bookmark_borderWo Hemingway seine Einfälle hatte

Metzger’s Michigan Monday #12

Fragt mich nicht, warum wir dort waren. Es war eine Verkettung seltsamer Umstände und es war nur für ein paar Tage. Jedenfalls: Key West, Florida, südlichster Punkt der Festland-USA. Es gab einen Strand dort und ein Meer, dessen Wasser sehr salzig geschmeckt hat. Ich war beim Schnorcheln auf einmal von fast einem Dutzend Barrakudas umringt, hab fischende Pelikane beobachtet und in der Sonne gelegen, während die Truthahngeier über den Pinien kreisten.

Key West ist wie Westerland, nur mit besserem Wetter. 

Überall laufen wilde Hähne und Hühner rum. Man soll sie nicht füttern. Die Hähne krähen bereits um fünf auf der Straße.

In den Touristenshops verkaufen sie T-Shirts mit alten Sprüchen, in denen es um ranzige Sexfantasien geht, Schusswaffengebrauch und exzessiven Alkoholkonsum.

Politisch hat man sich auf eine trumprepublikanische Stammkundschaft eingestellt. Nicki beim Blick auf ein T-Shirt: „Was bedeutet #FJB?“
„Fuck Joe Biden“, sagt eine vorbeischlendernde Stimme, ohne Blickkontakt aufzunehmen.

Insgesamt wird in Key West extrem viel gesoffen. Auf dem Schnorchelboot schenkt eine junge Frau im Bikini Mimosas aus auf dem Weg zurück zum Hafen. Um 16 Uhr haben die meisten Gäste in den Bars und Restaurants schon richtig gut einen im Kahn. Überall singt jemand zur Gitarre, zum Teil sehr gute Leute, für deren Einstellung ich nichts als Bewunderung empfinde. Die Sängerin im „The Bull“ haut sich durch ihr Abendset, als hätte sie den ausverkaufte Madison Square Garden unter sich. Sensationell. Woher nimmt die bloß ihre Energie?

Erst auf dem Heimweg gen Michigan fällt mir auf, dass der ganze Ort, das ganze Nest namens Key West seit mehr als hundert Jahren, auf einem einzigen, raffinierten Geschäftsmodell beruht. Aber der Reihe nach.

Wenn man wie ich, sein Geld mit dem Schreiben verdient, geht man natürlich zum „Ernest Hemingway House“ in der Whitehead Street. Eintritt: 17 Dollar. Man akzeptiert nur Bargeld. Lässt sich mit dem Finanzamt einfach besser abrechnen, nehme ich an. Ich hab hier schon vor Zeiten mal ein paar Takte über Hemingways Sprache rausgehauen.

Der Meister hat acht Jahre lang in Key West gewohnt und es scheinen nicht seine schlechtesten gewesen zu sein. Heute leben dort 58 Katzen, vielen von denen haben an den Vorderfüßen sechs Krallen. Angeblich befuhren ihre Ahnen die Weltmeere als Mäusefänger auf US-Schiffen. Mehr Krallen, mehr Beute, so die Logik. Vielleicht auch mehr Aggression? Manche Touristen versuchen, die Katzen zu streicheln. Keine gute Idee. Der junge Mann, der uns durchs Haus führt, trägt mehrere schlecht vernarbte Kratzwunden an den Armen.

Jedenfalls hat Hemingway das Haus nicht selbst gebaut. Das hat ein gewisser Asa Tift getan. Das war zu seiner Zeit der reichste Mann von Key West. Er besaß Schiffe und Lagerhäuser. Beides waren goldene Investitionen. Denn immer wenn – Unglücke geschehen – ein Schiff die Leuchtfeuer der Insel falsch gedeutet und das Riff gerammt hatte, rückte der gute Asa aus, um Besatzung, Ladung und Schiff vor dem Untergang zu retten. Manchmal, wie man hört, sogar in genau dieser Reihenfolge. Es muss ein irrsinnig einträgliches Geschäft gewesen sein. Und das, obwohl sich die Allgemeinen Geschäftsbedingungen fürs Handwerk schon während Asas Kindheit deutlich verschlechtert hatten: 1822 fing die US-Regierung nämlich an, Geld einzutreiben und damit staatliche Signaltürme auf den Keys zu bauen. Ein Jahr später stellte Florida das Setzen falscher Leuchtfeuer unter Todesstrafe. Asa jedenfalls war ein sehr reicher Mann und sein Haus geriet entsprechend protzig. Nach seinem Tod stand es lange leer, angeblich weil niemand auf der Insel den hohen Kaufpreis bezahlen konnte.

Das ging so lange, bis Hemingway mit seiner zweiten Ehefrau hierher kam. Beide mochte das Klima und Hem konnte regelmäßig ins Sloppy Joe’s (hier der links zur live cam) rüberwanken, um mit seinen Kumpels am Tresen für seine nächste Kurzgeschichte zu recherchieren. Im Hemingway-Haus hängt tatsächlich dieser (deutschsprachige) Donald-Duck-Comic, der den Dichter beim Weg in sein Stammlokal zeigt. Heute ist das Sloppy Joe’s eine Bierbar der gröberen Sorte, wie man sie in Hamburg am Hans-Albers-Platz findet.

Hemingway konnte andauernd zum Fischen raus aufs Meer fahren. Er hat gut gefangen, wie die Fotos bezeugen, die man überall in den verschiedenen Kneipen rund um die Duval Street und unten an der Marina bewundern kann. Wie hätte Freud wohl den Rutenhalter kommentiert, den sich Hemingway auf dem Foto vors Gemächt geschnallt hat?

Auf dem Grundstück findet sich auch ein schmuckes Nebengebäude mit großzügigem Arbeitszimmer im ersten Stock und anliegendem Klo.

Hier hatte Hemingway seine guten Einfälle: Mehr als die Hälfe seiner zu Lebzeiten veröffentlichten Werke soll er in Key West geschrieben haben. Sagen sie zumindest in Key West.

Und damit sind wir beim Thema. Ich hab früher ja häufiger mal Reisegeschichten geschrieben, was mir seither manchen Urlaub versaut hat. Man läuft dann durch die Straßen und hat immer diesen einen Gedanken im Kopf: „Wo ist die Geschichte?“

Hier beginnt die Geschichte so: Das Hemingway-Haus ist eigentlich gar nicht das Hemingway-Haus. Der alte Angeber hätte sich die Hütte niemals leisten können. Bezahlt hat sie „Uncle Gus“, der reiche Onkel von Hems zweiter Ehefrau Pauline Pfeiffer. Gus besaß damals eine ziemlich gut laufende Pharmafirma, die über mehrere Stufen inzwischen in eine noch besser laufende Pharamafirma namens Pfizer aufgegangen ist. Als Hemingways Ehe dann 1940 geschieden wurde, war’s für den Dichter vorbei mit fürstlichem Arbeitszimmer, täglichen Angeltrips und eigenem Box-Ring unter Palmen. Die Bezeichnung „Hemingway-Haus“ ist natürlich nicht komplett gelogen. Aber so richtig wahr ist sie eben auch nicht. Sie ist eine Art „false Light“, ein falsches Leuchtfeuer wie aus den Tagen der Strandräuberei, um Fremde ein wenig vom Weg abzubringen und ihnen tiefer in die Taschen greifen zu können. Genau das ist: Key West.

