bookmark_borderFünf tatsächlich publizierte Nonsense-Studien – jawohl, es gibt Humor in der Wissenschaft!

Manchmal wundert man sich, ob Humor in der Wissenschaft überhaupt existiert. Ein Blick ins BMJ (das „British Medical Journal“) endet alle Debatten. Dort findet man in den jährlichen Weihnachtsausgaben diverse Nonsense-Studien, die zumindest ein Schmunzeln auf die Lippen der geneigten Leserschaft zaubern.

Hier fünf Beispiele.

1. Wie sehr würde die „Silly Walks“ von Monty Python die öffentliche Gesundheit fördern?

In einer Weihnachts-Studie aus dem Jahr 2022 baten drei US-Kinesiologen 13 gesunde Freiwillige in ihr Forschungslabor und ließen sie dort eine Strecke von 30 Metern gehen. Im ersten Durchlauf ging jeder auf seine übliche Weise. In weiteren Durchgängen bat man sie, diverse Gehweisen aus dem „Silly Walks“-Sketch von Monty Python zu imitieren.

Ergebnis: Pro Gehminute verbrauchen wir z.B. während eines „Tea bag walks“ zwischen acht (Männer) und fünf Komma zwei (Frauen) Kilokalorien mehr als beim gewöhnlichen Gehen. Nur rund zwölf bis neunzehn Minuten Teebeutelgang verbrauchen also 100 Kilokalorien zusätzlich.

„Hätte man im Jahr 1970 eine Kampagne zur Förderung ineffizienter Bewegungsweisen gestartet, würden wir heute in einer gesünderen Gesellschaft leben“, resümieren die Wissenschaftler.

2. Wie gesund altern Superhelden?

In der Feiertags-Edition des Jahres 2021 geht ein halbes Dutzend Forscherinnen von der University of Queensland der Frage nach, welche Gebrechen wohl diversen Superhelden den Lebensabend versauern werden.

Demnach wird „Iron Man“ vermutlich niemals dement werden, hat aber erhöhte Chancen auf eine chronische Herz-Kreislauf-Erkrankung

Schlechter stehen die Dinge für den „Hulk“. Zu hoher Puls, zu viel Wut, zu viel Übergewicht – die Liste seiner Langzeitrisiken reichen von Herzrhythmusstörungen und Vorhofflimmern über allerlei Entzündungen bis zu Demenz und Schlaganfall. Die Fachleute befürchten ein vorzeitiges Ableben des Superhelden.

Sorgen bereitet den Forscherinnen auch der Lebenswandel von „Spiderman“. Sein nächtlicher Kampf gegen das Verbrechen führt zu ungesunden Schlafrhythmen; kaum, so fürchten die Fachfrauen, wird er es auf die acht bis zehn täglichen Ruhestunden bringen, die unserer Gesundheit so zuträglich sind! Man befürchtet auf Dauer u.a. Übergewicht, psychische Probleme, chronische Schmerzen und Übermüdung. Immerhin: Spiderman ist ein sportlicher Bursche. Das mindert sein Risiko, im Alter zu fallen und sich dabei die Knochen zu brechen.

3. Ein Fallschirm ist völlig überflüssig, wenn man aus einem Flugzeug springt

Dies ist bislang meine Lieblingsstudie aus dem BMJ. Sie stammt aus der Weihnachtsausgabe des Jahres 2018. Darin belegen einige US-Forscher, dass im Alltag zwar viele Menschen auf einen Fallschirm schwören, wenn sie aus dem Flugzeug springen. Ihr Experiment räumt jedoch auf mit diesem Aberglauben. Die Fachleute ließen dabei 23 Personen aus einem Flugzeug bzw. einem Hubschrauber springen. Zwölf der Freiwilligen trug einen Fallschirm, die übrigen elf einen leeren Rucksack. Ergebnis: Alle Teilnehmenden blieben gesund – Fallschirme sind völliger Humbug, eine Erkenntnis, die der Weltwirtschaft „jedes Jahr Milliarden Dollars sparen könnte“.

Ganz am Ende der Studie erfährt man: Die Teilnehmen verließen die Fluggeräte aus einer Durchschnittshöhe von 60 Zentimetern bei einer Geschwindigkeit von exakt 0 km/h. „Mediziner sollten dieses Detail beachten, falls sie die Erkenntnisse dieser Studie auf ihren eigenen Fallschirmgebrauch übertragen wollen.“

4. Gibt es Nebenwirkungen beim Schwertschlucken?

Dies ist ein Klassiker aus dem Jahr 2006. Die Autoren behaupten, dafür die Erfahrungsberichte von 46 Mitgliedern der internationalen Schwertschluckergilde gesammelt zu haben. 16 der Betroffenen klagten demnach über einen rauen Hals, sechs davon hatten beim Schwertschlucken ihre Speiseröhre perforiert, einer hatte sich ein Loch in die Lunge gebohrt, ein anderer litt unter einem schmerzhaften Rachenriss und so weiter und so fort. Das Fazit des Papers: Wer Schwerter schluckt, verletzt sich vor allem dann, wenn es sich dabei um besonders große und lange Schwerter von ungewöhnlicher Form handelt, wenn man mehrere Schwerter gleichzeitig schluckt und bei der Übung zusätzlich abgelenkt wird.
Tröstlich: „(…) we did not find any deaths from sword swallowing.“

5. Gibt es wirklich so etwas wie einen „Schönheitsschlaf“?

Auch ein Klassiker, diesmal aus der Weihnachtsausgabe des Jahres 2010. Schwedische Forschende wollten wissen, ob der Alltagsbegriff des „Schönheitsschlafes“ nur dummes Gerede ist, oder ob Schlaf uns wirklich schöner macht. Sie wählten dabei einen komplett unparteiischen und fairen Versuchsaufbau: Die Freiwilligen wurden einmal fotografiert, nachdem sie gemütlich eine Nacht durchgeschlafen hatten. Danach hielt man die armen Menschen für mehr als 30 Stunden wach – und setzte sie danach noch einmal durch die Kamera. Hier ein Beispiel: Links das Morgenbild – rechts das übermüdete Bild.

