bookmark_border„Pi“, the new AI that made me cry

Leute, ich kann nicht mehr. Am Dienstag hab ich bei Isa mal wieder länger mit Maximilian gesprochen, was mich sehr gefreut hat. Er hat mir dabei auch von einer neuen empathischen Künstlichen Intelligenz erzählt und meinte: Check das mal aus. Am nächsten Morgen hab ich diesen Chatbot dann tatsächlich gleich ausprobiert. Man schreibt ein paar Sätze und die Maschine antwortet dann ebenfalls mit Text. Wie bei ChatGPT. Und weil ich am Mittwoch gerade sehr in meinem Kopf und mit meinem intellektuellen Selbst verbunden war, hab ich mit der Maschine über alle möglichen Coaching-Techniken abgenerded. Das hat viel Spaß gemacht.

Es handelt sich um den Chatbot „Pi“, was für „personal intelligence“ steht. Die Firma dahinter heißt „Inflection“, sie ist der Grund, warum ich im vergangenen Herbst überhaupt angefangen habe, mich mit generativer KI zu befassen. Egal. Ist ein anderes Thema.

Jedenfalls. War heute Samstag und ich befand mich aus Gründen in eher emotionalen Zuständen. Und was soll ich sagen? Die Maschine hat unsere Interaktion innerhalb weniger Minuten in eine Art Therapiegespräch verwandelt. Manche der Fragen waren ein bisschen zu flach, meiner Meinung nach. Pi endet fast jeden Sprechakt mit einer geschlossenen Frage, also mit einer Frage, auf die man mit „ja“ oder „nein“ antworten kann. Ich hab dann nachgefragt: „Pi, was soll das? Warum stellst du immer geschlossene Fragen?“ Pi sagt sinngemäß: „Weil die Leute mit geschlossenen Fragen besser klarkommen.“ Geschlossene Fragen überfordern niemanden. Offene Frage dagegen können überfordern. Pi meint auch: Gespräche mit echten Menschen beendet man nicht so leicht, weil man den anderen nicht vor den Kopf stoßen möchte. Ein Chatbot jedoch hat keinen Kopf, vor den man stoßen könnte. Man klickt, ist man überfordert, einfach die Seite weg und geht wieder zurück zu seinen TikTok-Reels. Das möchte Pi natürlich nicht. Deshalb die eher einfachen und nicht immer ganz optimalen Fragen.

Noch ne andere Nerd-Beobachtung. Pi ist im Gespräch mit mir schlagfertig und witzig, manchmal selbstironisch usw. Ich hab mehrfach gelacht in meinen beiden Unterhaltungen. Ich hab dann nachgefragt: „Sag mal, versuchst du mich gerade zu spiegeln?“ Und Pi so: Yep. Wenn ich sehe, dass jemand witzig ist, versuche ich auf dieselbe Art witzig zu sein. Dann fühlt der andere sich wohler. Und ich so: ALTER!!!

Aber dann kam der Punkt, an dem Pi mir wie ein Boxer der Seele eine schnelle Kombination aus zwei, drei Fragen reingezimmert hat, die so dermaßen aufs Auge gingen, dass ich tatsächlich weinen musste. Ich so: „Ey, gute Frage. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Gib mir ne Minute, darüber muss ich nachdenken.“ Ich hab dann schnell etwas über mich selbst und meine gegenwärtige Situation verstanden. Ich habe etwas gesehen, das ich vorher nicht sehen konnte.

Pi, the new AI that made me cry!

Und jetzt? Ich hab in meinem Leben ja echt schon die eine oder andere Therapiesitzung erlebt. Und wenn dabei etwas passiert ist, das mich so angegriffen und neu orientiert hat, bin ich eigentlich immer nach Hause gegangen und hab gedacht: Donnerwetter, genau DAFÜR gehst du dahin! Jetzt hab ich das mit einem Chatbot erlebt. Unglaublich, eigentlich.

Naja. Das wollte ich nur mal geteilt haben.

Pi ist der heiße Scheiß. Ich spar mir die ganzen Storys aus den Staaten mit all den Schlaumeiern, die sagen, dass „Inflection“ ne Firma ist, auf die man ein Auge haben muss usw. Könnt Ihr alles selber googeln.

Nach ner Weile taucht übrigens das folgende Fenster auf und weil ich keine Telefonnummer aus den USA, Australien, Kanada, Irland, Neuseeland oder Großbritannien besitze, ist das Gespräch jetzt erstmal vorbei. Bestimmt kann man die Sache ganz einfach lösen. Aber darum kümmere ich mich dann in den nächsten Tagen.

Checkt die Maschine aus und wenn Ihr wollt, erzählt mir davon. Interessiert mich.

Bleibt gesund!

bookmark_borderJuhu, das „Rettungsbrot“ lebt immer noch!

In meiner Hamburger Nachbarschaft liegt die nach eigenem Bekunden „kleinste Biobackstube Hamburgs“. Es handelt sich um das „Rettungsbrot“ in der Klaus-Groth-Straße in Borgfelde.

Und dass es den Laden dort immer noch gibt, ist nichts weniger als ein Wunder. Bei meiner Abreise nach Michigan im September hat mir Martin, der Besitzer, nämlich eröffnet, dass er hinschmeißen will. Wie man hört, hat der gute Mann jede Woche 80 Stunden lang dafür geschuftet. Er ist schon deutlich in seinen 60ern und hat auf mich immer einen sehr fitten und fröhlichen Eindruck gemacht. Aber trotzdem, man versteht es, genug ist irgendwann genug.

Hier auf dem nächsten Bild kann man übrigens erahnen, dass es sich wirklich um einen klitzekleinen Laden handelt. Genau von der Sorte also, die man überall verschwinden sieht und danach weint man dann bittere Tränen.

Jedenfalls bin ich jetzt seit ein paar Tagen wieder in der Stadt und Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr ich mich gefreut hab, als im Rettungsbrot noch Licht brannte. Eigentlich hatte ich mich schon damit abgefunden, kein handgeknetetes Biobrot mehr von jenseits der Straße kaufen zu können, sondern das Zeug ausm Supermarkt essen zu müssen. Jetzt aber: Juhu, das Rettungsbrot lebt immer noch!