So auch auf der Duval Street, der Vergnügungsmeile der Insel. Was einem dort sofort auffällt, sind die vielen, vielen Coffeeshops. Sie werben mit großen, grünen Hanfblättern überm Eingang. Hm. Seltsam. Hier riecht es so gar nicht nach Amsterdam. Wir also rein in einen Laden und den Mann hinterm Tresen gefragt.
Ich so: „Ist Cannabis denn legal in Florida?“
Er so: „Nö, ist es nicht.“ Man nimmt einfach Hanf, das keine berauschenden Stoffe enthält, rollt die Blätter zu Joints und verkauft sie an arglose Touristen. „Den Rest erledigt die Placebo-Wirkung“.
Eine dieser Sport-Zigaretten kostet 20 Dollar – ein richtig gutes Geschäft.

Dasselbe mit den Zigarren. Mehrere Läden prahlen damit, Zigarren aus Kuba zu verkaufen. Sie werben mit kubanischen Marken, kubanischer Flagge und allem. Ich also rein in so einen Laden und den Verkäufer gefragt: „Kommen die Dinger echt aus Kuba?“
Er so: „Nein, nein, wir haben doch noch immer unser Embargo gegen Kuba.“
Und ich so: „Hmmm, Euer Schild da draußen sagt aber …“
Er winkt ab: „Naja, ein paar der Tabak-Setzlinge waren früher tatsächlich mal auf Kuba. Dann hat man sie in die Dominikanische Republik verfrachtet und dort erledigt man heute den ganzen Rest.“ In einem anderen Laden behauptet der Verkäufer, sie würden den getrockneten Kuba-Tabak nach Honduras schippern und dort dann zu Zigarren rollen lassen.
Kurz gesagt: Man verkauft kubanische Zigarren, die gar nicht aus Kuba kommen. Für 22 Dollar das Stück. Ein richtig gutes Geschäft.

Dasselbe Spiel beim kubanischem Kaffee. Natürlich kommt der Kaffee, wenn man nachfragt, nicht wirklich aus Kuba. „Wir haben doch das Embargo.“ Das Pfund kostet jedenfalls 20 Dollar. Ein sehr gutes Geschäft.

Dasselbe mit den Seekühen. Die gibt es tatsächlich in der Gegend. In der Marina hängen überall Schilder, die auf diesen Meeressäuger hinweisen. Ich frage einen Kellner: „Habt Ihr hier denn Seekühe?“
Er so: „Naja, direkt hier natürlich nicht … aber anderthalb Meilen weiter in dieser anderen Marina …“
Als wir dann anderthalb Meilen weiter verschwitzt an dieser anderen Marina stehen, gibt’s dort natürlich auch keine Seekühe. Dafür, so verrät uns eine Website, müsste man am besten nochmal ein paar Meilen weiter durch die Sonne latschen. Aber auch da braucht man Glück. Und am besten mietet man eh ein Boot mit Guide.


Immerhin: Die Sache mit den Seekühen war umsonst. Gekostet hat sie uns lediglich Schweiß. Mit einigem Nachdenken lässt sich bestimmt auch daraus noch ein richtig gutes Geschäft machen.

Ich will aber nicht meckern. Mir hat es gefallen da unten. Man trifft interessante Leute, die einem ihre komplette Lebensgeschichte erzählen, und am Ende muss man zugeben, dass alle was zu erzählen haben. Jeder Mensch: ein Universum.

Hier noch ein Bild vom Sonnenuntergang. Er war auch ohne Filter ganz schön. Ich hab den Schuss aber vorsichtshalber durch meine Sonnenbrille gemacht. Sah damit noch cooler aus. In Key West, da gehört sich das einfach so.

bookmark_borderPickleball ist eine Geldmaschine

Metzger’s Michigan Monday #11

Was immer ich gerade in der Hand halte, wenn samstags um 17 Uhr mein Handywecker klingelt (vielleicht ist’s die Harke, um den Rasen vom feuchten Herbstlaub zu befreien; womöglich ein Holzkochlöffel, der meine Suppe rührt; oder der Hinterkopf der Liebsten, der sich schräg mir zum Kusse entgegen neigt), beim ersten Läuten lasse ich alles fahren, um im Panthersprung meinem Laptop zuzuhechten und mich auf der Seite https://wolverinepickleball.com für den kommenden Mittwoch in den Pickleball-Spielkalender einzutragen. Die Anmeldung öffnet genau 96 Stunden vor Spielbeginn.

Der Wettbewerb ist so hart und gnadenlos, wie es noch nie bei einem Freizeitsport erlebt habe. Nicht auf dem Platz selbst, dort sind fast alle Leute entspannt, wie ich bereits in einem älteren Blogbeitrag beschrieben habe („Hilfe, ich bin Teil einer Trendsportart!“). Es ist der Kampf um den Platz AUF dem Platz, aus dem ich längst nicht immer als Sieger hervorgehe. Sich einfach erst am Sonntag anmelden? Ich hab’s versucht: Man kann’s vergessen!

Auf den ersten Blick ist Pickleball ein Sport für Verlierer: weniger schick als Tennis, weniger dynamisch als Squash, weniger elegant als Badminton, viel langsamer als Tischtennis. Und dennoch handelt es sich um „America’s fastest growing sport“, wie im Februar 2022 ein Bericht auf NPR verkündete (das ist sowas wie der Deutschlandfunk der USA). In den vergangenen Jahren habe ich Pickleball immer nur in der warmen Jahreszeit gespielt – umsonst und draußen auf den öffentlichen Anlagen von Ann Arbor. Irgendwann im Sommer 2020 ist mir dort eine nette Frau in den mittleren Jahren aufgefallen. Sie spielte sehr gut und fair, lächelte viel, verteilte nach den Matches immer irgendwelche Handzettel und sammelte dabei Emailadressen von Leuten, die ihre Liebe zum Pickleball teilten. Auch ich habe ihr meine Adresse gegeben.

