
In meinem Kalender steht, dass ich jetzt seit genau 74 Minuten in der Luft bin, um von der San Francisco Bay (o.) zurück nach Hamburg zu fliegen. Sommer in Deutschland. So war’s geplant. Tja. Der Flug wurde natürlich längst gestrichen. Und ich sitze in Michigan. Alles anders.
Warum sehe ich den Termin trotzdem noch? Weil’s Arbeit gemacht hätte, all die Sachen zu streichen, die wegen Corona ausgefallen sind. Mein Smartphone steckt voller Kalender-Zombies: Voller Einträge, die schon lange tot sind, aber trotzdem noch so tun, als wären sie am Leben.
Nicki behauptet, dass ihr solche Einträge helfen, ihr Gefühl für die Zeit nicht zu verlieren. Das alte Leben war voller Struktur. Man kann sich noch immer daran festhalten.
Am Anfang der Krise hab ich ein Interview mit Kate Sweeny für Psychologie Heute gemacht. Sie ist Psychologin an der UC Riverside und erforscht ein Phänomen namens „Warten unter Unsicherheit“, das sich zumindest teilweise auf ein paar psychische Vorgänge während der Pandemie anwenden lässt. Eine Sache, die dabei auffällt: Beim Warten dehnt sich überlicherweise die Zeit. Wer jammert, er habe „eine geschlagene Stunde“ beim Arzt gesessen, hat in Wahrheit selten mehr als 40 Minuten dort verbracht. Ich bin deshalb ziemlich überrascht, dass die Tage gerade schneller zu vergehen scheinen als sonst. Keine Ahnung, ob das nur mir so geht: Ich steh‘ am Morgen einigermaßen pünktlich auf, atme zwei, drei Mal durch und – zack! – geht schon wieder die Sonne unter. Die Uhren ticken derzeit schneller, keine Ahnung, woran das liegt.
Mein alter Freund Heiner – wir haben in Tübingen zusammen Philosophie studiert – hat mir kürzlich ne Geschichte dazu erzählt. An Weihnachten hat er seine Familie um sich versammelt und eine Rede gehalten. Die ging sinngemäß so: Wir haben jetzt über 50 Jahre lang nur Glück gehabt. Unverschämtes Glück. Und irgendwann, vielleicht erst in 20 Jahren, vielleicht aber auch schon morgen, wird das alles vorbei sein. Dann passiert irgendein Mist. Und wenn das so sein sollte, dann will ich kein Gejammer hören. Dann will ich, dass alle sich an diesen Abend erinnern und daran, dass wir die vielleicht längste Glückssträhne der Geschichte zusammen erleben haben. Das fand ich sensationell gesprochen.
Und heute will auch so etwas in der Art sagen: Ich werde mir in meinen Kalender einen Eintrag machen: 17. Mai 2022. An diesem Tag will ich zurückblicken auf das, was alles war. Dass wir gemerkt haben, wie die Welt sich verändert – aber keinen Schimmer hatten wie und wohin. Wir werden denken: Little did we know. Es wird alles ganz anders sein. Ich bin super gespannt auf das, was kommt.

Ansonsten musste Coco gebadet werden. Sie hat irgendwo im Gestrüpp eine Kuhle gefunden, in die zuvor ein Stinktier gepinkelt hat. Sie hat sich gewälzt und sich gefreut wie eine Königin. Der Gestank danach im Haus war kaum zu ertragen. Warum machen Hunde so was? Ich bin gespannt auf erklärende Zuschriften von Leuten, die sich damit auskennen.

Hab mir zum Geburtstag eine Trail Camera geschenkt. Sie hat uns verraten, wer da nachts das Vogelfutter frisst: eine Maus – man hätte es sich denken können.

Draußen blühen gerade die Maiglöckchen. Vergissmeinnicht hab ich auch gesehen. Die Nachbarin behauptet, in ihrem Garten schon 44 verschiedene Vogelarten entdeckt zu haben – allein in diesem Monat. Bei uns kam heute der erste Kolibri vorbei.
Es könnte alles so viel schlimmer sein.
Das hast du schön gesagt.
Alles wird anders, aber es wird gut werden. Ich bin sicher. Es wird, wie wir es gestalten. Und so lange man Hunde baden kann und Kolibris sehen, ist die Welt doch ganz schön. Liebe Grüße Steffi
Danke, liebe Steffi. So ist es. Die Welt ist ganz schön. Bei dir aber auch, nach allem, was ich so zu sehen kriege. 🙂