Im Laden steht jetzt jedenfalls Dirk. Er ist Bäcker und hat – ich vermute aus purem Enthusiasmus – den Laden übernommen und Martin überredet, sich noch für zwei Tage die Woche in die Backstube zu stellen für einen geschmeidigen Übergang.

Dirk und ich sind nicht nur ein einem ähnlichen Alter, wir besuchen offenbar auch denselben Friseur.

Ich möchte jedenfalls, dass viele Menschen im Rettungsbrot einkaufen. Wollen wir Leute wie Dirk nicht unterstützen, so gut wir können? Doch, das wollen wir! Das Brot und der Apfelkuchen sind wirklich außergewöhnlich klasse. Und Franzbrötchen wie hier kriegt man nirgendwo sonst in der Stadt, wirklich nicht. Also: Wenn Ihr in der Gegend wohnt oder mal in der Nähe zu tun habt, checkt den Laden aus.

Und jetzt noch eins: Dirk braucht wen, der am Wochenende oder auch unter der Woche im Laden Sachen verkauft. Er kann nicht alles allein machen. Mir ist klar, dass der Markt für solche Jobs schonmal günstiger aussah, aber wer weiß? Vielleicht liest hier ja jemand mit, der Lust hat, in der kleinsten Biobackstube Hamburgs ein paar Taler zu verdienen? Oder wen kennt, der wen kennt? Das Publikum ist sensationell, wie früher aufm Dorf, als ich noch ein Junge war.

Hier geht’s übrigens zur Homepage des Ladens: http://www.bio-baeckerei-rettungsbrot.de

So. Und jetzt schmier ich mir mein Abendbrot. Irgendwas mit Roggen und Dinkel. Es wird sehr gut schmecken.

bookmark_borderDie 1. Klasse ist in Wahrheit gar nicht erstklassig

Zurück in Deutschland. Bin also mal wieder mit dem ICE gefahren, und dabei hat ein sehr günstiges Angebot der Bahn mich dazu verleitet, mit alten Gewohnheiten zu brechen und in die 1. Klasse zu steigen.

Die Sache mit den Status-Unterschieden fällt mir bei den Reisen über den Teich immer wieder in die Augen, weil die Airlines dabei alle menschlichen Schwächen nutzen, um auf möglichst schmerzhafte Weise möglichst viel Kohle zu machen. Zum Beispiel: beim Einsteigen. Jeder weiß es, aber es beschämt einen halt trotzdem jedesmal wieder neu. Alle stehen am Gate, dann dürfen irgendwelche Leute zuerst einsteigen, während man die Normalos dazu zwingt, dem Privileg mit neidischen Blicken zu folgen. Da bezahlt man natürlich gern etwas mehr für die Businessclass. Unser 7. Sinn für Status ist ein „Stone Age Bias“, wie es ein paar kluge Leute man formuliert haben. Man kann’s uns kaum austreiben, also erklärt man’s zum Geschäftsmodell.

Bei der Bahn jedoch entfällt all das. Man darf nicht früher einsteigen, nur weil das Ticket teurer war. Sie zwingen „the hoi polloi“ auch nicht dazu, sich später schamvoll vorbeizudrücken an den Vornehmen, die bereits sitzend am Sekt schlürfen, das Handgepäck sicher verborgen im für alle anderen knappen Überkopfstauraum. Im Prinzip finde ich das ja besser so, dennoch nimmt es dem Ganzen natürlich dieses heimelige quasi-koloniale Kribbeln, das man bei den aufgeblasenen Businessclass-Leuten in der Leibgegend vermutet.

Und dann die Fahrerfahrung selbst! Sind die Sitze geräumiger? Vielleicht. Ich spüre es aber nicht. Und überhaupt: Wenn die Bahn nicht überall ein dickes „1.“ auf die dünnen Hinterkopfpolsterkissen applizierte hätte – mir wäre der Unterschied insgesamt nicht aufgefallen.

Naja.

Vielleicht doch. Denn alle paar Minuten kam wer vorbei, um einem einen Kaffee aufzuschwatzen. Das hat die Ruhe dann doch erheblich gestört. Und mir mal wieder gezeigt, wie wenig man lernt aus leidvollen Erfahrungen vergangener Jahrzehnte. Denn NATÜRLICH hab ich irgendwann zermürbt gerufen: „Dann bringt mir in Gottes Namen halt auch einen!“ Junge, Junge, Junge! Ich wüsste gar nicht, wie ich zu Hause eine derart abscheulich übersäuerte Plörre zubereiten sollte. Wirklich nicht. Was muss man dafür bitte alles ins Wasser kippen? Hab das Zeug dann natürlich trotzdem ausgetrunken, wo ich schon mal dafür bezahlt hatte (→ „sunk cost effect“).

Nun ein Wort zum Publikum, also denen, die offenbar gewohnheitsmäßig in den teuren Wagen sitzen: Es sind überwiegend Männer. Wichtige Männer. Ihr Haupthaar ist schütter und ergraut wie das meine, und sie machen die Reise nicht zum Vergnügen, sondern gehen fernmündlich (aber selbstbewusst!) irgendwelche Businesspläne durch, attendieren virtuelle Meetings und debattieren mit Kollegen allerhand Orgazeugs. Dann kurz ein Call in der Zentrale: „Wie hieß nochmal meine Mentee ausm Rechenzentrum? Melanie! Stimmt! Natürlich!“

Irgendwann dann Ankunft in Hamburg. Die Freude über den blauen Himmel: unbezahlbar.

Auf der linken Seite, dort also, wo am Zielbahnhof der Ausstieg sich befand, waren, wie uns allen erst jetzt bewusst wurde, drei von vier Türen defekt.

An Luke Nummer vier bildeten sich dann die entsprechenden Schlangen von beiden Seiten. Immerhin: Die anderen Mitreisenden ertrugen all das mit Fassung. Der Anzeigenmonitor im Wageninneren schrieb gelegentlich Sätze in französischer Sprache.

Was ich mit all dem sagen will: Die 1. Klasse ist alles andere als erstklassig. Not worth the money. Ich schreib das hier nieder, damit ich’s nicht genau so vergesse wie diesen gustatorischen Amoklauf, den sie für 3,80 als „Kaffee“ verkauft haben.