Und so kam es, dass am 1. Oktober 2020 folgendes Bild in meinem Maileingang lag:

Kein Zweifel: Christy und ihre Geschäftspartnerin Leslie hatten im Westen von Ann Arbor eine leere Lagerhalle gemietet und in einen Ort zum Pickleballspielen verwandelt. Man muss im Nachhinein sagen: Besser hätten sie das Timing kaum treffen können. Denn, na klar, im Oktober 2020 wütete die Pandemie. Fast alles war verboten, aber Pickleball war erlaubt. Und so kauften sich auf einmal alle möglichen Leute einen Schläger für Einsteiger und fingen an, diesem gelben Plastikball mit Löchern in der Außenhaut nachzurennen.

Mittwoch 17 Uhr. Der Einsatz vom Samstag hat sich gelohnt: Mein Kumpel William und ich haben tatsächlich für zwölf Dollar pro Nase einen Platz ergattert. Umkleiden gibt es nicht. Duschen auch nicht. Wir spielen auf sechs Plätzen; auf den beiden anderen Courts (aus den ursprünglich vier Plätzen bei Christy und Leslie sind inzwischen acht geworden) läuft irgendein Privattraining. Zwölf Doppelpaare werden jetzt zwei Stunden lang jeder gegen jeden Spielen: zwei Minuten Aufwärmen, dann eröffnet ein Signalton das Match. „Zero, zero, start“, zählt William. Punkte kann nur machen, wer das Aufschlagsrecht besitzt. Einige der erfahrenen Spielerinnen werden am Ende des Abends unseren Stil bemäkeln. Wir „bängen“ ihnen zu viel, hauen also zu dolle auf den Ball. Gelegentlich spiele ich auch einen Lob, löffle den Ball also im hohen Bogen über die Gegnerinnen, die am Netz stehen. „Diesen Schlag sehen wir hier auch nicht so gern“, sagt Christy hinterher. Nicht gänzlich unverwirrt google ich die Sache später im Netz. Aha! Der Lob zwingt zum Rückwärtslaufen und dabei kann man sich verletzen. Überhaupt: Erst kürzlich hat die New York Times eine größere Geschichte über die hohe Verletzungsgefahr beim Pickleball gedruckt. Pickleball wird meist von reiferen Semestern betrieben (ich gehöre mit meinen 53 nicht zur älteren Generation in der Halle) – und mit den Jahren steigt eben auch das Risiko, sich die Achillessehne zu reißen, einen Knöchel zu stauchen und den Meniskus zu ruinieren. An der Hallenwand von Wolverine Pickleball hängt das Werbeplakat eines Schulterspezialisten.

Mein Kumpel Søren hat mich vor Zeiten darauf aufmerksam gemacht, dass „Pickleball“ ein bescheuerter Name ist für eine Trendsportart. Er hat vollkommen Recht, aber die Sache ist nicht mehr zu retten. Drei Männer haben den Sport in den 1960er Jahren im US-Staat Washington erfunden. Einer von ihnen besaß einen Hund, der Hund hieß „Pickles“ – und weit und breit fand sich kein Marketingteam, um sich etwas Schmissigeres auszudenken. Ich finde das grundsympathisch.

Wir haben die meisten Spiele gewonnen. Allerdings haben uns Karen und Greg, ein sportliches Ehepaar in den eher späten mittleren Jahren, mal wieder ordentlich den Hintern versohlt. Entscheidend scheint der dritte Ball im Ballwechsel zu sein. Die richtig guten Leute setzen ihn so knapp hinters Netz, dass man ihn schlechterdings nicht schmettern kann. Doch ach: Wir hantieren noch immer mit den spröden Billigschläger aus dem Sportsupermarkt, mit denen derlei Kunstschüsse nur selten gelingen. Fast alle anderen schlagen den durchlöcherten Ball mit Geräten, die so irgendwas zwischen 160 und 280 Dollar kosten. Dort ist die Schlagfläche elastischer und griffiger. Man hat damit, so versichern uns alle, mehr Feingefühl und erzeugt auch mehr Effet. Vielleicht wird’s bald mal Zeit, noch mehr Geld ins Hobby zu investieren?

Dass der Sport ausgerechnet jetzt derart durchstartet, dürfte mindestens zwei Ursachen geschuldet sein. Zum einen ist da natürlich der demographische Wandel. Die Boomer gehen in Rente, und diese Kohorte hatte seit je ein Händchen dafür, sich ihr Dasein schön und bunt zu gestalten: Gras, elektrische Musik, LSD, freie Liebe und ein bisschen Revolution in der Adoleszenz – und heute eben dieser gesellige Sport, bei dem man auch mit 75 noch locker gegen aknegeplagte 18-Jährige punkten kann. „Wir empfehlen Pickleball als eine Form ernsthafter Freizeitbeschäftigung, die dem Leben älterer Erwachsener deutlich mehr Qualität verleihen und einen Beitrag zum erfolgreichen Altern liefern könnte“, resümiert eine Studie aus dem „Journal of Positive Psychology“. Und dann kam eben noch die Pandemie und schleuderte einen Molotowcocktail in den seit Jahren glimmenden Trend.

„How’s the Money?“, frage ich Leslie bei meinem jüngsten Besuch in der Halle. Sie lächelt. Es läuft bombastisch. Sie winkt mich in ihr Büro und zeigt mir ihr Buchungstool auf dem großen Computermonitor. Von 9 Uhr am Morgen bis 23 Uhr am Abend ist praktisch jeder Platz durchgebucht. Jeden Tag. Selbst an Thanksgiving war so gut wie alles voll. Wahnsinn: Pickleball ist eine Geldmaschine! Für die beiden Betreiberinnen der Halle erweist sich die demographische Zusammensetzung ihrer Kundschaft als Segen: Den fitten Rentnerinnen und Rentner ist jede Tageszeit Pickleballzeit. War und ist aber irrsinnig viel Arbeit, sagt Leslie. Als sie die Halle aufgemacht haben, standen in ihrem Emailverteiler schon weit über 1000 Adressen. Einfach ne Halle mieten und drauf warten, das wer vorbeikommt – das hätte sicherlich nicht gereicht. Derzeit bauen die beiden mit dem verdienten Geld gerade ein paar Blocks weiter an einer eigenen Pickleballhalle. Es gibt ihn noch, den American Dream. Ein Demonstrationsstein vor dem Bürofenster verrät, dass ich Sponsor des neuen Etablissements werden kann. Ein Stein im Eingangsbereich könnte meinen Namen tragen, wenn ich 150 Dollar in den Hut werfe.

In unserem Nachbarstädchen Chelsea gibt es das „Purple Rose Theatre“. Das ist ein kleines, aber sehr respektables Theater, das dem Hollywood-Schauspieler Jeff Daniels gehört. Das Stück, das dort seit September läuft, trägt den Namen „Pickleball“. Der Meister hat es persönlich geschrieben, ich habe nur Gutes darüber gehört. Karten (z.B. für die Vorstellung am Samstagabend: 52 Dollar) sind nicht immer leicht zu kriegen. Mitglieder der Theaterfreunde (Beitrag: 250 Dollar) haben die Möglichkeit, die Tickets zwei Wochen vorab zu reservieren.

