Metzger’s Michigan Monday #15

In den USA gibt es einen Satz, der die Menschen zu Zivilcourage ermuntert. „See something, say something.“ Das bedeutet: Wenn man in der Öffentlichkeit etwas sieht, das den geltenden Normen widerspricht, soll man etwas sagen, sei es durch beherztes Einschreiten oder durch einen Alarm bei der zuständigen Ordnungshut.
Da ich gerne Scherze mache, drehe ich derlei Sätze manchmal um, einfach um zu sehen, was dabei herauskommt: „Say something, see something.“ Das Bild oben ist ein Produkt von Dall-E, ich habe den Satz dort eingegeben und die KI gebeten, das Ding im Stile von Joan Miró zu malen. Cool, oder?
Jedenfalls kommen beim Sätze-Umdrehen manchmal Dinge raus, die einen länger verfolgen, als man mag. Dieser hier sitzt mir mächtig im Nacken.
Wir sagen was – und sehen es auf einmal überall.
Wir sehen dann plötzlich nix anderes mehr.
Wir sagen etwas – und glauben es auf einmal.
Wir glauben dann plötzlich nix anderes mehr.
So funktioniert der Mensch. Seit den 1960er Jahren gibt es dafür einen Begriff: Es handelt sich um einen Bestätigungsfehler, einen Confirmation Bias. Wir sehen dann nur noch, was das Gesagte bestätigt, wir übersehen, was es widerlegt. Ich vermute: Weil das einfach soooo viel Denkarbeit erspart. Der Thalamus filtert alles andere raus, wie ein Palastwächter, der die ungebetenen Gäste abwimmelt, oft auch mit Gewalt, ehe sie den Thronsaal des Bewusstseins betreten.
Selbst in der Wissenschaft droht der Bestätigungsfehler. Als Waffe dagegen lautet das Standardverfahren (eigentlich), dass man mit aller Kraft versuchen soll, die eigene These zu widerlegen. Jede Publikation, jede Studie, die eine These bestätigt, bedeutet (eigentlich): Man ist beim Widerlegungsversuch dermaßen gründlich gescheitert, dass man achselzuckend nicht anders kann, als die These anzunehmen (bis jemand kommt, dem das Widerlegen gelingt).
Nicki sagt gerade: „Ey, man könnte doch auch ’selektive Wahrnehmung‘ sagen. Für das Grundphänomen haben wir mindestens 20 verschiedene Begriffe.“ Stimmt natürlich.
Ich merke es jedenfalls im Alltag. Nicht an mir. Sondern natürlich zuerst bei meinen Mitmenschen. Die haben EINMAL was gesagt, EINMAL die Welt so und so gesehen – und schon ist alles verloren. Keine Erfahrung, keine Einsicht bringt sie wieder ab von der einmal gemachten Deutung. Völlig irre. Kennt jeder, glaub ich. Man verbeißt sich in diesen Knochen und lässt nie wieder los.
Der letzte Schritt: Ich merk’s auch an mir selbst. Aber das ist knifflig. Viel kniffliger. Weil es fürs Gehirn wahnsinnig teuer ist, wahnsinnig aufwendig. Man muss das ganze Bild neu malen. Das kriegt man selten hin.
Intellektuelle Einsichten gehören dazu. Allianzen. Freundschaften. Feindschaften. Ernährungsgewohnheiten. Schlafenszeiten. Scham. Vergebung, auch.
Vielleicht hab ich mir genau das vorgenommen: Einmal im Monat etwas sagen, ohne es hinterher zu sehen. Oder noch besser: Etwas zu sehen, obwohl ich vorher das Gegenteil gesagt habe.
Mal sehen, ob das klappt.