bookmark_borderChemical Youth

Dieser Tage ist eine neue Ausgabe von „Geo Wissen“ erschienen. Es geht dabei um Drogen. Darin findet sich auch ein Interview (acht Seiten), das ich im vergangenen August mit Anita Hardon geführt habe. Anita ist Professorin im niederländischen Wageningen. Auf dem Foto oben sitzen wir in ihrem Garten, trinken Kaffee und reden über ihr Buch. Das Buch heißt „Chemical Youth“.

Anita und ich kennen uns schon länger. In den Monaten vor der Pandemie saß ich häufiger mit meinem Rechner in einem schmucken Büro auf einem Hügel über der Stanford University. Mir ging’s dort so sensationell gut, dass ich jedesmal die Krise kriege, wenn ich daran zurückdenke. Damals war irgendwie mehr Zukunft in allem.

Jedenfalls arbeitete hinter einer dünnen Holzwand im Büro nebenan niemand anders als Anita höchstselbst. Sie verbrachte dort ihr Sabbatical und schrieb dabei an „Chemical Youth“. In der Mittagspause saßen wir häufiger beisammen und haben dabei auch über ihr Projekt gesprochen.

Anita ist Anthropologin. Sie tut so, als käme sie von einem anderen Planeten. Und dann schaut sie genau hin: Was machen die Leute da eigentlich? Und warum? In ihrem Projekt hat Anita untersucht, mithilfe welcher künstlicher Substanzen die jungen Menschen dieser Welt ihren Alltag geregelt kriegen. Sie und ihr Team haben deshalb viele, viele Interviews geführt auf mehreren Kontinenten. Anitas Technik fand ich dabei sehr einleuchtend und zugleich originell. Sie hat ihre „Chemical Youth“-Interviews nämlich stets mit derselben Frage angefangen: „Welche Chemikalien kommen im Alltag eigentlich auf und in deinen Körper, von den Haarspitzen bis zu deinen Zehen?“ Im zweiten Schritt hat sie dann gefragt: „Welche dieser Substanzen sind besonders wichtig für dich? Was tun diese Substanzen für dich? Was hast du davon?“ Sie redet also über Drogen, ohne dabei einen wertenden Ton anzuschlagen. Sie will einfach wissen, was abgeht. Clever!

Hier übrigens die sehr gelb-schwarze Aufmacherseite unseres Gesprächs:

Tja.

Dass aus meiner Bekanntschaft mit Anita jetzt ne gedruckte Story geworden ist, verdanke ich einer Reihe von Zufällen; zum Beispiel jenem, dass irgendwann die Leute von Geo angerufen haben und dann ein Wort das andere gab.

Anita hat mich für unser Gespräch zu sich nach Hause eingeladen. Es war toll, ein bekanntes Gesicht aus besseren Zeiten wiederzusehen. Ich hab mich auch darüber gefreut, dass aus ihrem damals nur halb geordneten Projekt tatsächlich ein interessantes und facettenreiches Buch geworden ist, eine Geschichte, die man erzählen kann. Möge sie viele Leserinnen und Leser finden.

Ich hatte meinen Mietwagen rund zwei Kilometer weiter entfernt geparkt, denn ich war viel zu früh vor Ort und wollte die Gegend außerdem als Fußgänger sehen. Man kriegt dabei einfach ein besseres Gespür für alles. Sandige Böden haben die da, auf denen Spargel und Tabak wachsen, genau wie dort, wo ich aufgewachsen bin. Hat sich fast wie ein Heimspiel angefühlt.

Und was ich auch noch nicht wusste: So ein Wanderweg in den Niederlanden nennt sich „Wandelpad“. Muss man einfach mögen, oder?

bookmark_borderWas bedeutet „Zusammenglück“?

Als Kalifornien gerade mal nicht brannte – aus der Luft sah man nördlich von San Francisco nur noch zwei, drei Aschehaufen kokeln – und als auch das Virus dort noch nicht richtig angekommen war, da bin ich immer mal wieder Yukiko Uchida begegnet, die sich gerade als Fellow an der Stanford University aufhielt.

Yukiko kommt aus Japan, bei einem gemeinsamen hat sie mir von ihrer Arbeit erzählt. Sie ist Psychologie-Professorin und erforscht, wie glücklich die Menschen in verschiedenen Gegenden der Welt sind. Was ich besonders bemerkenswert fand: Unsere westliche Vorstellung von Glück, so sagt sie, spielt in Japan kaum eine Rolle. Damit kann man dort wenig anfangen.

Das hat mich sehr interessiert. Wollen die Japaner nicht glücklich sein? Komische Vorstellung.