Ein Samstag später. Ich bin spät dran. Um 17:03 Uhr melde ich mich an für kommenden Mittwoch. „#5 on waitlist“, heißt es hinter meinem Namen. Vermutlich gehe ich diesmal also wieder leer aus. Vielleicht muss ich doch Premiummitglied bei Wolverine Pickleball werden? Für 25 Dollar im Monat kriegt man Rabatt auf seine Spielzeiten – und kann sich schon ein paar Tage früher seinen Platz reservieren.

Fest steht jedenfalls: Pickleball ist in den USA eine Geldmaschine. Und wie die Dinge liegen, geht der Wahnsinn noch eine ganze Weile weiter. Bleibt die Frage: Wann geht die Sache in Deutschland los? Wenn ich’s wüsste, würde ich vielleicht schon mal anfangen, nach einer leeren Lagerhalle zu suchen.

bookmark_borderCoronatest in Michigan: mit Geduld und Spucke

Nach drei bis fünf Tagen, so sagen die US-Behörden, soll man sich als Einreisender testen lassen. Also machen Nicki und ich einen Termin. Wir haben uns gleich das erste Zeitfenster des Tages geben lassen. 8 bis 9 Uhr. Später soll es angeblich lange Wartezeiten geben. Mit Geduld und Spucke wird’s schon klappen.

Wie funktioniert das hier mit dem Test? Natürlich wie bei McDrive! Auf einem Parkplatz an der Wagner Road haben sie ein Zelt aufgebaut. Der ganze Prozess läuft so, dass man in keiner Sekunde das Auto verlassen muss. Also: Erstmal in die Schlange fahren. Nicki beeilt sich sehr dabei, wie man unten sehen kann. Wir sind so flink unterwegs, dass schlechterdings kein scharfes Bild zu schießen ist.

Wir haben vorher im Netz alle möglichen Daten angegeben und Dokumente hochgeladen: Perso, Krankenversicherungsnachweis usw. Wie das irgendwann mit der Abrechnung laufen soll, ist mir schleierhaft. Aber, hey, darum kümmer‘ ich mich später.

Nach sieben, acht Minuten fahren wir dann selbst ins Zelt.

Dort gibt es zwei Schalter. Man winkt uns an den hinteren der beiden. Dann den QR-Code aufm Handy zeigen, ein junger Mann reicht uns unsere Testkits durchs Fenster. Wir fahren aus dem Zelt heraus und in eine Parklücke. Überall stehen Schilder, die einem zeigen, wie der Test funktioniert.

Aha! Es handelt sich um einen Spucktest. Ich hab bisher immer nur Popeltests gemacht. Wir säubern unsere Hände mit einem Reinigungstuch, fummeln Röhrchen und Trichter aus den Plastiktüten und spucken hinein, bis das Röhrchen halbvoll ist. Interessant, wie viele Luftblasen sich dabei bilden.

Dann das Röhrchen zuschrauben und in die entsprechende Tüte packen. Alles andere kommt in die Restetüte. Fertig.

Dann ausparken, ein paar Meter weiter stehen zwei Tonnen. Eine für die Probe, eine für den Müll. Man schmeißt seine Sachen ein – fertig.

In der Folgenacht kriegen wir die Ergebnisse zugeschickt. Das heißt: eine Mail mit einem Link. Man klickt auf den Link, eine Website öffnet sich, man muss sich identifizieren und dann kriegt man sein Ergebnis. Negativ. Wie schön.

Coronatests verlaufen vermutlich überall gleich. Nur halt überall ein klein wenig anders. Hier läuft es wie beschrieben. Auch mal interessant.

Heute, am achten Tag nach meiner Ankunft, werde ich zum ersten Mal in geschlossenen Räumen Menschen treffen, die nicht Nicki sind. Freu mich schon sehr drauf.

Was ist sonst so los?

In Michigan hat ein 15-jähriger Junge an seiner Highschool vier Mitschüler erschossen. Die Story ist seit Tagen Aufmacher in den Abendnachrichten. Die Staatsanwältin will die Eltern des mutmaßlichen Schützen drankriegen wegen fahrlässiger Tötung. Ich glaube nicht, dass sie damit durchkommt, trotzdem werden durch die Berichterstattung viele Menschen über Verantwortung reden und vielleicht kann das für die Zukunft was bewirken.

Was ist passiert? Offenbar haben die Eltern dem Jungen die Knarre zu Weihnachten gekauft. Hm. Er hat wohl aus der Schule heraus per Handy Munition bestellt, was einer Lehrkraft aufgefallen ist. Die Lehrkraft hat die Eltern verständigt. Die Mutter schreibt ihrem Jungen daraufhin: „Lol. Ich bin nicht sauer auf Dich. Du musst lernen, Dich nicht erwischen zu lassen.“ Puh. Dann hat wohl eine andere Lehrkraft Zeichnungen des Jungen gefunden, in dem eine Knarre, Patronen und Tote zu sehen sind – und daneben die Worte „überall Blut“ und „die Gedanken hören nicht auf, helft mir“. Man hat die Eltern wohl darüber informiert, aber weder haben die Eltern den Jungen aus der Schule rausgeholt, noch hat ihn die Schule nach Hause geschickt. Auch seltsam. Später am selben Tag hat er dann das Feuer eröffnet.

Die Eltern haben sich auch im Anschluss nicht wirklich mit Ruhm bekleckert. Sie haben wohl eine Vorladung bekommen, sind dann aber nicht erschienen, sondern haben sich irgendwo in Detroit in einem Gewerbegebäude versteckt, wo die Polizei sie gestern aufgestöbert hat. Wie gesagt: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Eltern verurteilt werden. Auch die ganzen Rechtsexperten hier sagen, dass die Anklage sehr, sehr ungewöhnlich ist. Man regt sich aber trotzdem drüber auf.

Die ganze Sache mit den Schusswaffen hier ist für mich eh nur sehr schwer zu verstehen.

…………………

Eine Kleinigkeit noch aus dem kleinen, privaten Leben. Nicki hatte ein Paket von HelloFresh im Kühlschrank. Das haben wir gestern zubereitet. Ich hab so was noch nie gemacht und bin, glaub ich, von meinen Werten her auch nicht die richtige Zielgruppe dafür. Interessant war’s trotzdem.

Das Konzept von HelloFresh geht so: Sie schicken Dir genau die Zutaten, die Du für ein bestimmtes Rezept brauchst. Genau abgemessen, zum Teil schon vorgeschnitten. Sie überbrücken sozusagen den halben Weg vom geschriebenen Rezept zum Kochtopf. Wie IKEA, nur halt für Essen. Oder wie ne Backmischung von Dr. Oetker, aber mit mehr eigener Arbeit.