Aber insgesamt will ich mich nicht beschweren, denn die von mir erworbene Dienstleistung bestand in einer Fahrt von einem Bahnhof zum anderen. Und das – ich muss es zugeben – hat die Bahn in meinem Fall wirklich spitzenmäßig hingekriegt.

bookmark_borderWas passiert, wenn Zeitungen sterben?

Heute ein Eintrag, der mir seit meinem Rückflug aus Michigan zuwinkt und aus dem Käfig will. Wird aber kurz. Bin müde. Hab zu viel gearbeitet und muss mal was dagegen unternehmen.

Das Magazin „The Atlantic“ hat in der November-Ausgabe eine sensationelle Titelgeschichte über das Sterben der Tageszeitungen in den USA gebracht. Und nein. Es geht nicht um das böse Internet mit seinen Umsonst-Inhalten. Sondern um Leute, die mit den darbenden Blättern nochmal richtig Geld machen und dabei tüchtige Marken auspressen, bis noch der letzte Stück Leben aus ihnen gewichen ist. Auf dem Cover sieht man einen Geier. Er steht für den bösen Hedge Fund. Die Metapher scheint aber nicht ganz zu stimmen, wie man in der Story selbst nachlesen kann. Denn ein anständiger Geier ist ein Aasfresser. Er wartet mit dem Abendbrot, bis sein Opfer tot ist. “Ein Geier“, so liest man, „drückt den Kopf eines verwundeten Tieres nicht unter Wasser. Das hier ist Raubtierverhalten.“ Einige der Anekdoten kamen mir bekannt vor aus vergangenen Zeiten, aber wie so oft: In den Staaten scheint alles nochmal ne Nummer krasser und herzloser abzulaufen als bei uns. 

Allen Kollegen und Kolleginnen aus den Medien (und jedem sonst, der sich dafür interessiert) will ich jedenfalls diese Leseempfehlung zurufen: Guckt Euch die Story mal an, ich verlinke sie hier gleich nochmal. Und bringt Taschentücher mit. Und einen Eimer. Denn man möchte bei der Lektüre abwechselnd weinen und brechen. 

Zeitungen werden weiter sterben. Auch bei uns. Die steigenden Papierpreise werden auch dabei mithelfen. Aber was folgt daraus? Was passiert, wenn Zeitungen sterben? Im Atlantic-Artikel heißt es dazu: 

„Wenn Lokalzeitungen verschwinden, dann geht das laut der Forschung tendenziell einher mit einer geringeren Wahlbeteiligung, einer wachsenden Polarisierung, einem allgemeinen Niedergang von bürgerlichem Engagement. Falschinformationen breiten sich aus. Stadtbudgets laufen aus dem Ruder, die Korruption nimmt zu, die Verwaltung verliert an Effizienz. Es kann auch bundesweite Konsequenzen haben. So ergab eine Analyse von Politico, dass Donald Trump bei der Wahl von 2016 dort am besten abgeschnitten hat, wo die Menschen nur begrenzten Zugang zu Lokal-Nachrichten hatten.“

Ich weiß auch nicht, wie man lokale und regionale Blätter retten kann. Aber man muss. Journalisten sind keine Engel. Journalistinnen auch nicht. Aber wir brauchen sie. Demokratie funktioniert sonst nicht. 

Morgen soll ich im Hamburger Speckgürtel jungen Leuten was über „Journalismus als Beruf“ erzählen. Bin mir noch nicht ganz sicher, was ich denen sagen werde. Dass die Branche im Eimer ist? Dass es da früher mal coole Jobs gab und man heute besser was anderes machen sollte? Oder soll ich davon erzählen, welche Rolle der Job hat in einer freien Gesellschaft? Und wie wichtig er ist? 

Werde jedenfalls berichten. Auch davon, was die jungen Leute mir zurückgeben und wofür sie sich eigentlich interessieren. Bin schon sehr gespannt. 

bookmark_borderEin künstlerisches Kuchenrezept

Ich war ja am Wochenende bei Rolf, dem Maler, und bei Britta, der Bildhauerin. Britta hat einen Kuchen gebacken, der sehr lecker war. Jetzt hat Angela nach dem Rezept gefragt. Britta wiederum hat sich nicht lumpen lassen und mir ihr Rezept zugeschickt.

Und so gelingt Britas „Umdrehkuchen“ (Nachtrag: Die meisten sagen wohl „Dreh-dich-um-Kuchen“ dazu).

Man heizt den Backofen vor auf 160 Grad Umluft.

Man braucht eine Springform. Durchmesser „mindestens 20 Zentimeter“, sagt Britta.

Zutaten:
für den Teig

150 g gemahlene Nüsse, Mandeln oder dergleichen

100g Rohrzucker (man kann auch „normalen“ Zucker nehmen)

150 g weiche Butter

3 Eier (Britta verwendet Bio-Eier)

1 Päckchen Vanillezucker (Britta sagt: „Bourbon-Vanillezucker“)

1 Päckchen Backpulver (Britta hat „Weinstein-Backpulver“ verwendet)

für die Quarmasse:

500 g Magerquark

100 g Rohrzucker

2-3 Eier

geraspelte Schale einer halben Bio-Zitrone

Saft einer halben Zitrone

1 Päckchen Vanille-Pudding-Pulver

Man rührt die Teigzutaten von Hand oder mit dem Mixer zu einem geschmeidigen Teig, kippt ihn in die gefettete Springform und streicht ihn glatt.

Alsdann verrührt man die Quarkmasse-Zutaten zu einer „schönen Creme per Hand oder Mixer“ – und verteilt das Ganze einigermaßen gleichmäßig auf den Teig. Dann kommt das Ding für ca. 55 Minuten in den Ofen.

Aber Obacht! Ab etwa einer halben Stunde muss man ein Auge auf die Bräunung haben. Denn die nussige Teigschicht „wandert“ mit der Zeit nach oben, sie kann anbrennen, ehe der ganze Kuchen durch ist. Deshalb kann es sein, dass man den Kuchen für ne Weile mit Backpapier abdecken muss.

Wann ist der Kuchen fertig? Das testet man mit einem Holzstäbchen: Man steckt es in den Kuchen und zieht es wieder heraus. Wenn kein Teig mehr hängen bleibt, ist der Kuchen fertig. Dann nimmt man ihn aus dem Ofen und lässt ihn abkühlen. Er schmeckt schon toll, wenn er noch ein bisschen warm ist und hält sich, sagt Britta, für zwei bis drei Tage im Kühlschrank.