Man ließ die Bilder von einer unabhängigen Jury bewerten. Das Resultat war eindeutig: Wenn wir sehr lange wach sind, sehen wir einfach Scheiße aus. Das Fazit des Wissenschaftsteams: Schlaf macht schön – also ab ins Bett!

bookmark_borderBekocht werden kann man nicht alleine

Bekocht werden ist so toll. Und man kann es nicht allein, denn das müssen andere für einen machen.

Am Samstag zum Beispiel war ich seit langer Zeit mal wieder auf ner Kohlfahrt. Eine Kohlfahrt ist eine lange und vielköpfige Winterwanderung, die mit der Einkehr in einer Gastwirtschaft endet, wo dann ein traditionelles Grünkohlgericht gereicht wird. Mancherorts gehören viele geistreiche Gespräche und ebensolche Getränke dazu.

Ich habe dieses Brauchtum während meiner Studienzeit in Oldenburg kennengelernt. Nach meinem Umzug nach Hamburg und ins Hamburger Umland hat mir das dann sehr gefehlt, so dass ich einfach meine eigene Kohlfahrt veranstaltet habe. Das hat 2005 angefangen und war Jahr für Jahr immer toll.

Irgendwann haben die Gezeiten des Lebens mich dann in eine andere Ecke verschlagen, weshalb die alten Nachbarn die Sache einfach ohne mich weitergemacht haben. Es war eine Freude, da mal wieder mitzulaufen und all die bekannten Gesichter wiederzusehen. So eine Kohlfahrt ist eine tolle Sache und dass man dabei auch noch bekocht wird, hat mir doppelt gefallen.

Am Sonntag stand dann mein alter Freund Kai vor der Tür. Er hatte Lasagne gemacht und mit den Mengen übertrieben; jetzt drückte er mir eine Doppelportion davon in die Hand und wünschte mir einen guten Appetit. Herrlich war das. Er hat die Soße mit Estragon gewürzt, was dem Gericht eine spezielle und vermutlich bekömmliche Note gab.

Bekocht werden kann man nicht alleine.

Soziale Netzwerke entstehen erst, wenn andere mit uns in Kontakt treten und wir mit ihnen.

Der Mensch ist ja fast nichts ohne andere Menschen. Und wie dicht oder lose dieses Netzwerk an Liebe und Verbindung um einen her gewoben ist, wie jung diese Fäden sind und wie alt, wie gepflegt oder verstaubt, wie elastisch oder brüchig – all das kann man fühlen, fast körperlich. Das Netzwerk bestimmt, wer wir eigentlich sind, welche Informationen uns zugespielt und über unsere Ohren und Stimmen weitergetragen werden. Ob wir uns sicher und geborgen fühlen oder einsam und bedroht.

Es gibt Psychologen, die gar behaupten, dass unser Selbstwertgefühl nichts anderes ist als eine Art Tankanzeige auf dem Armaturenbrett unserer Seele. Wenn wir uns gut und stabil fühlen, steht alles auf Grün. Unser Netzwerk ist intakt, die Menschen um uns her mögen und schätzen uns. Aber wenn wir uns fühlen wie die letzte Wurst, laufen wir auf Reserve. Das fühlt sich beschissen an, und das Gefühl sagt: „Tu was! Kümmer‘ dich! Dein Netzwerk zerbröselt und du stehst ganz am Rand, bald wird keiner mehr anrufen, du wirst allein dasitzen – und dann wird es kalt und die hungrigen Raubtiere werden um deine Jurte schleichen und was dann? Tu was! Kümmer‘ dich!“

Auf Schlau nennt man das die „Soziometer-Theorie“, sie hat mir immer eingeleuchtet.

Ich würde auch sagen, dass meine Netzwerke in Hamburg ganz anders verwoben sind als in Michigan. Dort ist es leichter, mit Fremden sehr gute und tiefgehende Gespräche zu führen. Viel leichter sogar. Es passiert auch häufiger. Hier dagegen gibt es mehr Menschen, die sich freuen, wenn man ihnen über den Weg läuft. Mehr Fäden schießen kreuz und quer durchs Gewebe. Vielleicht liegt das an den sozialen Normen, an der Kultur, vielleicht aber auch an der insgesamt vor Ort verbrachten Zeit. Da hat Hamburg für mich noch immer die Nase vorn. Man weiß es nicht so genau.

Jedenfalls will ich folgendes loswerden: Man soll es so halten wie meine alten Nachbarn. Man soll Kohlfahrten veranstalten, bei der viele Menschen miteinander reden und sich danach bekochen lassen. Man soll es machen wie mein alter Freund Kai. Man soll immer mal wieder ein bisschen zu viel Soße und Pasta kochen und die Sachen dann spontan wem vorbeibringen, den man mag.

Denn all das macht die Welt zu einem besseren Ort.

Ganz sicher.

bookmark_borderJuhu, das „Rettungsbrot“ lebt immer noch!

In meiner Hamburger Nachbarschaft liegt die nach eigenem Bekunden „kleinste Biobackstube Hamburgs“. Es handelt sich um das „Rettungsbrot“ in der Klaus-Groth-Straße in Borgfelde.

Und dass es den Laden dort immer noch gibt, ist nichts weniger als ein Wunder. Bei meiner Abreise nach Michigan im September hat mir Martin, der Besitzer, nämlich eröffnet, dass er hinschmeißen will. Wie man hört, hat der gute Mann jede Woche 80 Stunden lang dafür geschuftet. Er ist schon deutlich in seinen 60ern und hat auf mich immer einen sehr fitten und fröhlichen Eindruck gemacht. Aber trotzdem, man versteht es, genug ist irgendwann genug.

Hier auf dem nächsten Bild kann man übrigens erahnen, dass es sich wirklich um einen klitzekleinen Laden handelt. Genau von der Sorte also, die man überall verschwinden sieht und danach weint man dann bittere Tränen.

Jedenfalls bin ich jetzt seit ein paar Tagen wieder in der Stadt und Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr ich mich gefreut hab, als im Rettungsbrot noch Licht brannte. Eigentlich hatte ich mich schon damit abgefunden, kein handgeknetetes Biobrot mehr von jenseits der Straße kaufen zu können, sondern das Zeug ausm Supermarkt essen zu müssen. Jetzt aber: Juhu, das Rettungsbrot lebt immer noch!