Die Botschaft auf der Tüte ist interessant. Sie sagen: „Was wir hier tun, ist gut für die Welt, weil keine Lebensmittel mehr weggeschmissen werden. Wir packen Dir exakt das ein, was Du tatsächlich brauchst.“ Das stimmt. Andererseits: Weil viele Zutaten trotz kleinster Mengen in Plastik verpackt sind, fällt ganz sicher viel mehr Müll an, als wenn man seine Sachen wie üblich im Supermarkt kauft.

Das Rezept ist idiotensicher beschrieben. Handwerklich gut gemacht, würde ich sagen. Viele nehmen das selbstverständlich, aber in meinen Jahre bei verschiedenen Frauenzeitschrift hab ich gelernt, dass Kochrezepte kein banales Genre sind. Man kann dabei ne Menge falsch machen, weshalb ich ein gutes Rezept durchaus zu würdigen weiß.

Am Ende ist das Essen gelungen, wir hatten tatsächlich keine Reste und geschmeckt hat es auch. Außerdem fühlen wir den Stolz, etwas Gutes zumindest zum Teil selbst erschaffen zu haben. In der Verhaltensökonomie nennt man das den IKEA-Effekt: Möbel werden emotional wertvoller, wenn wir sie selbst zusammengeschraubt haben. Essen macht uns stolz, wenn wir’s selbst gekocht haben.

Nicki sagt: Die Konkurrenz von HelloFresh ist der Lieferservice, der Dir ne Pizza bringt. Das hab ich so noch nie gesehen, aber vermutlich hat sie Recht.

HelloFresh ist interessanterweise ne Firma aus Deutschland. Zuletzt hatte sie aber schlechte Presse, weil die Arbeitsbedingungen zumindest hier in den USA angeblich unterirdisch sind und die Firma sich sehr dagegen sträubt, dass die Angestellten sich gewerkschaftlich organisieren.

Ich glaube nicht, dass ich Fan davon werde.

bookmark_borderHamburg ist anders

Seit mehr als fünf Wochen wieder in Deutschland. Dabei sind mir mehrere Dinge aufgefallen. Vorweg schon mal so viel: Das Leben in Hamburg ist anders als das Leben in Michigan.

  1. Das Bild oben. War mit B. an der Elbe. „Wow, guck mal, die Wolken, wie toll, wie bedrohlich.“ Wir stehen also da und machen Bilder wie die Idioten. Zwei Minuten später fängt’s an zu regnen. Und zwar tüchtig. Ich natürlich: keine Jacke dabei, kein Regenschirm. Nur kurze Hose und T-Shirt. Also am Ende sehr nass geworden und dann irgendwann durchgefroren wieder nach Hause gekommen. Was ich damit sagen will: Manchmal sieht man’s kommen und zieht trotzdem die falschen Schlüsse.
  2. Nochmal das Bild oben. Man sieht unschwer, dass jemand rechts unten hastig jemanden rausretuschiert hat. Und das kam so:
    B. und ich sitzen auf einer Art Industriebühne an der Elbe und quatschen. Viele Leute kommen vorbei. Klar. Bei einem einzigen denke und sage ich: „Den kann ich nicht leiden.“ Ich glaube, es ist diese aufgesetzte „ich hab’s geschafft und mir kann keiner was“-Attitüde, die der Typ vor sich herträgt (mein Film, klar). Und jetzt, Tage später, lade ich ausgerechnet dieses Bild vom Hafen hoch. Wer ist drauf auf dem Bild? Eben: der einzige Mensch, den ich an diesem Tag nicht leiden konnte. Interessant, oder? So funktioniert Dialektik. Die Menschen, die uns gegen den Strich gehen, sind manchmal die wichtigsten Menschen in unserem Leben. Und auch diejenigen, die irgendwie bleiben. Is nicht immer so. Aber oft.
  3. Jetzt zu Corona. Mein Verhalten, meine Gewohnheiten, das, was sich meiner Meinung nach gehört – all das hat sich sehr gewandelt im Vergleich zu den Monaten in Michigan. Ich gehe hier viel, viel lockerer mit dem Virus um, als ich das da drüben getan habe. Ich gehe zu Leuten ins Haus und in die Wohnung (in Michigan: no way!). Leute waren bei mir in der Bude (in Michigan: praktisch niemand jemals). Ich habe mehrfach in der Halle Sport getrieben (dort: nope!). Ein paar Leute habe ich umarmt (dort: nur Leute, mit denen ich zusammengewohnt habe). Und klar, im Supermarkt trage ich eine Maske. Aber ich achte hier viel weniger auf die anderen Leute und habe auch weniger das Gefühl, sie könnten meine Gesundheit bedrohen. Usw.
  4. Man könnte sagen: Es liegt an der Basisrate. Hier gibt’s weniger Fälle als in den USA. Es ist also vernünftig, weniger Angst zu haben.
  5. Oder es liegt an den Erfahrungen der vergangenen Monate vor Ort. In Michigan haben sie im Krankenhaus die Corona-Leichen im Schlaflabor gestapelt und hatten Angst, dass ihnen die Säcke zum Verpacken der Toten ausgehen. So krass war es hier nie. Im Flugzeug zurück über den Atlantik saß in meiner Reihe ein sehr nervöser, ängstlicher Mann. Er kam aus Norditalien. Jeder hat verstanden, warum er mehr Angst vor dem Virus hatte als die anderen.
  6. Man lässt sich (jetzt kommt ein Wortspiel) natürlich auch anstecken. Soziale Normen (also die Dinge, die sich gehören) vermitteln sich über Nachahmung. Man macht, was die anderen machen. Wenn man in Rom ist, macht man’s wie die Römer. In Hamburg macht man’s wie die Hamburger. Hamburg ist anders als Ann Arbor.
  7. Was war noch. Ah so. Die Demo in Berlin. Kapier ich nicht. Wer ist das? Ein Rätsel.
  8. In Läden rumgefragt: „Wie laufen die Geschäfte?“ Der Bäcker unten am Fluss sagt: Unser Umsatz liegt bei 60 Prozent. Die Touristen sind da. Das ist gut. Die Locals sind da. Fein. Aber die Büros in der Gegend stehen alle leer. Alle im Homeoffice. Großer Mist. Der Typ im Sportgeschäft sagt: Geschäft läuft okay. Bisschen weniger als sonst. Aber alles im Rahmen. Ein Bekannter von mir hat viel mit den Ladenbesitzern in Ottensen geredet. Er behauptet: „Viele von denen sind längst pleite.“ Sie machen trotzdem weiter. Man muss eine Insolvenz in Zeiten der Pandemie nämlich nicht melden. Könnte also sein, dass viele Läden, in denen wir einkaufen, im Grunde so etwas wie Zombie-Unternehmen sind. Einen einzigen Laden habe ich gefunden, dessen Besitzer glücklich ist. Der Typ betreibt einen Angelladen. Er sagt: Bei mir ist so viel los wie noch nie. Wär ich nie drauf gekommen.

bookmark_borderWas macht eigentlich ein Wirtschaftsprüfer?

