Ein Gramm Zauberpilze

Metzger’s Michigan Monday #6

Für Geo hab ich mich mehrere Wochen lang damit befasst, wie Psilocybin (die Substanz in Magic Mushrooms) dabei helfen kann, die Symptome einer Depression zu lindern. Ich hab mir auch ein paar andere (quasi-)psychedelische Substanzen angesehen, mit vielen Leuten geredet, ne Depressionsklinik besucht, sehr viel gelesen, ne Menge gelernt dabei und bin inzwischen ziemlich überzeugt, dass die Methode für viele Menschen funktioniert. In ein paar Jahren wird Psilocbyin einen festen Platz in der psychopharmakologischen Therapie einnehmen, all das ist nur noch eine Frage der Zeit, und ich sehe nicht, wie das Projekt noch scheitern kann.

In Ann Arbor sind Magic Mushrooms seit Anfang 2021 dekriminalisiert. Die Polizei unternimmt nichts, wenn sie Pilze bei dir findet. Man darf die Pilze anbauen, pflegen, besitzen und konsumieren.

Ich habe bei lockeren Gesprächen jedenfalls von einem Laden in der Stadt gehört, der die Pilze verkauft. Also bin ich hingefahren, um mit den Leuten dort zu reden. Der Mann hinterm Tresen heißt Dave. Er reagiert völlig entspannt und offen, als ich ihn nach der Sache frage. Tatsächlich: Einige der Produkte liegen ganz unversteckt in der Glasvitrine neben der Kasse. Er sagt, dass mehr als 300 Menschen regelmäßig vorbeikommen, weil die Pilze ihnen helfen. Viele sind depressiv, leiden an einer Angststörung oder an PTSD. Dave sagt, dass er bisher nur von einer Kundin gehört hat, für die die Pilze nichts gebracht haben, obwohl sie wohl mit mehreren Dosierungen experimentiert hat. Man muss dazu sagen: Die großen klinischen Studien, die bisher vorliegen, erzielen deutlich weniger hohe Erfolgsquoten. Aber dort arbeitet man auch unter verschärften Bedingungen, die mit dem Alltag von Patientinnen und Patienten relativ wenig zu tun haben. Zudem verwendet man dort einen synthetischen Wirkstoff. Manche Leute sind skeptisch, ob man damit dasselbe erreicht wie mit den Pilzen selbst. Nun. Das mag alles so oder so sein.

Jedenfalls hab ich meine Geschichte geschrieben, ohne jemals selbst eine psychedelische Erfahrung gemacht zu haben. Ich möchte das gerne ändern. Nicht, um eine Depression zu linden, sondern aus Neugier. Dave erzählt mir ein bisschen davon, wie die Sache bei ihm funktioniert. Er verfügt über diverse Gerätschaften, um die Pilze auf ihren Wirkstoffgehalt zu untersuchen. Am Ende gibt er mir ein Stück Schokolade, das genau ein Gramm getrockneter Pilze enthält. „Die Pilze selbst schmecken nicht besonders gut. Viele mögen die Schokolade lieber“, sagt er.

Ich frage ihn, ob er sich keine Sorgen macht, irgendwann Ärger zu kriegen. Denn die Dekriminalisierung deckt den Handel mit Pilzen nicht ab. Er sagt: „Bisher ist es gutgegangen, und wir helfen so vielen Menschen, die ansonsten keine Hilfe kriegen. We are doing the right thing.“ Ein tapferer Kerl ist das, so viel steht schon mal fest. Ohnehin. Ich hab in den vergangenen Monaten mit relativ vielen Menschen gesprochen, die was mit der psychedelischen Renaissance zu tun haben. Die sind sich in vielen Dingen überhaupt nicht einig – aber alle sind sehr davon überzeugt, das komplett Richtige zu tun. Pilze sind für sie eine Berufung und vor so was hatte ich schon immer Respekt. So fahre ich jedenfalls durch die Sonne zurück nach Hause.

Heute Morgen hab ich dann die Schokolade gegessen. Sie schmeckt wie Schokolade. Sehr cremig. Man schmeckt nicht, dass da noch mehr drin ist.

Alle Menschen mit Erfahrung haben mir vorher ein paar Dinge eingeschärft: Die Pilze allein machen den Job nicht. Die unmittelbare Umgebung rührt kräftig mit an der Seelenrezeptur. Und wie Du gerade drauf bist, das schmeißt auch noch ein paar Zutaten mit ins Ragout. „Set und Setting“. Jaja.

Ich habe mich also vorbereitet: Die Lebensgefährtin gefragt, ob sie meine Sitterin sein will, also aufpassen, falls mich die Panik überfällt und ich dumme Sachen machen will und so weiter. Sie hat zugestimmt, was mich mit großem Dank erfüllt. Der Typ aus dem Trüffel-Shop in den Niederlanden meinte: „Dafür fragst Du am besten wen, dem Du komplett vertraust.“ Gut so. Gut so. Nicki war da während des Trips und es gab ein paar Momente, wo mir das sehr geholfen hat.