Einige Wochen später habe ich dann für Psychologie Heute ein längeres Interview mit Yukiko gemacht. Der Großraum San Francisco war da schon im Lockdown, wir sprachen also per Zoom. Und dabei ging es vor allem über den Begriff der „interdependent happiness„, über den Yukiko eine Reihe von Studien publiziert hat. Ich habe dafür das deutschen Wort „Zusammenglück“ gewählt.

„(Zusammenglück) erlebt jemand, der glaubt, dass es den Menschen in seinem Umkreis gutgeht. Dass sie einen wertschätzen. Wenn man das Gefühl hat, dass man die Menschen in seinem Umfeld ein bisschen glücklicher macht. Dass man im Alltag keine allzu großen Ängste empfindet. Und dass man seine Ziele verfolgen kann, ohne anderen damit zu schaden.“

Yukiko Uchida in Psychologie heute #10/2020

Vereinfacht gesagt: Wenn wir im Westen glücklich sind, geht es uns vor allem um uns selbst. Nicht so sehr um die anderen. In Japan geht es viel mehr um die anderen. Und erst dann um uns selbst.

Damit kann ich eine Menge anfangen. Ich will nicht behaupten, Japaner zu sein. Aber ich bin in einem Bauerndorf in der Nähe von Karlsruhe aufgewachsen (heute ist es kein wirkliches Dorf mehr, sondern fast eine Kleinstadt). Und auch dort galt die unausgesprochene Regel, dass die Familie im Zweifel wichtiger ist als man selbst, der Clan wichtiger als die Familie – und das Dorf wichtiger als der Clan. Ich bin meiner Herkunft nach also Kollektivist. Und jetzt mal unter uns gesagt: So was wird man sein Leben lang nicht mehr los.

Yukiko glaubt jedenfalls, dass unser westliches Glückskonzept dann besser funktioniert, wenn die Dinge gut laufen. Es schafft mehr Kreativität, mehr Risikobereitschaft – und deshalb auch mehr Wirtschaftswachstum. In großen Krisen, so meint sie, funktioniert die japanische Variante aber besser. Weil wir während der Pandemie oder im Klimawandel nur kollektiv klarkommen werden. Zusammenglück gelingt, so glaubt Yukiko, „indem man permanent darüber nachdenkt, wie gut es den anderen gerade geht. Nicht nur immer ‚ich, ich, ich‘.“

Das komplette Interview mit ihr ist gerade in der Oktober-Ausgabe von „Psychologie Heute“ erschienen.

bookmark_borderDie Amygdala ist schuld, manchmal

Nachrichten geguckt. Alles geht um Rassismus und Polizeigewalt. Natürlich. Sie zeigen auch ein paar Videos von Afroamerikanern, die eine Begegnung mit der Ordnungshut nicht überleben.

Vor etwas mehr als zwei Jahren habe ich für P.M. ein Interview mit Prof. Robert Sapolsky geführt, einem Neurowissenschaftler aus Stanford.

Dabei ging es auch um Polizeigewalt und die Rolle des Gehirns. Spoiler-Alert: Manchmal ist die Amygdala an allem schuld. Hier ein Auszug aus dem Transkript, ohne Bearbeitung.

JM: In unserer visuellen Wahrnehmung spielt die Amygdala eine interessante und manchmal folgenreiche Rolle. Bevor unsere Hirnrinde diese Informationen verarbeitet hat, landet eine sehr grobe Kopie in unserer Amygdala. Sie schlägt innerhalb von Millisekunden Alarm, wenn uns zum Beispiel ein Mensch begegnet, der eine andere Hautfarbe hat als wir.