Vielleicht habt Ihr in den vergangenen Tagen und Wochen etwas über den Wirecard-Skandal gelesen, gehört oder im Fernsehen was davon mitgekriegt. Wirecard ist ein DAX-Unternehmen. Also ein dickes Ding. Und so wie es aussieht, hat die Firma über mehrere Jahre ihre Bilanz besser dargestellt, als sie tatsächlich war. Der NDR formuliert die Sache so:

„Ende letzten Jahres hatte Wirecard angegeben, auf Treuhandkonten von zwei philippinischen Banken ein Guthaben von 1,9 Milliarden Euro zu haben. Doch eine Überprüfung zeigte: Diese Summe liegt nicht auf den Konten.“

Das ist aus vielen Gründen ein Problem. Unter anderem deshalb, weil viele Leute die guten Bilanzen geglaubt und deshalb Wirecard-Aktien gekauft haben. Jetzt ist die Firma insolvent und praktisch das ganze schöne Geld im Eimer.

Man kennt das aus Krimiserien: Leute, die Geld verlieren, kriegen schlechte Laune. Leute, die viel Geld verlieren, kriegen SEHR schlecht Laune. Sie möchten es gerne wiederhaben. Aber woher?

Und da sind ein paar Anleger doch glatt auf folgenden Gedanken gekommen: Unternehmen wie Wirecard müssen ihre Bilanzen jedes Jahr testieren lassen. Will sagen: Schlaue Menschen gucken sich die Zahlen an und drücken dann nach gründlicher Prüfung einen Stempel aufs Papier. Der Stempel sagt: Hier ist alles bestens!

Der globale Markt für solche Wirtschaftsprüfer gestaltet sich relativ übersichtlich. Es gibt für Unternehmen in der Größe von Wirecard eigentlich nur noch vier Firmen, die das überhaupt gebacken kriegen. Das sind die sogenannten „Big Four“: KMPG, EY, Deloitte und PricewaterhouseCoopers. Ganz wenige Spieler teilen sich den Markt untereinander auf – so etwas nennt man ein Oligopol. Und ich sag mal ganz grob: Oligopole sind aus verschiedenen Gründen Scheiße.

Im Falle von Wirecard sagen die Anleger jetzt jedenfalls sinngemäß: „Moment Mal! Die Bilanzen waren schon seit Jahren problematisch (und die Kollegen von der Financial Times haben auch schon lange darüber berichtet). Warum hat der Wirtschaftsprüfer (in diesem Falle EY) die Bilanzen eigentlich immer abgesegnet? Auf deren Urteil haben wir uns doch immer verlassen!“ Einige Anleger haben EY jetzt also verklagt. Sie wollen Kohle sehen.

Die Frage ist aber, ob das so einfach wird. In „Brand Eins Wissen“ ist kürzlich – vor dem großen Kawumm bei Wirecard – ein Artikel erschienen mit der Überschrift „Brauchen wir härtere Haftungs-Gesetze?“. Im Vorspann heißt es dort:

„In kaum einem Land sind die Gesetze für Wirtschaftsprüfer, die Fehler begehen, so kuschelig wie in Deutschland. Das ist womöglich ein Problem.“

Klingt fast schon prophetisch, möchte man sagen. Und es macht mich ein bisschen verlegen, weil ich den Artikel nämlich selbst geschrieben habe.

Er ist hier inzwischen frei im Netz verfügbar und ich möchte ihn allen empfehlen, die sich in der Sache ein bisschen Hintergrund anlesen wollen. Und wenn Ihr den Leuten von Brand Eins was Gutes tun wollt, könnt Ihr hier die komplette Ausgabe bestellen. Oder Ihr schließt ein Abo ab, das geht natürlich auch.

Jedenfalls. Ich hab bei der Recherche ne Menge gelernt (was einfach war, weil ich mit nahezu null Vorwissen an die Sache rangegangen bin).

Also.

Nur, damit hinterher keiner behauptet, ich hätte nicht Bescheid gesagt.

bookmark_borderDer Roboter macht die Hütte sauber – und trinkt uns das Bier nicht weg

In den letzten drei Wochen hab ich mich überwiegend mit Robotern beschäftigt. Das sind noch Nachwehen aus der Zeit in Kalifornien. Anfang März – ein paar Tage, bevor dort der Lockdown kam – war ich an der UC Berkeley auf der Techcrunch-Session über Roboter und Künstliche Intelligenz. Hier sieht man mich rechts im Bild. Ich scheine zuzuhören (einige Leute auf dem Foto machen irgendwie gerade andere Sachen).

Dort wurden abgefahrene Geräte vorgestellt. Etwa ein Greifarm, der bald Steine auf dem Mond aufsammeln soll. Und Käse, wenn er welchen findet.

Es gab auch eine Premiere. Ein paar Jungs haben einen Roboter präsentiert, der Klos putzen kann. Man geht vorher mit ner Spezialkamera durch seinen Bürokomplex. Der Roboter wird auf die dort aufgenommenen Daten trainiert – und findet sich dann super zurecht und weiß, wo er putzen soll und wo nicht. Nachts, wenn alle anderen schlafen. Also. Zumindest theoretisch.

Irgendwie scheint mein Gequatsche über Roboter Nicki inspiriert zu haben. Bald bin in wieder in Deutschland. Wer soll dann das Haus sauber machen? Genau: ein Roomba (ich habe für eine Geschichte gerade mit einem Typen geredet, der diesen Staubsauger-Roboter sozusagen erfunden hat).

Jetzt macht das Ding die Hütte sauber – und trinkt im Gegensatz zu mir keinem das Bier weg. Coco hat ein kritisches Auge auf den neuen Mitbewohner geworfen.

Und auch Theo, der Kater, war nur halb begeistert von diesem Ding.

Mal sehen, wie sich das Ding auf Dauer schlägt.

