
Vor einer Woche sind in Michigan zwei Staudämme gebrochen. Rund 10.000 Leute mussten ihr Zuhause verlassen. Die Bilder der zerstörten Straßen und Häuser sind wirklich heftig. Wo vor zehn Tagen noch Seen waren, ist jetzt nur Schlamm. Ich hab schon kürzlich was dazu geschrieben. Das Bild oben ist ein Screenshot aus der entsprechenden Berichterstattung von CNN.
Inzwischen sind eine Menge neuer Berichte zum Unglück dazugekommen. Michigans Gouverneurin Gretchen Whitmer sagt: Staudämme sollten sich in öffentlicher Hand befinden. Für eine US-Politikerin ist das schon ein ziemlich starkes Statement. Außerdem meint sie: Falls sich herausstellt, dass jemand an den Dämmen Mist gebaut hat, werde man die Schuldigen „zur Rechenschaft ziehen“. Klar, das wollen die Leute hören. In westlichen Gesellschaften sucht man bei Katastrophen immer einen Schuldigen. Mal abwarten, was da noch kommt.
Ich hab mich von den Kollegen jedenfalls inspirieren lassen und ein paar alte Zeitungsberichte über die Sache gefunden. Die Sache ist wirklich unglaublich. So floss zum Beispiel schon im Sommer 2010 Sickerwasser durch den altersschwachen Sanford Dam (gebaut 1923 bis 1925). Das ist der untere der beiden Dämme, die jetzt überflutet wurden.
Der Besitzer hat damals behauptet, in größter Geistesgegenwart reagiert zu haben. Er hat mitten im Sommer den Wasserspiegel des Sees gesenkt und den Damm teilweise repariert. Das Ding, so wird er zitiert, würde jetzt halten „bis Mutter Natur sich dagegen entscheidet“.
Das war ein bisschen zu optimistisch gesprochen. Die Bundes-Energiebehörde hat bei einer Untersuchung nämlich bald darauf noch mehr Stellen am Damm gefunden, die man hätte richten müssen. Der Besitzer meinte darauf: Diese zweite Rechnung müssten jetzt die Anwohner bezahlen. Es ging damals um 83.000 Dollar – ein Witz verglichen mit dem, was jetzt an Schaden entstanden ist.
MLive zitiert den Mann im Winter 2011 mit den Worten: „Die Sache ist ganz einfach – wenn Du Mitglied in einem Golfclub bist, dann zahlst Du dafür, dass der Platz in einem akzeptablen Zustand bleibt. Wenn Du an einem See wohnst, der durch ein privates Bauwerk erschaffen wird, dann muss auch jemand für diesen Damm bezahlen.“
Wie das so ist beim Pokern: Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man. In diesem Fall ging die Sache für den Besitzer gut aus: Die Anwohner haben den Hut rumgehen lassen und die Rechnung bezahlt. Warum haben die das gemacht? Ganz einfach: Sie wollten wieder Wasser in ihrem Teich haben. Ein Seegrundstück ohne Wasser vor der Tür ist nur der halbe Spaß (und wohl auch nur die Hälfte wert).
Doch die Pokerrunde am Sanford Dam war nur die Generalprobe. Denn der richtig dicke Klops lag ein paar Kilometer weiter flussaufwärts: Am Wixom Lake hatten die Bundesenergiebehörden nämlich ausgerechnet, dass der dortige Edenville Dam einer Jahrtausendflut nicht würde standhalten können. Also wollten sie, dass der Besitzer das Ding sanieren lässt – für angeblich 8 Millionen Dollar. „Hab ich nicht“, hat der Besitzer sinngemäß gesagt (klar: derselbe, dem auch der Sanford Dam gehört).
Warum nicht hier wiederholen, was schon vorher geklappt hat? Der Betreiber des Dammes wollte sich auch hier wieder die Rechnung von den Anwohnern bezahlen lassen. Sein Vorschlag: Er kriegt für jedes Grundstück am See rund 170 Dollar, 20 Jahre lang. Jahr für Jahr. Und was, wenn nicht? Dann, so zitiert ihn die Presse, würden die Bundesbehörden ihn dazu zwingen, den Stausee „in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen“. Mit anderen Worten: Der Mann hat damit gedroht, an der Badewanne den Stöpsel zu ziehen. Die Sache sei keine leere Drohung, sondern „so ernst wie ein Herzinfarkt in New York City“. Schon damals – im Jahr 2013 – hat ein Behördensprecher spekuliert, dass die Sache nicht mehr sei als „ein Bluff“.