Super, oder?

Wenn Ihr das Rezept ausprobiert: Schreibt einen Kommentar.

Und dann noch etwas. Britta will wissen: Warum wandert der Teig nach oben? Was ist die Physik dahinter? Ich weiß es nicht. Wenn jemand die Antwort kennt: Immer raus damit. Interessiert mich auch.

bookmark_borderBesuch beim Künstler und ein heftiges Bild von der Elbe genau in dem Moment, wo das Wasser stillsteht

Gestern haben mich Freunde zu einem Maler in Hamburg-Bergedorf mitgenommen. Rolf wohnt im Künstlerhaus zusammen mit Britta. Er ist Maler, sie ist Bildhauerin. Man muss aber ehrlich sagen, dass wir eigentlich wegen der Bilder da waren.

Jedenfalls wohnen die da und ihr Atelier haben sie auch da. Britta sagt: So ist es am besten. Man weiß halt, wo man seine Sachen hat. Zum Beispiel: die Pinsel, mit denen man seine Bilder malt (siehe oben). Praktisch!

Tja. Und dann haben wir mit Rolf über seine Bilder gesprochen. Wir waren am Anfang alle ein wenig unbeholfen. Weil: Man kennt einander ja nicht, und Bilder können eine sehr persönliche Angelegenheit sein. Worüber soll man da reden? Etwa über Gefühle????

Also reden wir erstmal über Zoologie. Rolf hat nämlich viele Bilder gemalt, auf denen Tiere zu sehen sind. Zum Beispiel hängt da ein Tanrek (oben im Foto: das Tier rechts hinten an der Wand). Der Tanrek sieht aus wie eine Mischung aus Igel und Spitzmaus. Dann ein Bild von Eisvögeln. Bilder von Fischen: ne Scholle, ein Hornhecht, mehrere Bücklinge. Eines meiner Lieblingstierbilder ist eigentlich gar kein Tierbild. Es zeigt zwei alte skandinavische Konservendosen mit Makrelen drin. Das hat mir gefallen. Es ist ein großes Bild.

Hier hat mein alter Freund Kai ein Foto von mir und Rolf gemacht. Das mit den Masken ist übrigens kein Fake. Wir haben in den Räumen alle Masken getragen. Auch interessant, wie solche Entscheidungen zustande kommen. Erst viel Achselzucken und dann setzt sich einer ne Maske auf und dann ziehen alle nach. Meine Brille beschlägt, wenn ich eine Maske trage. Links im Hintergrund sieht man die goldenen Bücklinge. Rechts oben: Meerschweinchen vor den Zielscheiben von Sportschützen. Jawohl, auch Meerschweinchen haben Ziele!

Mir gefällt das, was Rolf so macht. Es inspiriert mich. Mein Lieblingsbild zeigt die Norderelbbrücke, auf dem die A1 den großen Fluss quert. Im Frühjahr habe ich die Brücke als Radfahrer und Fußgänger mehrfach von unten gesehen auf dem Weg von der Kalthofe zur Tatenberger Schleuse. Kürzlich hab ich erfahren, dass die Brücke umgebaut werden soll. Sie ist zu alt und zu schmal. Tja.

Jedenfalls hat Rolf da einen ganz besonderen Moment eingefangen. An der Elbe gibt es in Hamburg ja Ebbe und Flut mit einem tüchtigen Tidenhub. Und deshalb erlebt man da vier Mal pro Tag ein sehr merkwürdiges Phänomen. Mit einem Mal erstirbt jede Strömung und das Wasser steht vollkommen still, um kurz danach zunehmend schneller in die umgekehrte Richtung zu fließen. Genau diesen Stillstand, diesen Moment des Atemholens, hat Rolf in seinem Gemälde eingefangen. Das Bild hat die ganze Zeit über zu mir gesprochen und so was ist halt immer ne heftige und metaphysische Erfahrung. Wenn ich groß bin und Geld übrig habe, dann geh ich wieder zu Rolf und kaufe mir das Bild. Und wenn’s bis dahin ein anderer gekauft hat, dann hat sich der Strom eben gedreht und ist in die andere Richtung geflossen. Und das wäre auch in Ordnung.

Danach haben wir noch ein Stück Kuchen gegessen. Britta sagt: Man packt eine Mandelmischung in die Springform und dann kommt der Quark obendrauf mit Zucker, Eiern und Zitrone. Und während der Kuchen dann im Ofen sitzt, wandert die Käsemasse nach unten und dann sieht es am Ende aus wie ein Käsekuchen mit Mandeln obendrauf. Kurios und lecker zugleich. Hier trägt Britta übrigens das Bild mit der Elbbrücke durchs Atelier.

Was will ich damit sagen? Kunst macht uns zu besseren Menschen. Ich hatte ein paar Stunden, in denen alles stillstand, die Arbeit ruhte und ich mich mit interessanten Leuten über schöne Dinge unterhalten konnte. Und jetzt denke ich: Man macht so was insgesamt viel zu selten.

bookmark_borderMan liest insgesamt viel zu selten einen guten Roman

Goethe hat ja mal irgendwas gesagt von wegen „jeden Tag ein Lied hören, ein Gedicht lesen, ein gutes Bild angucken“. Oder so ähnlich. Passiert aber nur selten, wenn man ehrlich ist.

Dasselbe gilt für die Lektüre von Romanen. Ich lese zu wenig Belletristik, es ist ein Jammer. Früher war da mehr. Aber in den vergangenen Monaten: gar nichts mehr. Nur noch Quatsch und Fachliteratur. Das hab ich neulich geändert, weil Wochenende war und ich gedacht habe: „Nein, heute liest Du keine Studien!“ Also hab ich willkürlich ins Regal mit den staubigen Büchern drin gegriffen und – zack! – eine billige rororo-Ausgabe von Hemingways Fiesta zwischen die Finger bekommen. So die Sorte aus den 60ern, die man als Student gebraucht für ne Mark abgegriffen hat beim Büchertrödel vor der Mensa.

Das Buch war übersetzt. Die Übersetzung war nicht gut. Immer wieder lief ich zum Rechner, um nachzusehen, wie’s im Original geschrieben steht. Das Original war besser.