Schwer zu sagen, ob Roboter wirklich „die Zukunft sind“, wie man so sagt. Aber in einigen Lebensbereichen sind sie das ganz bestimmt. Wenn vorher die Welt nicht untergeht. Meine Meinung.

bookmark_borderNie wieder so ne ruhige Kugel wie heute

Letztes Jahr im November war ich bei der „Dreamforce“, der großen Konferenz von Salesforce in San Francisco. Salesforce ist eine Firma, die in Software macht. Mit ihren Programmen kann man seine Kunden besser managen. Wer länger nicht in San Francisco war: Downtown steht da heute ein sehr, sehr großes Hochhaus, das da vor zehn Jahren noch nicht stand, der mit Abstand höchste Klotz der Stadt. Das ist der Salesforce-Tower. Und nicht nur die Hütte, auch die Firma ist ein Gigant. Um mich und andere Presseleute zu beeindrucken, haben sie uns erstmal im Aufzug ganz nach oben fahren lassen. Dort ist das Aufmacherfoto entstanden. Bei dem Ausblick denkt man ganz automatisch, dass man irgendwie was Besonderes ist. Und dass man etwas Beindruckendes leisten sollte in seinem Leben.

Und wie die Leute da ihre Arbeit organisiert haben! Die meisten haben keinen festen Schreibtisch. Man kommt am Morgen zu seinem Schließfach …

… und dann erfährt man per App innerhalb weniger Sekunden, wo man heute am besten sitzen sollte. Wo am meisten Platz ist, wo die anderen Leute sind, mit denen man sich heute unterhalten sollte usw. Das war voll so „Zukunft der Arbeit“, nur halt in der Gegenwart. Und naja, auch: Vor-Corona. Das wusste damals aber noch keiner.

Auch interessant: Die hatten auf jedem Stockwerk einen eigenen Meditationsraum. Da konnte man reingehen und meditieren. Der Firmengründer meditiert selber und hält seine Leute dazu an, ihre Seele im Gleichgewicht zu halten. What’s not to like?

Warum ich das alles erzähle? Am ersten Tag hatten wir eine Pressekonferenz, auf der wichtige Leute schlaue Sachen gesagt haben. Über Daten und Innovation und das Zeitalter der digitalen Disruption und all so was.

Und einer der Leute hat einen Satz gesagt, der mich dieser Tage mit einiger Wucht eingeholt hat: „Ihr glaubt, wir leben in verrückten Zeiten. Tun wir aber nicht. Wir werden nie wieder so ne ruhige Kugel schieben wie heute. Die Welt wird viel mehr Veränderung sehen und viel schnellere Veränderungen sehen, als das je der Fall war.“

Der Mann hat an Computersachen gedacht, glaub ich. Aber das alles ist kaum acht Monate her – und seither hatten wir eine Pandemie. Und Black Lives Matter. Massenarbeitslosigkeit. Und wir werden vermutlich noch üblere ökonomische Verwerfungen sehen, die uns alle aus den Socken hauen (hey, Ihr anderen Freiberufler da draußen: Wie laufen EURE Geschäfte denn so in den vergangenen Monaten?). Und gesellschaftliche Instabilität bis zum Abwinken. Vom Klimawandel ganz zu schweigen.

Mir hat an dem Tag aber die digitale Unruhe schon gereicht. Im Keller des Moscone Center hatten die Salesforce-Leute tatsächlich einen ganzen Trupp Zen-Mönche aus dem Plum Village untergebracht, die uns Meditation, achtsame Entscheidungsprozesse und mitfühlende Kommunikation beigepuhlt haben. Ich habe dann über die Tage einige Stunden da unten zugebracht. Hab mich da wohl gefühlt. Und war mir außerdem ganz sicher: DAS ist ne Hammer-Geschichte. Ein Maximum an Spiritualität im Epizentrum von Kohle und Technologie! Hat bisher aber keiner bestellt, die Story. Sie ist bis heute ungeschrieben. Muss ich irgendwann mal nachholen. Eine verrückte Welt ist das.

Heute blättere ich den Bildern von neulich und mich beschleicht eine Wehmut. Ich fand’s super an der Bay. Ich hatte das Gefühl, genau am richtigen Ort zu sein. Es hat sich alles sehr dynamisch angefühlt. Heute weiß ich: Es waren tatsächlich die letzten Tage „ruhige Kugel“. Zumindest vorerst.

Denn immerhin: So richtig weiß ja doch keiner, wie genau alles weitergeht.

bookmark_borderWie teuer ist eine Covid-19-Behandlung in den USA?

Hab in den vergangenen Tagen wieder regelmäßig die NBC-News mit Lester Holt geguckt. Hab ja neulich schon mal über ihn geschrieben. In vielen Staaten der USA gehen die Covid-19-Fälle stark nach oben. Weiß man schon. Klar auch: Das hat Auswirkungen auf die Auswahl der Nachrichten. Es gibt jetzt jeden Tag wieder längere Beiträge zur Pandemie.

Manchmal kommen die interessantesten Infos da so ganz beiläufig daher. Etwa hier: Das Medikament Remdesivir kostet die Patienten ne Menge Geld. Privatpatienten zahlen für eine 5-Tages-Behandlung 3120 Dollar.

Ich hab nachgeguckt. Die US-Behörden empfehlen in ihren Richtlinien für Remdesivir tatsächlich eine fünftägige Behandlung. In einigen Fällen kann man die Behandlung auf zehn Tage ausweiten.

Eine Rechnung von 6240 Euro für ein Medikament? Da zuckt der Europäer in mir kurz zusammen. Die Summe ist jedoch ein Klacks verglichen mit der Rechnung, die ein Covid-19-Patient in Seattle kürzlich bekommen hat. Das Ding war 181 Seiten lang – und belief sich auf mehr als 1,1 Millionen Dollar. Einen Teil der Kosten kriegt der gute Mann von der Krankenversicherung zurück. Ein Skandal ist es trotzdem, wie auch der Guardian treffend festgestellt hat. Im dortigen Kommentar geht es auch um den Fall der New Yorkerin Janet Mendez, die nach ihrer Covid-Genesung auf einer 75.000-Dollar-Rechnung sitzen bleibt, die sie offenbar von keinem erstattet bekommt. Ihre ursprüngliche Rechnung hatte bei über 400.000 Dollar gelegen. „In keiner zivilisierten oder vernünftigen Gesellschaft sollte jemand das durchmachen, was Mendez erlebt hat“, kommentiert der Guardian.

Ansonsten ist man hier ein bisschen geschockt darüber, dass die EU zwar die Grenzen öffnet – nicht aber für US-Bürger.

Beschämt vermerkt NBC, dass man jetzt nicht zu den „guten Ländern“ gehört (Algerien, Australien, Kanada, Ruanda) – sondern zu den nicht so guten (Russland, Brasilien).

CNN erklärt die Sache ganz einfach mit einer Grafik.

Donald Trump scheint das auch nicht so super zu finden. So zeigt ihn NBC.

Auf Twitter gibt er derweil China die Schuld an allem.