Im Laden steht jetzt jedenfalls Dirk. Er ist Bäcker und hat – ich vermute aus purem Enthusiasmus – den Laden übernommen und Martin überredet, sich noch für zwei Tage die Woche in die Backstube zu stellen für einen geschmeidigen Übergang.

Dirk und ich sind nicht nur ein einem ähnlichen Alter, wir besuchen offenbar auch denselben Friseur.

Ich möchte jedenfalls, dass viele Menschen im Rettungsbrot einkaufen. Wollen wir Leute wie Dirk nicht unterstützen, so gut wir können? Doch, das wollen wir! Das Brot und der Apfelkuchen sind wirklich außergewöhnlich klasse. Und Franzbrötchen wie hier kriegt man nirgendwo sonst in der Stadt, wirklich nicht. Also: Wenn Ihr in der Gegend wohnt oder mal in der Nähe zu tun habt, checkt den Laden aus.

Und jetzt noch eins: Dirk braucht wen, der am Wochenende oder auch unter der Woche im Laden Sachen verkauft. Er kann nicht alles allein machen. Mir ist klar, dass der Markt für solche Jobs schonmal günstiger aussah, aber wer weiß? Vielleicht liest hier ja jemand mit, der Lust hat, in der kleinsten Biobackstube Hamburgs ein paar Taler zu verdienen? Oder wen kennt, der wen kennt? Das Publikum ist sensationell, wie früher aufm Dorf, als ich noch ein Junge war.

Hier geht’s übrigens zur Homepage des Ladens: http://www.bio-baeckerei-rettungsbrot.de

So. Und jetzt schmier ich mir mein Abendbrot. Irgendwas mit Roggen und Dinkel. Es wird sehr gut schmecken.

bookmark_borderDie 1. Klasse ist in Wahrheit gar nicht erstklassig

Zurück in Deutschland. Bin also mal wieder mit dem ICE gefahren, und dabei hat ein sehr günstiges Angebot der Bahn mich dazu verleitet, mit alten Gewohnheiten zu brechen und in die 1. Klasse zu steigen.

Die Sache mit den Status-Unterschieden fällt mir bei den Reisen über den Teich immer wieder in die Augen, weil die Airlines dabei alle menschlichen Schwächen nutzen, um auf möglichst schmerzhafte Weise möglichst viel Kohle zu machen. Zum Beispiel: beim Einsteigen. Jeder weiß es, aber es beschämt einen halt trotzdem jedesmal wieder neu. Alle stehen am Gate, dann dürfen irgendwelche Leute zuerst einsteigen, während man die Normalos dazu zwingt, dem Privileg mit neidischen Blicken zu folgen. Da bezahlt man natürlich gern etwas mehr für die Businessclass. Unser 7. Sinn für Status ist ein „Stone Age Bias“, wie es ein paar kluge Leute man formuliert haben. Man kann’s uns kaum austreiben, also erklärt man’s zum Geschäftsmodell.

Bei der Bahn jedoch entfällt all das. Man darf nicht früher einsteigen, nur weil das Ticket teurer war. Sie zwingen „the hoi polloi“ auch nicht dazu, sich später schamvoll vorbeizudrücken an den Vornehmen, die bereits sitzend am Sekt schlürfen, das Handgepäck sicher verborgen im für alle anderen knappen Überkopfstauraum. Im Prinzip finde ich das ja besser so, dennoch nimmt es dem Ganzen natürlich dieses heimelige quasi-koloniale Kribbeln, das man bei den aufgeblasenen Businessclass-Leuten in der Leibgegend vermutet.

Und dann die Fahrerfahrung selbst! Sind die Sitze geräumiger? Vielleicht. Ich spüre es aber nicht. Und überhaupt: Wenn die Bahn nicht überall ein dickes „1.“ auf die dünnen Hinterkopfpolsterkissen applizierte hätte – mir wäre der Unterschied insgesamt nicht aufgefallen.

Naja.

Vielleicht doch. Denn alle paar Minuten kam wer vorbei, um einem einen Kaffee aufzuschwatzen. Das hat die Ruhe dann doch erheblich gestört. Und mir mal wieder gezeigt, wie wenig man lernt aus leidvollen Erfahrungen vergangener Jahrzehnte. Denn NATÜRLICH hab ich irgendwann zermürbt gerufen: „Dann bringt mir in Gottes Namen halt auch einen!“ Junge, Junge, Junge! Ich wüsste gar nicht, wie ich zu Hause eine derart abscheulich übersäuerte Plörre zubereiten sollte. Wirklich nicht. Was muss man dafür bitte alles ins Wasser kippen? Hab das Zeug dann natürlich trotzdem ausgetrunken, wo ich schon mal dafür bezahlt hatte (→ „sunk cost effect“).

Nun ein Wort zum Publikum, also denen, die offenbar gewohnheitsmäßig in den teuren Wagen sitzen: Es sind überwiegend Männer. Wichtige Männer. Ihr Haupthaar ist schütter und ergraut wie das meine, und sie machen die Reise nicht zum Vergnügen, sondern gehen fernmündlich (aber selbstbewusst!) irgendwelche Businesspläne durch, attendieren virtuelle Meetings und debattieren mit Kollegen allerhand Orgazeugs. Dann kurz ein Call in der Zentrale: „Wie hieß nochmal meine Mentee ausm Rechenzentrum? Melanie! Stimmt! Natürlich!“

Irgendwann dann Ankunft in Hamburg. Die Freude über den blauen Himmel: unbezahlbar.

Auf der linken Seite, dort also, wo am Zielbahnhof der Ausstieg sich befand, waren, wie uns allen erst jetzt bewusst wurde, drei von vier Türen defekt.

An Luke Nummer vier bildeten sich dann die entsprechenden Schlangen von beiden Seiten. Immerhin: Die anderen Mitreisenden ertrugen all das mit Fassung. Der Anzeigenmonitor im Wageninneren schrieb gelegentlich Sätze in französischer Sprache.