Dann die Musik. Einige der besten frühen Psilocybin-Studien der neueren Generation kommen von der Johns Hopkins University. Die haben ihren Freiwilligen während des Trips eine Playlist auf die Ohren gegeben. Es gibt auch Studien dazu, ob womöglich eine weniger westlich orientierte Playlist in einer Therapie zu besseren Ergebnissen führt. Antwort: Es ist relativ egal. Vielleicht braucht man am Ende eine personalisierte Musikauswahl, man weiß das aber nicht so genau. Ich jedenfalls lade mir auf Spotify die Klassik-Playlist der Johns-Hopkins-Leute herunter und stelle dann mein Handy auf Flugmodus.

Dann die Schokolade. Ich setz‘ mir eine Augenbinde auf, weil mich die Geister der Innenwelt viel mehr interessieren als die womöglich lustigen Effekte der äußeren Wahrnehmung. Dann stell ich die Musik an und lege mich ins Bett.

Ich hatte während der Reise einen Audiorekorder mitlaufen und bin schon gespannt, was ich unterwegs alles erzählt habe. Werde in den kommenden Tagen mehr darüber schreiben.

Jetzt schon mal ein paar grobe Dinge aus der Vogelperspektive.

  • Mir war die ganze Zeit ein bisschen schlecht. In Amsterdam haben sie neben jeden Coffeeshop nen Waffelladen gesetzt. Das läuft mit Pilzen nicht. Man will womöglich kotzen, aber sicher nicht essen.
  • Körperlich fühlt es sich lange an wie ein Mix aus „sehr betrunken“ und „39,8 Grad Fieber“.
  • Die erste Stunde war alles andere als schön. Die englische Überschrift über meine Visionen lautet: „Being food“. Ich habe sehr, sehr viele sehr große Zähne gesehen. Jetzt: Mitgefühl mit allem, was gegessen wird.
  • Ich hatte extrem tiefe emotionale Phasen, die sich in atemberaubenden Tempo abgewechselt haben. Nicht alle Emotionen waren drin in dem Mix. Längst nicht alle. Aber anders als MDMA hat der Pilz irrsinnig viele Gesichter.
  • So ein Trip ist keine sehr soziale Veranstaltung. Man ist erstmal allein. Auch hier: ganz anders als MDMA.
  • Immer wieder Zorn auf die Musik. Auf große Terzen, dann auf das Fehlen von Terzen, auf Holzbläser, Blechbläser. Tiefe Erkenntnisse über die harte Arbeit des Flötenspiels und die Intonation im Orchester. Arme, arme Holzbläser. Nicki sagt: „Du hast sooo viel über Musik geredet.“ Später mehr.
  • Und dann: Krieg. Kampf. Mauern, um das Böse fernzuhalten. Sterben. Überleben. Feuer. Es war alles nicht schön. Aber es musste sein.
  • Ich hatte eine Reihe von Erkenntnissen. Jede Erkenntnis sagt: „An mir kommt ab jetzt niemand mehr vorbei.“ DAS ist das BESTE an der ganzen Sache. Auch hier: später mehr.

So. Ich bin noch immer in der Ausklingphase. Ich hatte nur ein Gramm, eine Hasenfußdosis für Anfänger. Drei Gramm sind ein erwachsener Trip, nach allem, was man mir so erzählt, und in der Depressions-Behandlung arbeiten sie auch mit viel höheren Dosen.

Der Pilz ist keine sanfte Droge. Er schont nicht. Er ist nichts, was ich zum Vergnügen machen würde. Aber er öffnet Türen. Die Türen führen tiefer nach unten, als ich im Alltag steigen kann. Manche führen auch nach oben. Bin froh, dass ich dabei war.

Es gab diesen einen Moment, wo die ganze Last abgefallen ist in einem großen Gelächter. Und all das war wahr zugleich in diesem Augenblick: Das Elend war wahr. Das Gefressenwerden war wahr. Der Kampf gegen das Monster war wahr – und das Gelächter über mein Leben als Mensch war wahr und dass alles schwerelos ist und wunderbar leicht.

Jetzt schnapp ich mir den Hund und dann machen wir einen Spaziergang.

Ach ja: Die bunten Bilder aus den psychedelischen Filmen, wo sich Dinge verformen und krassen Farben kriegen – davon hab ich Null mitbekommen. Im Gegenteil. Wenn die Bilder im Inneren zu heftig waren, dann hab ich die Augenbinde abgenommen und in den Garten geschaut und dort war es schön und friedlich und alles sah aus wie immer.

Ich habe in einem anderen Beitrag beschrieben, welche Erlebnisse ich dabei mit der Musik hatte. Ich bin ein auditiver Mensch, es war recht intensiv.

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