Hamburg ist anders

Seit mehr als fünf Wochen wieder in Deutschland. Dabei sind mir mehrere Dinge aufgefallen. Vorweg schon mal so viel: Das Leben in Hamburg ist anders als das Leben in Michigan.

  1. Das Bild oben. War mit B. an der Elbe. „Wow, guck mal, die Wolken, wie toll, wie bedrohlich.“ Wir stehen also da und machen Bilder wie die Idioten. Zwei Minuten später fängt’s an zu regnen. Und zwar tüchtig. Ich natürlich: keine Jacke dabei, kein Regenschirm. Nur kurze Hose und T-Shirt. Also am Ende sehr nass geworden und dann irgendwann durchgefroren wieder nach Hause gekommen. Was ich damit sagen will: Manchmal sieht man’s kommen und zieht trotzdem die falschen Schlüsse.
  2. Nochmal das Bild oben. Man sieht unschwer, dass jemand rechts unten hastig jemanden rausretuschiert hat. Und das kam so:
    B. und ich sitzen auf einer Art Industriebühne an der Elbe und quatschen. Viele Leute kommen vorbei. Klar. Bei einem einzigen denke und sage ich: „Den kann ich nicht leiden.“ Ich glaube, es ist diese aufgesetzte „ich hab’s geschafft und mir kann keiner was“-Attitüde, die der Typ vor sich herträgt (mein Film, klar). Und jetzt, Tage später, lade ich ausgerechnet dieses Bild vom Hafen hoch. Wer ist drauf auf dem Bild? Eben: der einzige Mensch, den ich an diesem Tag nicht leiden konnte. Interessant, oder? So funktioniert Dialektik. Die Menschen, die uns gegen den Strich gehen, sind manchmal die wichtigsten Menschen in unserem Leben. Und auch diejenigen, die irgendwie bleiben. Is nicht immer so. Aber oft.
  3. Jetzt zu Corona. Mein Verhalten, meine Gewohnheiten, das, was sich meiner Meinung nach gehört – all das hat sich sehr gewandelt im Vergleich zu den Monaten in Michigan. Ich gehe hier viel, viel lockerer mit dem Virus um, als ich das da drüben getan habe. Ich gehe zu Leuten ins Haus und in die Wohnung (in Michigan: no way!). Leute waren bei mir in der Bude (in Michigan: praktisch niemand jemals). Ich habe mehrfach in der Halle Sport getrieben (dort: nope!). Ein paar Leute habe ich umarmt (dort: nur Leute, mit denen ich zusammengewohnt habe). Und klar, im Supermarkt trage ich eine Maske. Aber ich achte hier viel weniger auf die anderen Leute und habe auch weniger das Gefühl, sie könnten meine Gesundheit bedrohen. Usw.
  4. Man könnte sagen: Es liegt an der Basisrate. Hier gibt’s weniger Fälle als in den USA. Es ist also vernünftig, weniger Angst zu haben.
  5. Oder es liegt an den Erfahrungen der vergangenen Monate vor Ort. In Michigan haben sie im Krankenhaus die Corona-Leichen im Schlaflabor gestapelt und hatten Angst, dass ihnen die Säcke zum Verpacken der Toten ausgehen. So krass war es hier nie. Im Flugzeug zurück über den Atlantik saß in meiner Reihe ein sehr nervöser, ängstlicher Mann. Er kam aus Norditalien. Jeder hat verstanden, warum er mehr Angst vor dem Virus hatte als die anderen.
  6. Man lässt sich (jetzt kommt ein Wortspiel) natürlich auch anstecken. Soziale Normen (also die Dinge, die sich gehören) vermitteln sich über Nachahmung. Man macht, was die anderen machen. Wenn man in Rom ist, macht man’s wie die Römer. In Hamburg macht man’s wie die Hamburger. Hamburg ist anders als Ann Arbor.
  7. Was war noch. Ah so. Die Demo in Berlin. Kapier ich nicht. Wer ist das? Ein Rätsel.
  8. In Läden rumgefragt: „Wie laufen die Geschäfte?“ Der Bäcker unten am Fluss sagt: Unser Umsatz liegt bei 60 Prozent. Die Touristen sind da. Das ist gut. Die Locals sind da. Fein. Aber die Büros in der Gegend stehen alle leer. Alle im Homeoffice. Großer Mist. Der Typ im Sportgeschäft sagt: Geschäft läuft okay. Bisschen weniger als sonst. Aber alles im Rahmen. Ein Bekannter von mir hat viel mit den Ladenbesitzern in Ottensen geredet. Er behauptet: „Viele von denen sind längst pleite.“ Sie machen trotzdem weiter. Man muss eine Insolvenz in Zeiten der Pandemie nämlich nicht melden. Könnte also sein, dass viele Läden, in denen wir einkaufen, im Grunde so etwas wie Zombie-Unternehmen sind. Einen einzigen Laden habe ich gefunden, dessen Besitzer glücklich ist. Der Typ betreibt einen Angelladen. Er sagt: Bei mir ist so viel los wie noch nie. Wär ich nie drauf gekommen.

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