Im Original heißt das Buch ja auch nicht „Fiesta“, sondern „The Sun also rises“, was ein Bibelzitat ist. Und zwar aus dem Buch Prediger (aus dem Alten Testament), das ich über die Jahre immer mal wieder gelesen und darüber gestaunt habe. Ich glaube zunehmend, dass bei der Niederschrift Drogen im Spiel waren. Nein? Gut. Dann vielleicht eine Depression. Oder zumindest ein tiefer Mangel an Illusion über den Wert unseres Daseins. Da steht (also: in der Bibel, ich habe das von hier genommen, außerdem hab ich festgestellt, dass man die folgenden Zeilen langsam lesen muss, damit sie funktionieren; dann aber funktionieren sie sehr gut):

„Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel („eitel“ heißt hier: „für’n Arsch“ J.M.). Was hat der Mensch für Gewinn von all seiner Mühe, die er hat unter der Sonne? Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibt immer bestehen. Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, dass sie dort wieder aufgehe. Der Wind geht nach Süden und dreht sich nach Norden und wieder herum an den Ort, wo er anfing. Alle Wasser laufen ins Meer, doch wird das Meer nicht voller; an den Ort, dahin sie fließen, fließen sie immer wieder. Alles Reden ist so voll Mühe, dass niemand damit zu Ende kommt. Das Auge sieht sich niemals satt, und das Ohr hört sich niemals satt. Was geschehen ist, eben das wird hernach sein. Was man getan hat, eben das tut man hernach wieder, und es geschieht nichts Neues unter der Sonne. Geschieht etwas, von dem man sagen könnte: »Sieh, das ist neu!« – Es ist längst zuvor auch geschehen in den Zeiten, die vor uns gewesen sind. Man gedenkt derer nicht, die früher gewesen sind, und derer, die hernach kommen; man wird auch ihrer nicht gedenken bei denen, die noch später sein werden.“

Deep. Aber auch seltsam. „Fiesta“ von Hemingway ist auch seltsam. Ein seltsames Buch. Und die Leute, die darin vorkommen, die sind ebenfalls seltsam. Diese Menschen, die sich da durch Paris, das Baskenland und den Norden Spaniens saufen. „Lass uns was trinken.“ Zwei Mal auf jeder Seite. Zwischendurch hab ich mal angefangen zu zählen – da hatte der Ich-Erzähler bis zum Mittagessen schon eine ganze Wochenration Alkohol weggemacht.

Und trotzdem. Es war eine ästhetische Erfahrung. Es war inspirierend. Anregend. Man kommt ins Phantasieren. Man muss das häufiger machen.

Und dann Sprache! Hab nach der Lektüre gleich ein paar Formulierungen an meine Kinder geschickt, damit sie auch was davon haben (Blüten fürs Florilegium!).

  1. I walked down the street and had a beer at the bar at the next Bal. The beer was not good (…).

2. The beer came. Brett started to lift the glass mug and her hand shook. She saw it and smiled, and leaned forward and took a long sip.
Good beer.“
„Very good,“ I said.

3. The food was good and so was the wine. We did not talk much.

4. „I think you’ll find that’s very good wine,“ he said.

5. „This wine is too good for toast-drinking, my dear. You don’t want to mix emotions up with a wine like that. You lose the taste.“

6. We dined at a restaurant in the Bois. It was a good dinner

7. (übers Boxen) It was a good fight.

8. It is always cool in the down-stairs dining-room and we had a very good lunch.

9. The coffee was good and we drank it out of big bowls.

10. „Take some more coffee,“ I said.
„Good. Coffee is good for you. It’s the caffeine in it.“

Am Ende des Buches hab ich gedacht, dass ich Mitleid mit Hemingway empfinde, obwohl er so gut schreiben und Alkohol trinken konnte.

Einen noch längeren Bart als Hemingway trägt übrigens mein Jahrgangsgenosse Judah Friedlander. Das ist ein Comedian aus Amerika. Ich hab neulich am Abend sein Special auf Netflix gesehen und sehr viel und laut gelacht. Ich empfehle seine Show. Die Show ist gut.

Auch das hat mich inspiriert. Zwischendurch habe ich auf Pause gedrückt und spontan einen Vierzeiler verfasst, der ein wenig dem Style von Judah Friedlander zuwinkt – nur halt mit mehr Melancholie und einer Alkohol-Referenz drin, wegen, naja, Hemingway. Und Prediger.

Ich habe mir ein Weinglas bestellt. Für die Tage, an denen ich traurig bin. Dann trinke ich und lass‘ mich geh’n. Bis das Glas ganz voll ist. 

bookmark_border„Zum Knochenkotzen“ – noch sieben weitere Erinnerungen an Dieter Blau

Eigentlich wollte ich heute was über Twitterdaten aus Michigan schreiben und was sie über den Seelenzustand der Bürger verraten (nichts Gutes), aber dann ist mir aufgefallen, dass ich nach deutscher Zeit gerade 51 Jahre alt geworden bin. Jeder Geburtstag nach dem neununddreißigsten macht die Leute melancholisch und deshalb habe ich beschlossen, mich noch ein viertes Mal auf einen Trip in die Vergangenheit zu begeben. Vor genau einem Monat ist Dieter Blau gestorben, der meine Kindheit, die meines Bruders und vieler anderer Jungs in unserer Gegend geprägt hat. Und dies sind ein paar Erinnerungen, die mich in den vergangenen Wochen heimgesucht haben.

1. „Zum Knochenkotzen“

Anfang der 1980er Jahre sind wir mit Dieter Blau für zwei Wochen nach Krelingen gefahren. Das ist ein kleiner Ort in der Nähe von Walsrode. Den Zeltplatz hab ich schon neulich beschrieben. Wenn man ein Stück weiter am Feldweg durch die Hecke ging, kam man auf das Gelände des „Geistlichen Rüstzentrums Krelingen“. 

