Hinter jedem Busch ein Nerd: Gedanken über Bohnenomelett, Max&Moritz, Blätterfarben, Kant und den Weltuntergang

Metzger’s Michigan Monday #3

Kapitel 1
Gestern war William wieder bei uns für einen Kochabend. Ich hab’s schon mal gesagt: William kocht am besten! Heute will ich mich auf nur eins der Gerichte beschränken. William schneidet dafür grüne Bohnen (in diesem Fall sind sie gelb) in sehr feine Ringe.

Danach kommen sie für ein, zwei Minuten mit etwas Öl in die Pfanne, bis sie bereits angegart, aber noch bissfest sind. Danach fügt William zwei verquirlte und gewürzte Eier hinzu. So wird daraus bald ein kurioses Omelett.

Ich hab’s heimlich getestet: Schon in diesem Stadium kann man das sehr gut essen. Ein Butterbrot dazu – Mittagessen! William geht aber noch ein paar Schritte weiter! Er legt ein halbes Omelett auf ein Nori-Blatt …

… um anschließend etliche Dinge hinzuzufügen. Vorher hat er mit seiner Mandoline ein paar Radieschen gehobelt, gesalzen und in Apfelessig eingelegt. Diese Radieschen kommen jetzt aufs Omelett, dazu auch ein paar fein geschnittene Stifte aus frischen Radieschen.

Danach noch allerhand Grünzeug: großblättriger Rucola, dazu eine mir unbekannte Pflanze aus der Familie der „Mustard Greens“, die eine gewissen herbe Schärfe mit in den Mix bringt. Darüber streut William knusprigen Reis, den er vorbereitet hat. Gibt der Sache eine tolle Textur. Die Sache mit dem Grünzeug ist ein Experiment. Ansonsten greift William zu einem Pesto aus Minze, Basilikum, Rucola, Knoblauch, Olivenöl, Salz, etwas geriebenem Apfel und Zitronensaft. Wär vielleicht NOCH besser gewesen.

Jetzt wird daraus eine Sushi-Roll!

Ein scharfes Messer zerteilt die Rolle in appetitliche Fingerhappen.

Da nicht alle Gäste gerne scharf essen, hat William das Sushi sehr mild gehalten. Man kann da natürlich noch alle möglichen Schweinereien mit reinkippen und dazu diverse Tunken und Soßen servieren, wie man das auch sonst beim Sushi macht. Es schmeckt sehr frisch und hat eine wunderbare Textur. Und wie gesagt: Die Sache mit dem Bohnenomlett kann man sich eh mal merken! So lecker! Es ist jedesmal wieder ein Lernabenteuer erster Kajüte!

Kapitel 2
Ansonsten übe ich dieser Tage viel mit Kai, der in der Schule Deutsch lernt. Dabei ist mir aufgefallen: Dativ und Akkusativ muss man bei Nicht-Muttersprachlern ganz anders erklären, als man uns das in der Grundschule erklärt hat. Es gibt Gründe, warum „Deutsch als Fremdsprache“ ein eigener Studienschwerpunkt ist. Mal wieder die alte Erkenntnis: Der Teufel steckt im Detail und das merkt man erst, wenn man’s mal selber gemacht hat.

Zwischendurch lockere ich unsere Stunden mit traditionellem Kulturgut auf und lasse meinen gelehrigen Schüler Zeilen aus der deutschen Lyrik auswendig lernen. Man weiß nie, wofür man’s nochmal braucht. In dieser Woche: Max & Moritz. Seither höre ich regelmäßig den Ausruf. „Ach, die bösen Kinder!“ Und natürlich das folgende – unsterbliche – Zitat, aus dem sich mit jugendlichem Elan auch der eine oder andere Klo-Witz zimmern lässt:

3. Kapitel
Hab dieser Tage noch ein bisschen Zeit auf eine größere Geschichte verwendet, die ich für die Leute von „Geo“ geschrieben habe. Dabei hatte ich unter anderem Kontakt mit einem Professor aus Europa, der – wie es der Zufall wollte – auch mal ne Weile hier in Michigan gearbeitet hat. Er schreibt: „Oh Mann, Herbst ist die beste Zeit in Ann Arbor!“ Und er hat völlig recht damit. Die schönen Blätterfarben kommen, die Sonne scheint, die Luft ist ganz wunderbar.

Man denkt als alte Kartoffel zu selten darüber nach. Aber: Ist es nicht eh phantastisch, dass wir so was wie Jahreszeiten haben? Ehrlich, jetzt mal! Im Garten haben sich derweil neue Freunde gefunden. Eine Hirschkuh und ein wilder Truthahn fressen sich gemeinsam ihren Winterspeck an. So schön, wenn man gut miteinander auskommt, oder?

Sogar Coco duldet die beiden gnädig. Naja. Zumindest manchmal. Sie jagt dann lieber den Ball, den wir ihr werfen. Sie liegt dieser Tage oft im Garten, reckt die Nase in die Höhe und schnuppert, was der Herbst so bringt. Auch sie findet: Es ist die beste Jahreszeit von allen!

4. Kapitel
Neulich waren wir bei einem „progressive dinner“ eingeladen. Man geht dann für jeden Gang in einen anderen Garten, den großzügige Gastfamilien für einen geöffnet haben. Jeder bringt was mit, es geht einfach um die Gemeinschaft. Dann stellt man sich zu wildfremden Leuten und fragt: „Und, was machst du so?“ Hab ne Menge gelernt dabei. Zum Beispiel, wie man in der Soziologie „Vermögen“ misst (es ist kompliziert und keine Methode perfekt), welchen Einfluss Zarathustra auf die Gedanken von Platon hatte, woher man in Michigan „Magic Mushrooms“ kriegen kann, mit welchen mathematischen Methoden sich Musik analysieren lässt und warum die Power der Künstlichen Intelligenz maßlos überschätzt wird. Und dann war da noch das Thema Immanuel Kant. Nicki und ich haben erst am Vormittag in einem Gespräch festgestellt, dass ich im Grunde Kantianer bin. Jetzt auf dem progressive dinner gerate ich doch glatt in ein einstündiges Gespräch über den Begriff der Subjektivität bei Kant. Und das auf ne Art, die ich mir in Tübingen auch sehr für mein Studium gewünscht hätte. Die Philosophie-Professorin sagt sinngemäß: Man versteht den alten Kant im Englischen tendenziell besser als im Deutschen, weil das Englische eine andere Form von Klarheit erzeugt. Kürzere Sätze und all so was. Im Deutschen ist Kant nicht immer leicht zu verstehen. „Aber Hegel war schlimmer!“, sagt sie.

Was ich mit all dem sagen will: Hier in der Stadt steht hinter jedem Busch ein Nerd. Es ist ganz unglaublich. Ich genieße das sehr, auch wenn mir klar ist, dass das ein elend privilegiertes Leben ist und mit dem Rest der Welt nicht immer sehr viel zu tun hat.

5. Kapitel
Und das bringt mich zwanglos zum Traum der vergangenen Nacht. Da ist genau diese Welt nämlich untergegangen. Und zwar so richtig. Wenn ich mir jetzt so die Nachrichten ansehe, mit Inflation, Krieg, Klima, Corona und all den wachsenden Spannungen überall, dann … tja. Vielleicht macht sie gerade ja wirklich genau das. Es wäre elend schade drum.

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