„Ich werde weiter Hände schütteln“ – warum manche sich für unverwundbar halten

The Prime Minister Boris Johnson Portrait

Der britische Premierminister liegt auf der Intensivstation. Alle haben’s gelesen: Vor Wochen noch hat er verkündet, Coronakranken weiterhin die Hände schütteln zu wollen. „Kein Grund zur Panik.“ Das war die eine Botschaft dahinter. „Ich bin stärker als das Virus.“ Das war die andere. Jetzt hat ihn die Krankheit erwischt. Einige meiner Freunde empfinden Schadenfreude.

Britta tut das nicht. Aber sie wundert sich. Beim gemeinsamen Zoom-Meeting mit Søren und mir hat sie neulich gefragt, warum so viele mittelalte Männer sich eigentlich für unverwundbar halten.

Ich hab spontan mit Robert Trivers und seiner Selbsttäuschungs-These argumentiert. Sich für stärker, schneller, schöner und besser zu halten, als man eigentlich ist, das scheint im Ringkampf der Evolution bestimmte Vorteile zu bieten. Denn wir lügen glaubwürdiger, wenn wir die Lüge selbst glauben. So setzt man sich durch im Kampf ums Schnitzel und um mögliche Partner. Eine positiv verzerrte Selbstwahrnehmung erbt sich also fort. Immer wieder und wieder. Anders gesagt: Die meisten von uns sind die Urenkel von Aufschneidern und Angebern. So ungefähr argumentiert Trivers.

Das kann aber noch nicht die ganze Geschichte sein. Schließlich fühlen sich nicht alle unverwundbar. Es gibt individuelle Unterschiede. Aber warum eigentlich? Also hab ich mir ein paar Studien dazu angeguckt. Nicht über Corona, da ist man noch nicht so weit. Sondern über andere Risiken, die man unterschätzen kann. Zum Beispiel diese:

  • sich mit AIDS anstecken
  • einen Herzinfarkt kriegen
  • an Krebs erkranken

Und da zeigen die Studien, die ich so auf die Schnelle finde, dies:

Ich schreibe ja seit Tagen immer mal wieder über die Lage in Detroit. Dort scheinen einige der oben genannten Faktoren zusammen zu kommen. „Detroit ist eine der ärmsten Großstädte in den Vereinigten Staaten – die Armut ist ein echtes Problem“, heißt es im World Population Review. 82 Prozent der Bewohner sind Afro-Amerikaner. Die Statistik der Coronatoten in der Stadt ist alarmierend. Gut möglich, dass „schlecht informiert sein“ und „an Blödsinn glauben“ auch Risikofaktoren sind. Die These, dass Schwarze gegen Corona immun sind, kursiert zum Beispiel schon seit Wochen im Netz. Auch die Tagesschau hat gestern davon berichtet – zumindest als Randaspekt.

Mein Fazit: Die Armen und die Alten sind objektiv besonders gefährdet in der Pandemie – aus unterschiedlichen Gründen. Aber wenn man die Studien von früher auf heute übertragen kann, dann werden die psychologischen Faktoren die Sache schlimmer machen. Die Gefährdeten unterschätzen, wie gefährdet sie sind. Sie werden weiter Hände schütteln. Und bringen sich dadurch zusätzlich in Gefahr. An Blödsinn glauben hilft natürlich auch nicht. Und vom miesen Gesundheitssystem hier den Staaten, der sozialen Ungerechtigkeit, dem verschleppten Krisenmanagement und dem ganzen Mist will ich heute gar nicht anfangen. Das kommt alles noch obendrauf.

Blöd.

Also. Ich weiß: Das ist alles spekulativ. Ich werde in den kommenden Tagen ein paar Forscher anschreiben und ihre Meinungen einholen. Bin gespannt, was da kommt.

So. Eigentlich wollte ich ne saftige Geschichte über narzisstische Arschgeigen schreiben und dass sie’s nicht anders verdient haben. Das spielt in manchen Fällen natürlich auch ne Rolle. Aber so ist das. Man kriegt nicht immer, was man will. Ich wasch mir jetzt die Hände, kontrolliere meine Maske und dann geh ich mit dem Hund raus. Nachher: Bier.

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