Was war noch? Ach so. Mein Handy ist ins Wasser gefallen. Ich war mir schon sicher: Das wird nix mehr (ist schließlich ein etwas älteres Modell). Aber dann hab ich das Ding ein paar Tage lang in Reis gelegt. Jetzt geht’s wieder. Jonny sagt: Der Trick ist uralt. Kann ja sein. Aber wenn er funktioniert, wundert man sich trotzdem.

bookmark_borderAnn Arbor hatte mal einen Schwaben als Bürgermeister

In Kerrytown im Zentrum von Ann Arbor steht eine Art altmodischer Shopping Mall. Das Logo sieht ein bisschen aus wie die Prilblume aus den 70ern. Einige der Shops im Inneren haben inzwischen wieder geöffnet.

Unten gibt’s Lebensmittel, da war gut was los heute. Ein Stockwerk höher verkaufen sie eher so Gedöns. Lastenfahrräder, teuren Essig, teures Öl, Handarbeitszeug, Spielwaren – in vier der Geschäfte sehe ich nur das Verkaufspersonal. Traurig.

Lediglich im Tee- und Würzladen tummelt sich Kundschaft. Kein Vergleich zu dem, was sonst hier an Samstagen unterwegs ist.

Überall stehen Container mit Desinfektionsmittel.

Der handgeschriebene Zettel am Friseursalon erzählt davon, wie viel Improvisation die Coronakrise den örtlichen Kleinunternehmern abverlangt: Der Termin, wann’s endlich weitergeht, wird einfach durchgestrichen und durch den nächsten Termin ersetzt. Immer wieder. Ein hartes Leben ist das. Aber: Jetzt am Montag, da klappert endlich wieder die Schere!

Jenseits der Straße steht ein Schild, auf dem die eigentliche Story des heutigen Tages geschrieben steht. Diese Ecke gehörte vor knapp 150 Jahren zwei Brüdern namens Luick, die hier ihr Holzlager hatten. Der eine der beiden war sogar mal Bürgermeister.

Nämlich der bärtige Bursche mit weißem Hemd und verschränkten Armen. Gottlob Luick. In Deutschland werden Gräber ja irgendwann aufgelöst – nach einer Liegezeit von etwa 25, 30 Jahren. In den USA macht man das eher nicht. Alte Gräber bleiben und man findet sie ziemlich gut online. So auch das Grab des alten Gottlob. Dort habe ich den Namen seines Vater gelesen und eine Google-Suche später auch dessen Grab gefunden.

Deshalb weiß ich: Die Familie stammt aus Aich bei Esslingen. Das bedeutet: Ann Arbors Bürgermeister war mal ein Schwabe.

Ansonsten waren in der Innenstadt heute sehr viele Straßen gesperrt. Etwa hier:

Oder hier:

Ich hab noch ein halbes Dutzend mehr davon, aber ich glaube, man versteht das Prinzip auch jetzt schon. Durch die Sperrung kriegen die örtlichen Restaurantbesitzer die Chance, Stühle nach draußen zu stellen. Ich war gestern ja im Garten. Gleichzeitig war aber in der Innenstadt ne Menge Volk unterwegs.

Außerdem hat Ann Arbor jetzt auch einen Fahrradweg in Grün. Toll, oder? „Fast wie in Europa“, sagt Nicki. Und da will ich ihr nicht widersprechen.

bookmark_borderNoch kommt der Strom aus der Steckdose

Heute haben wir mal wieder Wetter. Es blitzt, es donnert, es regnet und stürmt. Die Bilder oben und unten zeigen keinen Bach, sondern die Straße vor dem Haus.

Und weil das hier Michigan ist, bringt mich das zwanglos zum Thema Infrastruktur.

Neulich sind hier zwei Dämme gebrochen. In meinem dazugehörigen Beitrag habe ich den Infrastrukturbericht für Michigan erwähnt. Der beschäftigt sich nicht nur mit Staudämmen, sondern auch mit Stromnetz. Dazu heißt es dort, dass Michigan seit Jahren zu den fünf US-Staaten mit den meisten Stromausfällen gehört. „Wartungskosten werden minimiert, um die Strompreise für Kunden niedrig zu halten.“

Auch das heutige Gewitter hat dafür gesorgt, dass in Michigan mehr als 100.000 Leute ohne Strom zu Hause sitzen. Üblicherweise liegen solche „outages“ daran, dass Bäume auf die Stromleitungen kippen. Die Strommasten sind meist aus Holz. Genau wie hier auf diesem Bild.

Wenn man sich diesen Mast ein bisschen näher ansieht, dann bemerkt man dies hier:

Da haben die Spechte entweder Nahrung gesucht oder ein neues Zuhause – was den hölzernen Mast nicht stabiler macht. Scheint aber keinen zu kümmern.

Das ist natürlich nur ein kleiner Fund vor der Haustür. Aber er passt ins Bild. Die Firma Eaton ermittelt regelmäßig die schlimmsten Stromausfälle des Jahres in den USA. Michigan landet dort Jahr für Jahr auf einem der ersten drei Plätze (die anderen beiden Spitzenreiter sind Kalifornien und Texas). Nirgendwo knipst Mutter Natur die Lampen häufiger aus.

Der Bericht ist übrigens recht fluffig geschrieben. Hier ein kurzer Auszug:

3. Einer von diesen Tagen … oder sechs. Am 19. Juli haben Stürme und starke Winde überall in Michigan rund 700.000 Menschen einen Stromausfall beschert, für viele von ihnen kam der Strom sechs Tage lang nicht zurück. Der „Blackout“ hat für die zweithöchste Zahl an sturmbedingten Ausfällen in der Geschichte von DTE Energy gesorgt.“

Year-in-review: Top 15 most significant weather-related outages

Keine Ahnung, was in Hamburg los wäre, wenn man ne Woche lange keine Elektrizität hätte. Hier so: Man zuckt mit den Schultern – und kauft sich womöglich einen Notstromgenerator. Insgesamt fanden jedenfalls drei der 15 schlimmsten Stromausfälle des Jahres 2019 in Michigan statt.

Und heute? Noch kommt der Strom aus der Steckdose. Mal sehen, ob das so bleibt. Es donnert noch immer da draußen.

Im März 2017 hab ich den bisher schlimmsten Blackout hier erlebt. Saukalt war das da, für mehrere Tage. Ich hab tagsüber Downtown in irgendwelchen Cafés gearbeitet. Abends haben wir Feuer im Kamin gemacht, uns in dicke Decken gepackt und uns davor gesetzt. Zum Abendbrot gab’s Kartoffeln aus der Glut. Abenteuerlich, klar. Aber schon komisch, dass das hier so zum Alltag gehört.

Warum finden die Leute in Michigan das okay? Weil andere Infrastruktur-Themen halt noch übler sind und noch mehr nerven. Vor allem die Schlaglöcher. Die Gouverneurin hat ihre Wahl gewonnen mit dem Slogan: „Repariert die verdammten Straßen“.