War es auch, wie man heute weiß. Vor zwei Jahren haben die Bundesbehörden dem Mann nach langem Hin und Her seine Lizenz zum Strom-Machen entzogen. Tja. Wenn man so einen Damm besitzt, aber kein Geld mehr damit verdienen kann, dann macht man sein Eigentum nicht einfach kaputt. Man holt man sich die Kohle aus anderer Quelle. Genau so kam’s auch. Der Besitzer hat sich mit einem Konsortium (der so genannten „Four Lakes Task Force“, gegründet von den anliegenden Counties) auf einen Verkauf geeinigt. Genauer: auf insgesamt vier Stauseen und die dazugehörigen Dämme – für insgesamt 9,4 Millionen Dollar. Warum hat die Task Force gezahlt? Weil der alte Besitzer gedroht hat, den Wasserspiegel ansonsten um mehr als zwei Meter zu senken. Also wieder dieselbe Masche wie am Sanford Dam. Kein Wasser im See – kein Seegrundstück, kein Spaß, keine Lebensqualität und so weiter. Gut gepokert, kann man da nur sagen: Der gute Mann wäre wohl mit genügend Geld aus der Sache rausgekommen.
Die Task Force hätte sich die Kohle übrigens von den örtlichen Grundstückseigentümern wiedergeholt. Wer ein Grundstück mit Seezugang besitzt, sollte dafür 350 Dollar pro Jahr bezahlen, bei einem Grundstück in der zweiten Reihe immer noch 88 Dollar. Für die Anwohner war die neue Lösung also etwa doppelt so teuer wie das, was der Privatbesitzer angeboten hatte. Dafür hätte sich die Anlage in öffentlicher Hand befunden. Sie hätte sozusagen allen gehört. Das Geld wäre auf die Grundsteuer obendrauf gekommen (Hintergund: Anders als bei uns ist die Grundsteuer in den USA oft ein fettes Pfund; die Kommunen werden damit finanziert und legen den Steuersatz selbst fest; besteuert wird immer der Wert des Grundstücks; es gibt teure Städte und billige Städte; Ann Arbor ist zum Beispiel eine ausgesprochen teure Stadt. Man zahlt für ein Haus sicher über 5000 Dollar pro Jahr; wenn’s ein hochpreisiges Haus ist: über 10.000; kein Witz).
Der Deal sollte jedenfalls bis Januar 2022 über die Bühne gehen. Die Planung für die fällige Dammsanierung wollte man bis Ende 2020 abgeschlossen haben. Jetzt hat „Mutter Natur“ jedenfalls ihr Veto gegen die Sache eingelegt. Die Pokerpartie hat einfach zu lange gedauert.
Wer genau hat sich da verzockt? Im Moment sieht es so aus, als wäre der alte Dammbesitzer der Bösewicht. Aber man weiß das nicht so genau. Ich hab ja nur ein paar Zeitungsartikel gelesen. Okay. Und am Rande mitbekommen, wie im heimischen Aumühle in einem ähnlichen Fall zwischen Politik und Privatbesitzern verhandelt wurde. Bei solchen Projekten, so scheint’s, wird immer mit allen Tricks gearbeitet. Die Detroit News wirft jetzt die Frage auf, ob der obere Damm nur deshalb gebrochen ist, weil der Staat über Sommer unbedingt einen vollen See haben wollte, statt denn Wasserspiegel abzusenken und damit auf den schlechten Zustand des Staudamms zu reagieren.
Fest steht, dass jetzt alles im Eimer ist. Die Dämme und die Seen, viele Häuser, im Grunde das gesamte Tal. Auf der Website der der Task Force heißt es: Der Deal war nicht abgeschlossen und wird unter den derzeitigen Bedingungen auch nicht über die Bühne gehen.
Wie genau das alles ausgeht, werden die Gerichte entscheiden. Irgendwann. Bei dieser Pokerpartie haben ganz sicher jetzt schon alle verloren.
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