Musik, Medien, Melancholie

Ums gleich zu sagen: Der Winter in Michigan ist zäh. Mir schlägt das aufs Gemüt. Vielleicht ist es auch der Krieg in Europa. Oder die Anzahl der Covid-Fälle in Deutschland. Alle scheinen gerade krank oder krank gewesen zu sein. Irre. Mir fällt das Schreiben jedenfalls schwer in diesen Tagen, was natürlich doof ist, wenn man damit a) sein Geld verdient und b) auch noch freiberuflich arbeitet, die Einkünfte also sehr direkt abhängig vom eigenen Output sind. Und man will auch keinen im Regen stehen lassen. Aber nun. Niemand soll behaupten, ich würde jammern. Ich sag’s bloß.

Vergangene Woche hat mein Kumpel Scott mich angeschrieben. Ich soll am Samstag kurz vor fünf abholbereit sein und meine Gitarre einpacken. Ich so: Geht klar. Nicki so: Wohin geht’s? Ich so: keine Ahnung.

Und genau so war’s dann am Ende auch. Wir sind ungefähr ne Stunde später irgendwo in Ohio in der Mitte von nirgendwo an einer sehr einsamen und sehr geraden Landstraße links in ein sehr einsames Grundstück eingebogen. Es gab da keine richtigen Nachbarn, nur ein Haus und eine Scheune daneben. In der Scheune stand unten ein Pferd. Es bekommt dort sein Gnadenheu, wenn ich das richtig verstanden habe. Das Dachgeschoss der Scheune hat das Paar, denen die Scheune gehört, jedenfalls zu einer schmucken Räumlichkeit ausgebaut. Und genau da hat Kara ein paar Bilder aufgehängt und in stillen Auktionen zum Verkauf angeboten.

Kara ist eine Bekannte von Scott. Alle im Raum kannten Kara. Manche schon seit Jahrzehnten. Eigentlich kamen alle im Raum aus derselben Kreisstadt im Süden von Michigan. Und dann war da noch Scott. Und dann war da noch ich. Wir haben uns in einer Ecke auf Barhocker gesetzt und ein paar Bluegrass-Stücke gespielt. Scott spielt Banjo, wie ich ja vor Zeiten schon erwähnt habe.

Ja. Wir durften uns Getränke aus dem großen Kühlschrank holen. Aber alles in Maßen. Im Raum hingen zwei Fernseher. Im einen lief College-Basektball, im anderen ein Eishockeyspiel der dritten oder vierten Liga. Die Heimatstadt der Anwesenden spielte um eine Meisterschaft. Es war ne große Sache.

Ich hätte beinahe ein Bild gekauft, wurde aber kurz vor Schluss überboten. So ist das Leben.

Es war ein sehr schöner Abend.

Interessant waren auch die Gespräche. Sie waren anders als die Gespräche in Ann Arbor. Zum Beispiel Corona. Niemand hat über Corona gesprochen. Niemand hat eine Maske getragen. Man muss dazusagen, dass es hier im Moment so gut wie keine Fälle gibt.

Und dann die Ukraine. Niemand hat darüber gesprochen. Oder. Vielleicht hat schon jemand davon gesprochen, aber ich hab’s nicht gehört.

Die Leute haben etwas betrieben, was man im Englischen als „catching up“ bezeichnet: einander auf den neuesten Stand bringen. Ich hab mal ne Geschichte drüber geschrieben. Es gibt ein paar empirische Hinweise darauf, dass „catching up“ zu den drei wichtigsten Sprechakten gehört, um die Gelenke, Muskeln und Sehnen einer Freundschaft geschmeidig zu halten.

„Wie geht’s eigentlich Deiner Cousine?“
„Danke, sehr gut. Sie lebt jetzt mit ihrem Mann in New Mexico.“
„Jaja, toll. Ich bin ja mit ihr in die Grundschule gegangen.“
„Weiß ich doch, weiß ich doch.“
„New Mexico ist toll“.
„Ja, New Mexico ist toll. „
(zu mir) „Weißt Du, dass allein in Detroit mehr Leute leben als in ganz New Mexico?“
(ich): „Nö, wusste ich nicht. Heftig.“
„Jaja, kannste mal sehen. Schön ist es da in New Mexico. Aber miese Schulen. Niemand dort geht zur Schule.“

Wie gesagt: Es war ein sehr schöner Abend.

In der Überschrift hab ich versprochen, was über die Medien zu sagen, also muss ich das Ei jetzt auch legen. Die Medien also. Wie soll ich sagen? Ich meide seit einigen Tagen die amerikanischen Fernsehnachrichten. Etwas behagt mir nicht an ihnen. Nämlich: Dass es die Guten gibt und die Bösen. Und dass es sich so gut anfühlt. Hab ich schon mal gesagt. Aber es stimmt noch immer. Mein Kumpel Sören hat es auch gesagt, als wir am Wochenende telefoniert haben. Es ist ganz seltsam. Warum fühlt sich die Sache mit Gut und Böse so gut an? In der Psychologie gibt es die Faustregel, dass wir, sobald wir in eine Story die Kategorien Gut und Böse einbauen, – zack – mit einem Schlag 20 IQ-Punkte verlieren. Ich glaub nicht, dass es Studien dazu gibt, aber der Satz klingt einfach zu gut, um ihn für sich zu behalten. Jedenfalls: Die Nachrichten im Moment machen dumm.

Ich weiß: Irgendwie sind gerade alle im Krieg. Und im Krieg gelten andere Regeln. Trotzdem: Was ich hier sehe, ist keine Berichterstattung, sondern Propaganda. Und die Sendungen folgen allen Regeln, die jemals darüber geschrieben wurden. Hier: echt Menschen mit Namen und Schicksalen, die kein menschliches Herz kalt lassen. Dort: Maschinen. Flugzeuge. Panzer. Lastwagen. Kanonen.

Es ist alles wieder wie damals im kalten Krieg.

Klar, das ist nur eine Facette von vielen. Man könnte noch viele andere Dinge sagen. Information ist eine Waffe. Also schärfen wir die Äxte. Vielleicht dient alles einem guten Zweck.

Aber es gefällt mir nicht. Und ich schalte nicht mehr ein.

Obwohl ich weiß, dass das natürlich auch keine Lösung ist.

Hab ich gesagt, dass mir das Schreiben dieser Tage schwer fällt? Es ist schwer, weiter alles ernst zu nehmen, was die Leute so treiben in ihrem Leben.

Ansonsten: Ein Streifenhörnchen ist heute der Katze vor der Nase rumgetanzt und hat Glück gehabt, nicht gefressen zu werden.

Kommentare

  1. wäre gerne dabei gewesen, dort. und die berichterstattung bei uns ist zu schwarz/weiß im tv, das mit den guten und bösen scheint zu stimmen. ich mag diesen präsidenten nicht mehr in militärkleidung sehen, ich weiß auch so, dass krieg ist. ich kann keine information nachprüfen…
    hätte gerne eure musik gehört und pferd gestreichelt und gelacht. alles gute, roswitha

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