Was ich mit all dem sagen will: Die 1. Klasse ist alles andere als erstklassig. Not worth the money. Ich schreib das hier nieder, damit ich’s nicht genau so vergesse wie diesen gustatorischen Amoklauf, den sie für 3,80 als „Kaffee“ verkauft haben.

Aber insgesamt will ich mich nicht beschweren, denn die von mir erworbene Dienstleistung bestand in einer Fahrt von einem Bahnhof zum anderen. Und das – ich muss es zugeben – hat die Bahn in meinem Fall wirklich spitzenmäßig hingekriegt.

bookmark_borderChemical Youth

Dieser Tage ist eine neue Ausgabe von „Geo Wissen“ erschienen. Es geht dabei um Drogen. Darin findet sich auch ein Interview (acht Seiten), das ich im vergangenen August mit Anita Hardon geführt habe. Anita ist Professorin im niederländischen Wageningen. Auf dem Foto oben sitzen wir in ihrem Garten, trinken Kaffee und reden über ihr Buch. Das Buch heißt „Chemical Youth“.

Anita und ich kennen uns schon länger. In den Monaten vor der Pandemie saß ich häufiger mit meinem Rechner in einem schmucken Büro auf einem Hügel über der Stanford University. Mir ging’s dort so sensationell gut, dass ich jedesmal die Krise kriege, wenn ich daran zurückdenke. Damals war irgendwie mehr Zukunft in allem.

Jedenfalls arbeitete hinter einer dünnen Holzwand im Büro nebenan niemand anders als Anita höchstselbst. Sie verbrachte dort ihr Sabbatical und schrieb dabei an „Chemical Youth“. In der Mittagspause saßen wir häufiger beisammen und haben dabei auch über ihr Projekt gesprochen.

Anita ist Anthropologin. Sie tut so, als käme sie von einem anderen Planeten. Und dann schaut sie genau hin: Was machen die Leute da eigentlich? Und warum? In ihrem Projekt hat Anita untersucht, mithilfe welcher künstlicher Substanzen die jungen Menschen dieser Welt ihren Alltag geregelt kriegen. Sie und ihr Team haben deshalb viele, viele Interviews geführt auf mehreren Kontinenten. Anitas Technik fand ich dabei sehr einleuchtend und zugleich originell. Sie hat ihre „Chemical Youth“-Interviews nämlich stets mit derselben Frage angefangen: „Welche Chemikalien kommen im Alltag eigentlich auf und in deinen Körper, von den Haarspitzen bis zu deinen Zehen?“ Im zweiten Schritt hat sie dann gefragt: „Welche dieser Substanzen sind besonders wichtig für dich? Was tun diese Substanzen für dich? Was hast du davon?“ Sie redet also über Drogen, ohne dabei einen wertenden Ton anzuschlagen. Sie will einfach wissen, was abgeht. Clever!

Hier übrigens die sehr gelb-schwarze Aufmacherseite unseres Gesprächs:

Tja.

Dass aus meiner Bekanntschaft mit Anita jetzt ne gedruckte Story geworden ist, verdanke ich einer Reihe von Zufällen; zum Beispiel jenem, dass irgendwann die Leute von Geo angerufen haben und dann ein Wort das andere gab.

Anita hat mich für unser Gespräch zu sich nach Hause eingeladen. Es war toll, ein bekanntes Gesicht aus besseren Zeiten wiederzusehen. Ich hab mich auch darüber gefreut, dass aus ihrem damals nur halb geordneten Projekt tatsächlich ein interessantes und facettenreiches Buch geworden ist, eine Geschichte, die man erzählen kann. Möge sie viele Leserinnen und Leser finden.

Ich hatte meinen Mietwagen rund zwei Kilometer weiter entfernt geparkt, denn ich war viel zu früh vor Ort und wollte die Gegend außerdem als Fußgänger sehen. Man kriegt dabei einfach ein besseres Gespür für alles. Sandige Böden haben die da, auf denen Spargel und Tabak wachsen, genau wie dort, wo ich aufgewachsen bin. Hat sich fast wie ein Heimspiel angefühlt.

Und was ich auch noch nicht wusste: So ein Wanderweg in den Niederlanden nennt sich „Wandelpad“. Muss man einfach mögen, oder?

bookmark_borderUnser Podcast steht zwei Wochen auf Platz eins – und ein paar Gedanken über „Affordanzen“

Seit drei Wochen ist der Podcast draußen, bei dem ich irgendwie mit beteiligt bin. Und ich muss sagen: Es ist eine merkwürdige Erfahrung. Und zwar: wegen der Affordanzen des Mediums.

Aber der Reihe nach. „Sag mal, Du als Psychologin … “ steht jetzt seit zwei Wochen fast ununterbrochen auf Platz eins dieser Audible-Hitliste. Das ist natürlich toll. Denn ich habe eine Menge Arbeit in das Projekt gesteckt (und noch mehr Arbeit wird folgen). Es dauert alles erheblich länger, als ich vorher gedacht habe. Deshalb: Wär schon doof, wenn’s keiner hören würde.

Andererseits ist es auch seltsam und befremdlich. Denn warum steht der Podcast da oben? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht.

Ein Grund ist vermutlich das Ranking selbst. Rankings sind immer unfair und eine sehr einfache und wirksame Form der Manipulation. Nur ein einziger Spieler profitiert davon – nämlich derjenige, der ganz oben steht. Es gibt Untersuchungen dazu. Allein die Tatsache, DASS ein Podcast dort steht, bringt viel mehr Leute dazu, sich das auch anzuhören, was wiederum höhere Klickzahlen bedeutet. Man steht also noch ein paar Tage länger dort oben, mehr Leute klicken usw. Es ist ein sich selbst verstärkender Mechanismus. Er hat dem Podcast, wie ich vermute, jetzt schon viele Hörerinnen und Hörer verschafft, die sich die Sache ohne das Ranking und die damit verbundenen Sichtbarkeit niemals angehört hätten.

Manche davon werden sich denken: „Och, ganz nett, ich hör mal weiter.“ Darüber freu ich mich.