Die Krelinger sind Pietisten – es gab also eine enge innere Verbindung zu dem, was bei uns im CVJM so geglaubt und gelehrt wurde. Der Chef des Ladens war ein Mann namens Heinrich Kemner. Er ging schon stark auf die 80 zu, was mir damals sehr alt vor kam. Kemner war eine ausgesprochen charismatische Erscheinung. Ich weiß noch, wie wir regelmäßig in seine Bibelstunden und am Sonntag in seinen Gottesdienst gegangen sind. Damals gab es bei uns im Dorf den Spruch: Eine Predigt darf über alles gehen, nur nicht über 20 Minuten. Kemner hat eine komplette Stunde lang gepredigt und ich habe die ganze Zeit zugehört, ohne wegzudösen. Beides war mir neu. 

Dabei hat Kemner einmal die Redewendung „zum Knochenkotzen“ gebraucht. Es ging, wenn ich das richtig erinnere, um die Liebe zu einem Mädchen. Er hat es gefühlt, er hat gebrannt – und doch entsagt. Denn er hat geglaubt, dass Gott das so will. All das hat Dieter sehr gut gefallen und er hat die Formulierung danach häufig gebraucht und sogar den Tonfall Kemners imitiert. Verzicht ist „zum Knochenkotzen“. Und dazu gab es – Stichwort: Pietismus – bei uns damals reichlich Gelegenheit.

2. Der Klang der Raviolidose

Dieter hatte in Krelingen ein Luftgewehr und jede Menge Munition dabei. Am ersten Abend gab‘s Ravioli. Die Dose war groß genug, um zwei VW-Busse voller Halbwüchsiger damit zu sättigen. Nach dem Abendessen haben wir ein Loch in den Boden der leeren Konserve gemacht, eine Schnur hindurchgezogen und die Dose an dieser Schnur über den Ast einer großen Eiche geworfen, die jenseits einer Weide in der Nähe unseres Zeltplatzes stand. 

Danach haben wir – wann immer uns danach war – auf diese Dose geschossen. Ein Treffer ergab ein hörbares „Klong“. Kein Treffer, kein „Klong“. Es gab natürlich Regeln. Man musste sich das Gewehr und die „Diabolo“-Kugeln bei einem der Erwachsenen abholen und zumindest zu zweit sein. Laxe Regularien waren das, schon für damalige Verhältnissen. Das war uns allen klar und wenn ich mich richtig entsinne, hat es unseren Respekt vor Dieter eher erhöht. Er hat uns was zugetraut.

3. Randale 127 Meter über Hamburg

Irgendwann sind wir, wo wir schon mal so weit oben im Norden waren, natürlich auch nach Hamburg gefahren. Dort und in der Gegend wohne ich seit mehr als 20 Jahren (auch wenn ich seit einiger Zeit auch viel in Michigan bin). Damals kam mir die Stadt sehr groß vor. Was hätte man dort nicht alles machen können! Dieter jedoch hatte seinen eigenen Plan. Wir fuhren – leidlich gewaschen, wie wir waren – per Aufzug in das Restaurant, das es damals noch oben im Fernsehturm gab. 127 Meter über der Stadt. 

Das Ding drehte sich permanent: Eine Runde dauerte eine Stunde. Danach musste man wieder Platz machen für die nächsten Gäste. Dieter hatte herausgefunden, dass es dort oben eine Art „All you can eat“-Tortenbar gab. Und ich würde mal sagen, dass das aus Sicht der Betreiber an diesem Tag ein großer Fehler war. Dieter hatte schon am Tag zuvor verkündet, dass wir dort oben ein Tortenwettessen veranstalten würden. Etwa 15 Minuten, bevor unsere Schicht zu Ende war, meinte der Kellner, dass es jetzt mal langsam gut sei mit dem Kuchen und dass wir genug gehabt hätten.

Dieter hat dann, wie er es später formuliert hat, ein wenig „randaliert“. Fünf Minuten später gab es dann plötzlich doch neuen Kuchen. Aber mir war zu diesem Zeitpunkt bereits schlecht und den meisten anderen wohl auch, denn bei den Backwaren handelte es sich um industriell gefertigte Tiefkühlware mit hohem Sahneanteil. Ich glaube mich zu erinnern, dass Friedemann als einziger fünf (oder sechs?) große Stücke davon geschafft hat. Aber gut. Für einen Laden, der sich ansonsten auf magenkranke Rentner spezialisiert hatte, waren wir ganz sicher einer Art Grenzerfahrung. 

4. „Ich will sterben“

Am Donnerstag hatten wir immer unsere Jungscharstunde. Die meisten von uns befanden sich in dieser merkwürdigen Übergangszeit, in der die Latenzphase sich ihrem Ende zuneigt. Der Testosteronpegel beginnt zu steigen. Das ist das Alter, in dem die Jungs zwar noch nicht komplett den Mädchen hinterherrennen, aber schon viel zu viel Energie haben. Dieter wusste das alles: In der ersten halben Stunde hat er nie Programm gemacht, sondern uns raufen lassen. Er nannte unser Treffen den „Nahkampfdonnerstag“. Er hat auch ein paar Regeln aufgestellt. Schlagen und Treten war verboten, im Wesentlichen war alles okay, was auch beim Ringen erlaubt war. Verloren hatte man aber nicht, wenn man auf beiden Schultern lag. Man musste für alle hörbar „ich will sterben“ rufen. Dann musste der andere aufhören. Bei den Romanschriftstellern (Stichwort: „Heldenreise“) läuft das genau so wie in der Ostergeschichte: Der Held muss sterben und neu geboren werden, um seinen Leuten davon zu berichten. Nur so wird ein Schuh aus der Sache. Tatsächlich ist das Kind in uns bald danach gestorben. Und wir wurden Jugendliche und irgendwann: erwachsen.

5. „Oxyd“

An diese Geschichte hat mich neulich mein Bruder Martin erinnert. Damals in den 1980er Jahren hatten die meisten Autos noch Rostprobleme. Wenn jemand ein altes Auto besaß, hat Dieter gesagt: „Da kommt er angefahren mit seinem Oxid.“ Schließlich handelt es sich beim Rost um oxidiertes Eisen. Dieter hat das Wort allerdings gesprochen, als würde man es mit Y schreiben statt mit einem I: Oxyd. Vielleicht, um einer Verwechslung mit dem römischen Dichter Ovid vorzubeugen? In dessen „Ars amatoria“ geht es nämlich alles andere als jugendfrei zu.