RS: Ja, hier haben wir einen der stärksten Beweise für die Vorstellung, dass eine Vielzahl unserer Entscheidungen, auch unserer moralischen Entscheidungen, in viel stärkerem Maße von Emotionen geleitet sind, als wir das gerne hätten. Anders gesagt: Es sind oftmals Gehirnareale wie die Amygdala, die unsere Entscheidungen treffen. Und die rationaleren Teile unseres Gehirns liefern danach nur noch eine vernünftig klingende Begründung. Emotional entscheiden wir in Sekundenbruchteilen. Die Begründung kommt später. Und die Daten aus der Neurobiologie passen wunderbar zu dieser Hypothese. Wenn wir uns jetzt diese konkrete Geschichte ansehen: Ja, die Amygdala bekommt einen sehr privilegierte Zugang zu unseren sinnlichen Informationen. Sie bekommt eine grobe Information über Reize, die Emotionen auslösen. Und zwar deutlich schneller als unser Kortex diese Daten verarbeiten kann. Wir reden hier über 100 bis 200 Millisekunden, was ein wahnsinnig kurzer Zeitraum ist. Und das ermöglicht sehr, sehr schnelle Entscheidungen, die auf sehr ungenauen Daten beruhen, weil, naja, der Kortex halt viel besser darin ist, akkurat zu arbeiten als die Amygdala. Und dann hat man plötzlich diese ganzen Geschichten, wo die Polizisten sich auf einmal sicher sind, dass der Typ, der gerade in die Tasche greift, um seinen Ausweis hervorzukramen, eigentlich eine Waffe ziehen will. Und dann, 14 Pistolenschüsse später, zeigt sich, dass er gar keine Waffe bei sich hatte. Und wir wissen heute, dass solche Missverständnisse in unglaublich starkem Maße etwas damit zu tun haben, welche Person da eigentlich nach seiner Brieftasche greift. Interessanterweise arbeite ich gerade mit einem pensionierten Polizeibeamten, der sich über dieses Phänomen große Sorgen macht und über das Ausmaß, in dem Polizeischulung solche Zwischenfälle praktisch unvermeidlich macht. Er zeigt mir dabei verschiedene Dashcam-Videos, also von Kameras, die an der Windschutzscheibe eines Streifenwagens angebracht sind und die dort alles filmen. Einige dieser Schießereien, oh, mein Gott, wissen Sie, ich bin einfach nur ein Professor, der an seinem Schreibtisch sitzt und Bücher liest. Aber das Schockierendste ist, wenn er sagt, guck dir einfach mal die Sekundenanzeige auf dem Bildschirm an. Und dann stellst du fest, dass die ganze Sache innerhalb von 1,3 Sekunden abgeht. Solche Sachen, wo du sehen kannst, dass der Polizist nach 0,7 Sekunden seine Waffe im Anschlag hat. Das ist genau das Königreich, in dem die Amygdala die vielleicht wunderbarste Sache der Welt ist, weil sie dir die Chance gibt, mit einem wahnsinnig schnellen Sprung dem Biss einer Giftschlange zu entkommen. Aber es ist ein Desaster in einer Welt, in der die Leute Knarren haben und entscheiden müssen, ob sie abdrücken oder nicht.

JM. Kann man Leuten beibringen, ihrer Amygdala zu misstrauen? Was tun wir da?

RS: Darum geht’s im letzten Kapitel meines Buches („Gewalt und Mitgefühl“, JM). Wie schafft man es, die Leute zu mehr Zusammenarbeit zu bringen? Inklusiv, zusammengehörig – und weniger aggressiv, fremdenfeindlich, ausschließend? Wenn jemand gezwungen ist, in der Nähe von jemandem zu leben oder zu arbeiten, der zu einer Fremdgruppe gehört, und selbst wenn man von Kindesbeinen an darauf konditioniert wurde, von „denen“ als „die anderen“ zu denken, dann entwickeln sich innerhalb von Wochen neue Einstellung gegenüber „denen“. Manchmal dauert es auch länger. Die kleinste Fassung dieser Geschichte lautet: Ich hasse sie. Aber ja, dieser eine Typ, der ist in Ordnung. All diese Geschichten benötigen eine Amygdala, die weniger reaktiv geworden ist.

JM: Eine meiner Lieblingsstorys ist die, wo man die Leute tippen lässt, was vermutlich das Lieblingsgemüse des anderen ist. 

RS: Ja, die Brokkoli-Studie. Das ist eine ganz erstaunliche Arbeit. Diese einfache Frage zwingt dich dazu, über den anderen als Individuum nachzudenken und seine Perspektive einzunehmen. Und schon hört die Amygdala auf, diesen Menschen als Mitglied einer Fremdgruppe zu sehen. Und da kann man sehen, dass wir als Menschen die bemerkenswerte Fähigkeit haben, unsere Neurobiologie und auch unser Verhalten zu ändern. Wenn es um die Geschwindigkeit geht, in der sich diese Dinge vollziehen, ist die Brokkoli-Studie wahnsinnig faszinieren. 

bookmark_borderWas uns aggressiv macht

Auch Primaten werden wütend. Wirklich böse jedoch ist nur der Mensch. Der berühmte Neuroforscher Robert Sapolsky erklärt woran das liegt – die Ursache wohnt tief in unseren Köpfen. Außerdem, so glaubt er, spielt „stuff“ eine Rolle, also die Entdeckung der Landwirtschaft und damit des sozioökonomischen Status‘, der sich anhäufen, stabilisieren und sogar ererben lässt.
Robert Sapolsky war schwer erkältet, als wir uns unterhielten. Er klang wie Tom Waits am Morgen nach einem tüchtigen Gelage. Ein Jammer, das Print dergleichen kaum einzufangen vermag.
(P.M.-Magazin, 5/2018)