Aber ganz viele werden natürlich auch denken: „Das ist der größte Mist, den ich je gehört habe.“ Denn dafür findet man ja immer einen Grund. Weil die Show zum Beispiel nicht so gut ist, wie sie sein könnte. Oder weil sonst was im Leben gerade schlecht läuft. Jemand hat sogar behauptet, wir hätten uns abfällig über Dialekte geäußert, was mich als alten, auf dem Land aufgewachsenen Badener, als Schupfnudelmacher, Spätzle- und Dampfnudelkoch natürlich schwer trifft. Mein Sohn meint: „Papa, man kann Dir ja ne Menge vorwerfen – aber DAS???“

Ahhhh, Dampfnudeln!

Naja. Egal. Oben hab ich was über Affordanzen gesagt. Das ist ein schillernder Begriff. Die Leute, mit denen ich in den USA abhänge, definieren ihn so: Die Affordanz ist eine Möglichkeit, etwas zu machen. Eine „facettenreiche Beziehungsstruktur zwischen einer Technologie und einem Nutzer, welche innerhalb eines bestimmten Kontexts ein bestimmtes Verhalten ermöglicht oder verhindert“. Ja, sie schreiben kompliziert, diese Professorinnen, wenn man sie lässt. Ich formuliere die Sache für mich gröber aber verständlicher: Eine Affordanz ist das, was man in den Augen eines Users alles mit einer Seite anstellen kann. Zum Beispiel … 
… Kommentare hinterlassen
… Kommentare als hilfreich bewerten
… Bewertungen hinterlassen
… Kommentare und Bewertungen lesen
… Bewertungen als Durchschnittszahl sehen
… Durchschnitts-Bewertung in Stern-Symbolen sehen
… sehen, wie beliebt ein Produkt ist … und so weiter.

Die Eidechse sonnt sich auf dem Stein. Aber sie kann sich auch darunter verstecken. „Sonnendeck“ und „Unterschlupf“ sind die Affordanzen des Steins aus Sicht der Eidechse.

Für Sisyphos bestehen die Affordanzen des Steins in seiner Hochrollbarkeit und seiner Eigenschaft, wieder runterzukullern und dabei von oben missmutig bestaunt zu werden. Und vermutlich gibt’s dazu noch die Affordanz des „täglich im Terminkalender Stehens“. Und die Affordanz der ewigen Dauer, denn die Qual des Helden endet nie.

Am Anfang hält man den Affordanz-Begriff noch für eine Luftnummer, doch in Wahrheit ist er wahnsinnig nützlich, vor allem, um soziale Medien zu verstehen. Ich hätte zum Beispiel Snapchat und den Charme dieser App viel früher verstanden, hätte ich damals schon etwas über Affordanzen gewusst. Snapchat hat damals die „Affordanz der Ephemeralität“ eingeführt. Die geteilten Inhalte waren flüchtig und vergänglich, verschwunden nach wenigen Sekunden. Sie waren wie das gesprochene Wort, der Wind weht es davon. Man spricht offener, wenn man weiß, dass niemand heimlich mitschneidet. Das mochten die jungen Leute. Sie konnten schnell irgendwelche Sachen raushauen, ohne später dafür abgestraft zu werden. Das war toll – und Facebook ratzfatz eine Plattform für Erwachsene mit grauen Schläfen.

Naja. Die oben genannten Affordanzen jedenfalls, die Sterne, Bewertungen und Kommentare und all das – kann sein, dass sie jemandem helfen. Mir helfen sie nicht. Ich glaube, dass sie die falschen Anreize setzen. Ich freu mich aber über Emails und Kurznachrichten. Wenn Ihr die Sache gehört habt und über was diskutieren wollt – immer her damit. Ich rede gerne mich Menschen und glaube, dass Gespräche die Welt und uns selber besser machen.

Ansonsten stell ich mir vor, dass manche ihre Freude an unseren Podcast-Unterhaltungen haben und freu mich darüber, so lange ich kann.

bookmark_borderPlötzlich hast Du Deinen eigenen Audible-Podcast

Es geht manchmal alles von selbst. Jens Schröder von Geo hat mich gefragt, ob ich nicht mal als Teil eines kleinen Teams was über Psychologie erzählen will. Und – zack! – plötzlich hast Du Deinen eigenen Audible-Podcast!

Jens gehört zu dem Trio, das jede Woche den Podcast „Sag mal, Du als Physiker …“ raushaut – und das inzwischen schon in der sechsten Staffel. Daraus ist über die Jahre ne ganze Podcast-Familie geworden. Das neueste Baby heißt „Sag mal, Du als Psychologin …“. Und seit Donnerstag sind wir damit draußen in der Welt. Ich rede dabei mit der Psychologin Muriel Böttger und der Geo-Journalistin Barbara Lich über alle möglichen Themen: Glück, Dankbarkeit, Kreativität, Lampenfieber, die Liebe – 24 Folgen, jeden Donnerstag kommt ne neue dazu.

In der ersten Folge geht’s um Persönlichkeit. Checkt es aus. Wenn’s Euch gefällt: Hinterlasst ne gute Bewertung. Wenn nicht: Erzählt es mir 😉

Ich finde die Podcast-Arbeit jedenfalls ziemlich aufregend. Es ist ein ganz anderes Spiel als das Schreiben für Magazine, das steht schon mal fest. Es fühlt sich schneller an. Und ich hab das Gefühl, an manchen Punkten trotzdem mehr Tiefe in die Themen zu kriegen. Das Gespräch ist eine gute Literaturform.

Ansonsten hatten wir dieser Tage wieder ein bisschen Neuschnee. Alle möglichen Tiere haben ihre Spuren hinterlassen. Irgendwann schmilzt der Schnee, dann sind die Spuren wieder weg. Der Schnee ist das Medium. Die Spuren sind die Artikel und Bücher, die wir schreiben, die Podcast-Episoden, die wir aufnehmen. Es bleibt alles ein Weilchen, dann ist es wieder verschwunden. Und die Erde dreht sich weiter, weil sie nicht anders kann.

