ziesel huschen über die Wege. Ein Weißschwanzaar (White-tailed Kite) flattert über das Marschland. Ein ausgesprochen eleganter Vogel ist das. Ganz am Ende sehen wir noch einen Kalifornischen Eselhasen (Lepus californicus), dessen halber Körper aus Ohren zu bestehen scheint – und einen Kolibri, der links des Weges in den Büsche chillt.

Seht Ihr den Kolibri?

Vor ein paar Wochen haben wir hier – nach einem unfreiwilligen Irrweg durch die Binsen – Bill getroffen, einen Naturfreund und ehemaligen Vietnamkrieg-Gegner, den die lokale Presse als „the fox guy“ bezeichnet. Bill hat an der entlegenen Seite der Feuchtgebiete Kamerafallen aufgestellt, um das Schicksal eines Graufuchspaares zu dokumentieren, das die Binsen zu seinem Jagd- und Lebensraum gewählt hat. Hier hat die Kamera zum Beispiel die Begegnung eines der Füchse mit einer Katze dokumentiert. Coole Sache, schlauer Fuchs. Und wie man hören kann: Die Autobahn zwischen San Jose und San Francisco ist gleich um die Ecke. Verrückte Welt. 

Coco hat die Sache genossen. Aber ihre Klagen über unser Bildungssystem … die werd‘ ich mir jetzt noch über Wochen anhören müssen. Irgendwas is immer.

„Mir stinkt’s!“, sagt Coco