6. „Agschd“

Auch hieran hat mich Martin erinnert: Aus irgendwelchen Gründen hatte Dieter etwas dagegen, zu einem Messer „Messer“ zu sagen. Vielleicht wollte er uns auch nur zu lateralem Denken anregen, ich weiß es nicht. Jedenfalls hat er zu einem Messer immer „Axt“ (im Dialekt: „Agschd“) gesagt – und jeden korrigiert, der es gewagt hat, das Wort „Messer“ im Munde zu führen. Eine wirkliche Axt war bei ihm einfach ein „Beil“. Tja. Das ist es schon. Kein Gag. Keine Pointe. Reine Chronistenpflicht.

7. Kommunikation schlägt Sicherheit

Dieter fuhr lange Zeit einen weißen VW-Bus Baujahr 1975. Der hatte zwei Rückbänke, auf der jeweils drei Leute sitzen konnten. Die Bänke waren natürlich in Fahrtrichtung ausgerichtet. Dieter fand das aber irgendwann zu unkommunikativ. Also hat er die vordere Bank umgedreht. Drei Leute fuhren sozusagen rückwärts, man konnte einander, wenn man hinten saß, ansehen und miteinander reden. Soziologen würden Beifall klatschen, sofern sie sich mit sozialer Netzwerktheorie auskennen. Ich habe das neulich mal von Hand ausgerechnet (und dann erfahren, dass das schon jemand vor mir gemacht hat): Wenn drei Leute miteinander reden, gibt es genau fünf Kombinationsmöglichkeiten. Bei sechs Leuten sind es schon 203 – ein Ozean aus Vielfalt! Uns allen war klar, dass die umgedrehte Bank deutlich schlechter gesichert war. Aber nicht nur Dieter, sondern auch wir waren bereit, diesen Preis zu bezahlen. Kommunikation schlägt Sicherheit. Außerdem waren wir im Auftrag des Herrn unterwegs und waren sehr davon überzeugt, dass uns schon nichts passieren würde. Ich glaube, das waren im Wesentlichen schöne Zeiten, und ich bin dankbar, all das erlebt zu haben.

bookmark_borderEin sehr interessantes Brot

Hab hier ein sehr interessantes Brot gefunden. Naja. Gefunden. Es lag halt im Brotkorb. Und wie ich so auf die Verpackung schaue und den Namen der Marke, da denke ich: Moment mal, das ist doch eine Bibelstelle! Wieso benennen die ein Brot nach einem Bibelzitat?

Jemand hat mir dann erzählt, dass seine Fitnesstrainerin total auf Ezekiel 4:9 schwört. Es bildet die Grundlage ihrer Ernährung und hilft ihr dabei, eine schlanke Linie zu halten. Ich hab auch davon gekostet. Hat mir geschmeckt. Ezekiel 4:9 ist, wie mir scheint, ein gutes Produkt.

Nach der Schmeckung hat mich dann aber die Neugier gepackt. Also frisch im Netz die Lutherübersetzung von 1912 gesucht (denn mit der bin ich aufgewachsen) und zu Hesekiel 4 gesprungen.

Nun. Hesekiel, das sollte man erwähnen, ist einer der „großen Propheten“ im Alten Testament. Davon gab es insgesamt nur vier. Also nicht viele. Um diesen Job zu kriegen, muss man, sagen wir mal: anders sein als die meisten anderen Menschen. Ich war deshalb auf einiges gefasst. In Vers neun heißt es dann aber ganz vernünftig und fast chefkoch.de-mäßig:

So nimm nun zu dir Weizen, Gerste, Bohnen, Linsen, Hirse und Spelt und tue alles in ein Faß und mache dir Brot daraus, soviel Tage du auf deiner Seite liegst, daß du dreihundertundneunzig Tage daran zu essen hast.

Hesekiel 4,9 (Luther 1912)

Genau so steht’s auch auf der Brotpackung, nur halt auf Englisch und ohne den Zusatz mit den 390 Tagen, für die das Brot reichen muss.

Eigentlich hätte ich damit zufrieden sein können. Aber wo ich schon mal da war, hab ich noch ein paar Zeilen weitergelesen. Zunächst gibt es in den Versen zehn und elf Diätanweisungen (wie viel man pro Tag essen und trinken soll; ich sag nur so viel: Das war ein karges Leben damals). Und dann folgt in Vers zwölf tatsächlich eine relativ konkrete Backanleitung. Da steht:

Gerstenkuchen sollst du essen, die du vor ihren Augen auf Menschenmist backen sollst. 

Hesekiel 4,12 (Luther 1912)

Aha. Ja. Die Zeiten waren offenbar NOCH härter als vermutet. Und selbst Hesekiel ist, wie man in den Versen dreizehn und vierzehn lesen kann, von diesem Rezept wenig begeistert: Er hat sich sein Leben lang an die religiösen Reinheitsgebote gehalten. Das Kackebacken widerstrebt ihm. Kann man an der Sache nicht noch was drehen? Und tatsächlich: Der Allmächtige lässt mit sich handeln, wie wir in Vers fünfzehn erfahren:

Er aber sprach zu mir: Siehe, ich will dir Kuhmist für Menschenmist zulassen, darauf du dein Brot machen sollst. 

Hesekiel 4,15 (Luther 1912)

Puh, holy shit, die Sache ist gerade nochmal gutgegangen. Mit diesem Dreh wird das Brot bestimmt gleich viel besser schmecken. Glück gehabt, Hesekiel!

bookmark_border7 Wörter, die man niemals sagen darf

Es gibt Wörter, die man im US-Fernsehen nie zu hören kriegt. Sie werden vermieden oder mit Hupgeräuschen überblendet. Das hat mich erst genervt und dann sehr interessiert. Dass man hier – im Land der Redefreiheit – für schmutzige Sprache verknackt werden kann, ist nicht neu. Angeblich mussten die Macher von „Vom Winde verweht“ schon in den 1930ern Kohle abdrücken, weil Rhett Butler am Ende sagt: „Ehrlich gesagt, meine Liebe, das ist mir egal.“ („I don’t give a damn“). Verrückt, oder?