Hier die Tiere – wie gut ist Eure Nase im Spurenlesen?
Hirsch, Waschbär, Truthahn, Katze, Opossum, Kaninchen.
Welcher Abdruck gehört zu welcher Kreatur?
Viel Spaß dabei!

bookmark_borderDer Zauber einer Bibliothek vor der Erfindung des Internets

Dieser Tage musste ich an ein Abenteuer aus dem Studium denken, damals in Tübingen. Ich war im vierten Semester und eines der Seminare hieß so sinngemäß: „Wie schreibt man eigentlich einen Lexikonartikel?“ Ich so: Joa, warum nicht? – und hab mich angemeldet. Hat sich dann aber schnell gezeigt, dass die Dozentin die Sache sehr ernst meinte: Wir sollten WIRKLICH einen Lexikonartikel schreiben für ein wirkliches Lexikon. Am Ende des Semesters haben, wenn ich das richtig sehe, genau drei Teilnehmende die Sache durchgezogen. Einer davon ist jetzt Professor an genau dem Lehrstuhl, an dem wir damals studiert haben.

Der mir zugeordnete Artikel trug den Namen „Epanodos“. Es handelte sich um eine vergessene rhetorische Stilfigur, die keiner meiner verwendete und niemand mehr brauchte oder vermisste. Aber egal. Sie war nun mal da und deshalb hatten die Herausgeber ihr einen Platz zugedacht im gigantischen „Historischen Wörterbuch der Rhetorik“ – und zwar genau zwischen den nicht minder wichtigen Einträgen „Epanalepse“ und „Epenthese“.

Jeder musste zu Beginn des Semesters ein Referat über einen Aspekt der Figurenlehre halten und dann hat man jedem von uns eine Literaturliste in die Hand gedrückt und uns ein paar Wochen Zeit gegeben, das Material für unsere Artikel zu sammeln. In meinem Fall waren es mehr als 200 Bücher. Einige davon: antike griechische Schriften, die nur in Bruchstücken erhalten waren. Ich konnte kein Griechisch, aber ich wusste, wie meine Figur von den Griechen geschrieben wurde. Also … an die Zettelkästen gegangen, das griechische Werk über Stilfiguren rausgesucht, aha, es gab einen Band, in dem das Fragment mit abgedruckt war. Also das Buch bestellt und ausgeliehen und dann alles durchgelesen. Es war eine mühevolle Arbeit. Heute erledigt das eine Suchfunktion in weniger als einer Sekunde.

Dann tatsächlich: Da steht’s! Also die Seiten kopiert, das Buch zurückgegeben und rumgefragt … und tatsächlich einen Griechen gefunden, der damals Altphilologie studiert hat und sich mit rhetorischen Figuren auskannte. Er hat mir die Passage dann schnell beim Bier übersetzt. Und so ging’s weiter. Ich hab rund ein Dutzend antike Figurenlehren gelesen und die entsprechenden Passagen rausgeschrieben, dann ein paar Quellen aus der Spätantike, und danach ging’s über Renaissance, Barock, Aufklärung und so weiter bis heute. Die Bücher aus der Aufklärung waren besonders krass. Viele glaubten damals, dass alles mit allem zusammenhängt und man die Regeln nur finden und dem Universum sozusagen entreißen muss, um sie zu verstehen. Jede Figur, so war damals die These, ist mit einer bestimmten Gemütsregung des Menschen verbunden. Ich fand das aufregend und für einen kurzen Moment dachte ich: Genau so muss man’s machen. War aber natürlich Quatsch. Figuren und Emotionen sind nur lose miteinander verknüpft. Manchmal auch gar nicht.

Der für mich aufregendste Moment der Recherche waren die beiden Rhetorik-Bücher von Philipp Melanchthon. Melanchthon war ein wichtiger Reformator, er hat Luther dabei geholfen, die Bibel zu übersetzen. Jedenfalls hatte die alte Tübinger Bibliothek tatsächlich noch beide Rhetoriklehrbücher des Meisters irgendwo in trockenen, kühlen Speicherräumen gelagert. Und zwar: die Originalausgaben von fünfzehnhundertschießmichtot. Ich so: Okay, die muss ich lesen. Also einen Spezialantrag gestellt … und dann ging man einige Zeit später in einen sehr alten, holzvertäfelten Raum und ein alter Mann gab einem weiße Schutzhandschuhe, die musste man sich überstreifen und dann saß er daneben, während man las. Die Bücher waren furchtbar wertvoll. Und lange ungelesen: Beim Öffnen knackten Seiten und Umschlag wie die Dielen einer sehr alten und sehr unrenovierten Altbauwohnung. Es war ein heiliger Akt. Der Zauber einer Bibliothek vor Erfindung des Internets. Aber dann hatte Melanchthon, wenn ich mich richtig erinnere, nur die Passagen aus der pseudo-ciceronianischen „Rhetorica ad Herennium“ abgeschrieben wie alle anderen auch. Tja.

Was ich sagen will: Es hat Wochen gedauert, allein die ganzen Bücher zusammenzusuchen und in die Finger zu kriegen, zu lesen, abzuschreiben und wieder zurückzugeben. Fast in allen Büchern stand dasselbe. Allerdings kam es irgendwann zu einer kleinen Verschiebung. Jemand schrieb noch was anderes und ab dann haben das einige Fachleute auch mit abgeschrieben, aber ich weiß es nicht mehr genau.

Die jungen Leute können nicht erahnen, wie mühevoll der Zugang zu Wissen war, bevor Wikipedia und das Internet erfunden worden sind. Das Gedächtnis war viel wichtiger als heute.

Habe vorhin gegoogelt und gesehen, dass einige Fachbeiträge meinen Artikel zitiert haben: Da ist ein Aufsatz über mittelalterliche Kunstgeschichte, eine Dissertation über Thomas Bernhard, eine über den Minnesang, ein niederländisches Rhetorik-Lexikon. Es war also nicht alles umsonst. Und ein großes Abenteuer war es ohnehin. Es ist ein schönes Gefühl, sich daran zu erinnern. Ich habe Wochen meines Lebens mit einem versunkenen Konzept zugebracht und dabei eine Technik erlernt, die seither ebenfalls versunken ist. Und doch gibt mir all das eine andere, bessere Perspektive auf die heutige Zeit.

Ach so. Ein Beispiel für „Epanodos“ ist der Satz: „Du bist schön. Schön bist du.“ Man wiederholt einen Satz, dreht ihn dabei aber um. Man hätte sich die Sache auch sehr einfach machen können.

bookmark_border1000 Liegestütze pro Monat für den Rücken

Seit einigen Jahren mache ich mindestens 1000 Liegestütze pro Monat. Das ist gut für den Rücken und eigentlich für alles und hilft mir sehr. Ab und zu ergibt sich ein Gespräch darüber und die meisten Leute fragen dann nach und interessieren sich sehr dafür. Heute also mal ein Blogeintrag dazu.

Die Sache kam nämlich so: Mit Mitte 30 hatte ich auf einmal große Probleme im dem Rücken. Lendenwirbelbereich. Das Übliche. Es tat sehr weh, hat mir das Leben schwer gemacht und wurde nicht wirklich besser. Davor bin ich über Jahre Marathon gelaufen. Jetzt konnte ich mir an manchen Tagen kaum noch die Schuhe binden. Keine schöne Erfahrung.

Die Probleme sind über mehrere Jahre geblieben. So richtig geändert hat sich die Sache erst, als mein Sohn, er war damals noch im Kindesalter, auf einmal wissen wollte, was man eigentlich tun muss, um einen Sixpack zu kriegen. Mein Kumpel Marvin meinte: „Mach einfach Liegestütze.“ Also haben mein Sohn und ich ein gemeinsames Projekt daraus gemacht.

Wie fängt man an? Marvin meinte: „Du machst jeden Morgen genau zehn Liegestütze. Jeden Tag, direkt nach dem Aufstehen. Eine Woche später machst Du genau eine mehr. Genau eine. Und am nächsten Tag … da machst Du wieder eine mehr. Genau eine. Und das machst Du so lange, bist Du nicht mehr steigern kannst. Und dann machst Du diese Anzahl weiter. Jeden Morgen. So lange, bis Du wieder eine draufpacken kannst.“

Das klang einfach. Zehn Liegestütze waren machbar. Die Regel „gleich nach dem Aufstehen“ hat ganz erstaunlich gut funktioniert. Man musste nicht lange überlegen, einfach machen und – zack! – ging’s in den Tag mit dem guten Gefühl, schon was für sich getan zu haben.

Eine Woche später dann die Steigerung. Auch das ging erstaunlich leicht. Der Trick an der Sache ist vermutlich, dass man sich mit der Methode jeden Tag ein kleines Erfolgserlebnis holt.

Ich war damals schon Anfang 40 und fühlte mich alt. Zu merken: „Hey, Dein Körper reagiert wahnsinnig schnell auf sowas“ – das war einfach toll.

Jedenfalls sind die Liegestütze jetzt seit mehr als zehn Jahren eine gute Gewohnheit geworden. Allerdings gab’s zwei Punkte, an denen sich die Sache verändert hat.

Da war nämlich erstens der Punkt, an dem das einfache Steigern der Morgenration irgendwie uncool wurde. Die Motivation der ersten Monate war plötzlich weg.

Also hab ich mich gefragt: Was will ich eigentlich?

Bestandsaufnahme:
– Der Rücken tut nicht mehr weh.
– Ich habe wieder angefangen, im Verein Tischtennis zu spielen und mich auch sonst wieder mehr und mit mehr Freude zu bewegen.

Will ich neue persönliche Liegestütz-Rekorde aufstellen?
– Nö.
– Ich will weiter schmerzfrei bleiben und mich bewegen können!

Okay, cool. Wie krieg ich das hin?
– Indem ich mir ein Ziel setze, dass ich locker schaffen kann und bei dem ich langfristig dranbleibe.

Also: 35 Liegestütze jeden Morgen.

Das war dann tatsächlich mein Plan. Keine Steigerung mehr, sondern ein Programm, das locker in meinen Alltag passte. Das lief erstmal super über mehrere Jahre.

Aber dann kam irgendwann der zweite Punkt: Ich habe angefangen, mich selbst zu bemogeln. Und zwar so dolle, dass ich es selbst gemerkt habe. Manchmal hab ich die Liegestütze nicht mehr jeden Tag gemacht, sondern nur noch drei, vier Mal pro Woche. Das war nicht genug.

Also wieder überlegt: Was will ich eigentlich? – Immer noch dieselbe Antwort: gesund und schmerzfrei bleiben.

Wie krieg ich das hin? Wie kommt mehr Regelmäßigkeit in meine Übungen? Und zwar so, dass ich die Übungen auch mal ausfallen lassen kann, ohne dass gleich der ganze Plan im Eimer ist?

Ich habe also 35 (meinen eigentlichen Tagessatz) mit den 30 Tagen eines Monats multipliziert: 1050. Hm. Ich könnte ja jeden Tag nach meiner Mini-Einheit einen Eintrag in meinen Kalender machen. Dann immer am Sonntag dazuschreiben, wie viele Liegestütze es bisher im laufenden Monat waren – nur so, um auf dem Laufenden zu bleiben. Und dann zusehen, dass ich am letzten Tag des Monates auf mindestens 1000 komme.

An manchen Tagen hab ich keine Lust. Oder bin mit dem Kopf woanders. Dann mach ich am nächsten Tag eben mehr. Das System ist flexibel und gnadenlos zugleich. Das gefällt mir.

Genau so mach ich das jetzt jedenfalls seit dem 1. Januar 2018. Alles steht im Kalender. Es sorgt dafür, dass ich am Ball bleibe. Der Rücken gibt Ruhe. Die Methode hat mein Leben viel besser gemacht. Und es vergeht eigentlich kein Monat, an dem ich mich nicht mindestens einmal darüber freue wie Bolle. Man darf den Schmerz nicht vergessen, nur weil er grad nicht da ist.

Ja. Nur so, falls es wen interessiert.

Und ansonsten meine Meinung: Gewohnheiten sind die beste Form der Intervention.

bookmark_borderAnstrengende Menschen – und warum’s vielleicht ne gute Idee ist, ab und zu mal Psychologie Heute (oder P.M. oder Geo oder brand eins) zu kaufen

Dieser Tage wieder Podcasts aufgenommen. Kommt alles erst im Jahr 2022 und ist für ne neue Show. Ich kann noch nicht drüber reden – aber ich glaube, die Sache wird gut.