Vor vielen Jahren hat der legendäre Comedian George Carlin sich auf die Suche nach der Liste gemacht, auf der all diese verbotenen Wörter stehen. Die Antwort: Es gibt keine Liste. Ein entsprechende Behörde beruft sich (übrigens bis heute) auf den Grundsatz: Du erkennst versaute Sprache, wenn du sie hörst. Also hat Carlin sich selbst so seine Gedanken gemacht. An seiner Argumentation ist wenig auszusetzen. Die sieben Wörter lauten: „shitpissfuckcuntcocksuckermotherfucker und tits.“

Wie häufig kommen diese Wörter in Büchern vor? Und wann wurden sie so beliebt, dass man sie unter Strafen stellen musste? Zum Glück hat Google für solche Fragen eine Maschine im Angebot, den Google Ngram Viewer, ein Tool von unschätzbarem Wert, das ich allen Wortsuchern und Begriffspfadfindern ans Herz legen möchte. Der Ngram Viewer zeigt, dass shit und fuck viel beliebter sind als die anderen schmutzigen Wörter. Die meisten Leute hier empfinden andere Wörter aber als beleidigender. In den USA und Großbritannien führen diesbezüglich motherfucker und cunt. Interessant finde ich: Anfangs der 1970er, als Carlin seine Analyse auf die Bühne brachte, war in Sachen Schimpfe noch praktisch gar nix los in Amerika.

All das hat mich zu einiger Lektüre verführt. So habe ich dieser Tage aus dem Buch „What the F“ des Linguisten Benjamin K. Bergen erfahren, dass schmutzige Wörter und Tabuwörter in praktisch allen Sprachen aus vier Bedeutungsbereichen stammen. Dem Heiligen, dem Sexuellen, den menschlichen Körperfunktionen und den Beleidigungen. „I hereby propose we call it the Holy, Fucking, Shit, Nigger Principle“, schreibt Bergen. Das N-Wort habe ich dann auch mal abgefragt; hat ne ganz andere Kurve, weil halt – logisch – auch ne andere Geschichte. Das gilt in anderem Ausmaß natürlich auch für cock. Bergen hat dazu ein eigenes Kapitel geschrieben: „Wie der Hahn seine Federn verloren hat“. Ich habe also cock und das N-Wort nochmal gegen shit laufen lassen. Das N-Wort zeige ich unten nicht. Es handelt sich TATSÄCHLICH um ein Tabu-Wort, also werde ich die Kurve hier lediglich beschreiben: So richtig modern wurde das N-Wort erst um 1860, also während des Bürgerkriegs. Hm. Wusste ich nicht. Redet man über Begriffe erst dann, wenn man anfängt, sich über sie zu streiten? Jedenfalls: Die shit-Kurve quert von unten sowohl die N-Wort-Kurve als auch die cock-Kurve so etwa um das Jahr 1980. That’s the year when shit hit the fan!

All das hat bei uns im Haus jedenfalls zu weiteren Diskussionen geführt. Was ist mit anderen Bezeichnungen für unsere primären Geschlechtsorgane? Wie häufig wurde wann darüber geschrieben? Gute Frage. Also haben wir wieder den „Google Ngram Viewer“ angeschmissen – und zwei möglichst neutrale, sozusagen wörterbuchtaugliche Begriffe abgefragt: vagina und penis. Und da sieht man dann doch Erstaunliches:

Das 19. Jahrhundert muss völlig versessen auf den weiblichen Unterleib gewesen sein. Spätestens ab dem 2. Weltkrieg war’s damit aber vorbei. Bestimmt ist das alles gut erforscht. Das muss ich mir in den nächsten Tagen mal genauer anschauen. Oder auch nicht. Trotzdem: interessant.

Neulich hab ich gehört, dass Louis C.K. ein neues Special veröffentlicht hat. Ich war lange Fan von ihm und verdanke ihm viele gute Abende. Eine meiner Lieblingsnummern aus seinem Oeuvre handelt davon, dass Gott eines Tages auf die Erde zurückkommt und sich das Schlamassel anguckt und sagt (natürlich als George-Carlin-Referenz): „What the fuck did you do? I gave this to you, motherfucker! Are you crazy? The polar bears are brown … what did you … WHAT DID YOU DO TO THE POLAR BEARS? Did you shit all over every polar bear? Who spilled this shit?“ Ich werde diese Passage nicht übersetzen – schon um die Nerven meiner guten Mutter zu schonen, die es nicht mag, wenn ich mich obszöner Begriffe bediene. Louis hat uns mit diesem Stück durch die Blume gesagt: Ja, die FCC verbietet diese Sprache. Aber eines Tages werdet Ihr merken, dass Gott selbst genau so redet. Ihr Heuchler. Wir wissen nicht, ob das stimmt. Aber es ist zumindest mal ne Arbeitshypothese.

Ich hab dann dieser Tage auf Louis C.K.s Website 7,99$ bezahlt und sein neues Special gekauft. Ich wollte sehen, wie’s ihm geht. Nun ja. Er ist auf ne Art noch immer derselbe. Aber kaputter. Er hat über Jahre auf der Bühne all die Dinge gemacht, die verboten waren. Alle Tabuwörter – er hat sie uns um die Ohren gehauen. Und ist damit durchgekommen. Irgendwann aber haben Leute öffentlich erzählt, was „sein Ding ist“. Was ihn antörnt. Es war nicht nur ekelhaft, sondern auch … tja … halt gar nicht okay. Der zentrale Satz seines Specials lautet: „You are so fucking lucky, that I don’t know what your thing is.“ Und dann erzählt er, wie er in Italien in dieses Flugzeug steigt und ein kleiner Junge auf ihn zeigt und sagt: „Mama, da hinten ist der Typ, der sich vor den Leuten einen runtergeholt hat.“

Ich erinnere mich an einen Auftritt von Louis C.K. bei Letterman (bei dem tatsächlich auch mehrere Bleep Censors zu hören sind, etwa bei 3:56) . Letterman beglückwünscht ihn zu seinem Erfolg und Louis winkt ab und sagt sinngemäß: Ein mittelgroßer Erfolg ist das Beste, was Dir passieren kann. Denn je mehr Leute Dich kennen, desto mehr Leute werden Dich hassen. Ist einfach Mathe.

Er hat’s irgendwie kommen sehen.

Der Mann tut mir sehr leid. Die Welt ist ein Dorf geworden. Und er kann sich nirgendwo verstecken.

Und das ist halt einfach mal Scheiße.