Das T-Shirt ist sehr hässlich, der Kauf war reine Notwehr: Bin völlig durchgeschwitzt aus der S-Bahn gekommen und musste schnell ins Studio. Also: Hurtig rein zu C&A, das Ding gekauft und weiter – nur damit meine beiden Mitstreiterinnen später im Studio nicht total von mir zugestunken werden.

Das war in Hamburg und jetzt hab ich halt die nächsten Podcast-Folgen aus Michigan aufgenommen. Das T-Shirt gehört irgendwie zur Familie und deshalb werd ich das jetzt immer tragen, wenn Aufnahmen anstehen.

Dann ein Wort zur Überschrift: Wohlmeinende Freunde erkennen, dass es sich hier um eine so genannte „Text-Bild-Schere“ handelt. Die Headline sagt „anstrengende Menschen“, auf dem Bild darunter sieht man diesen überaus angenehmen und pflegeleichten Zeitgenossen am Mikrofon. Was soll das? Nun, es handelt sich um ein selbstironisches Statement, denn jeder Mensch kann anstrengend sein, ich natürlich auch. Ich glaube, dass in diesem Moment gleich mehrere Menschen wissend nicken werden.

Jedenfalls habe ich für Psychologie Heute Compact gerade eine größere Story über „Schwierige Beziehungen“ geschrieben. Zeile: „Du bist so anstrengend“. Im Vorspann liest man:

Ganz spanend, oder? 20 Leute, die uns auf die Nerven gehen! Vermutlich fallen jedem von uns zwanglos ein paar Namen ein. Ich bemühe in meiner Geschichte ein paar archetypische Vertreter dieser Menschen- bzw. Beziehungs-Sorte:
– Voldemort,
– die kleine Meerjungfrau,
– Kain – und natürlich seinen Bruder Abel; die beiden kriegt man ja praktisch nur im Doppelpack.
Bei schwierigen Beziehungen scheint häufig unsere Kindheit mit im Spiel zu sein. So als Faustregel lohnt es sich, nochmal einen Blick auf alte Geschwisterkonflikte zu werfen, wenn man denn welche hatte. Relativ häufig bringen wir als Erwachsene nämlich dieselbe Show noch einmal auf die Bühne – nur halt mit ner anderen Besetzung. Besonders interessant wird’s dort, wo wir insgeheim glauben: Bei uns wurden nicht alle Geschwister gleichermaßen von den Eltern geliebt. Davon hat nämlich keiner was, auch die „Lieblingskinder“ scheinen nix davon zu haben, wenn man der Forschungsliteratur glauben darf. Die ungleichverteilte Liebe erschafft tendenziell misstrauische Erwachsene. Misstrauen erschafft schwierige Beziehungen. Zumindest tendenziell.

Die komplette Geschichte steht (wie fast immer bei Psychologie Heute) hinter einer Paywall, man muss sie also kaufen. Oder besser noch: gleich das ganze Heft. Und warum auch nicht? Ohne Leute, die das Heft kaufen, gibt’s das Heft bald nicht mehr. Mit den verkauften Heften bezahlt man Leute wie mich, also Leute, die all die Studien lesen, damit Ihr sie nicht lesen müsst. Ein fairer Deal, wie ich finde. Man wird im Übrigen nicht dümmer von der Lektüre. Oder noch besser: Wenn Ihr noch kein Geschenk zu Weihnachten habt, dann schenkt doch ein Jahresabo! Every penny counts.

In der Dezember-Ausgabe von Psychologie Heute ist außerdem gerade ein Interview erschienen, das ich mit Prof. Michael Siegrist aus Zürich geführt habe. Die Überschrift lautet: „Unsere irrationale Liebe zur Natur“. Siegrist erforscht seit Jahren, was wir alles glauben, fühlen und denken, wenn wir von „Natur“ und „Natürlichkeit“ sprechen. Antwort: Wir glauben, fühlen und denken dabei ne ganze Menge. Und vieles davon ist totaler Quatsch. Das hat Folgen. Man kann uns darüber zum Beispiel Dinge verkaufen, die wir eigentlich gar nicht brauchen und wollen.

Auch diese Story steht natürlich hinter einer Paywall. Es hilft alles nix.

Aber ein paar Sachen kann ich vielleicht daraus zitieren, sozusagen als Teaser. Also hier:

„Wir haben dazu eine Studie gemacht. Da haben wir eine Schokomousse gekauft und ein paar Probanden zu einer Verkostung eingeladen. Der einen Gruppe haben wir gesagt: „Da ist natürliches Vanille-Aroma drin.“ Der zweiten: „Da ist künstliches Vanillin drin.“ … Dann haben wir gefragt, wie gut es geschmeckt hat – und einen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen entdeckt. Den Menschen mit dem natürlichen Vanille-Aroma hat die Sache messbar besser geschmeckt als den Menschen mit dem synthetischen Vanillin – obwohl alle genau das Gleiche gegessen haben.

Wir reden auch über die religiösen Motive in unserer „Natürlichkeits-Verzerrung“. Wenn Euch die Sache interessiert, kauft bitte das Heft. Wie gesagt: Ihr haltet damit einen Berufsstand am Leben. Ich sag das übrigens weniger für mich selbst, als es jetzt den Anschein hat. Wenn’s keinen Wissenschaftsjournalismus mehr gibt, dann mach ich halt was anderes. Jobs gibt’s genug (und sie werden meist auch deutlich besser bezahlt). Aber wie gesagt: Im Moment gibt’s Leute, die viele, viele Studien lesen, damit Ihr das nicht machen müsst. Und wer möchte, dass das so bleibt, der wird über einen gelegentlichen Kauf der entsprechenden Produkte nicht herumkommen. Es geht also mehr so ums große Ganze.

So. Musste mal wieder raus.

Bestellt der Person an der Kiosk-Kasse bitte schöne Grüße von mir.

P.S.: Mein Kumpel Kai hat mir gerade die Seite 3 der aktuellen PH-Ausgabe als Handyfoto zugeschickt. Ich stehe offenbar in der Zeitung – mit Foto und intimen Details aus meiner Jugend. Was kommt als nächstes???