bookmark_borderDer Weg aus dem Krieg zum Bauernhof am Ende der Welt

Metzger’s Michigan Monday #7

Diese Blätter hier gehören zu einem Tulpenbaum. Ich wusste nicht, dass es so etwas gibt, aber wir hatten Besuch von einer Frau, die sich damit auskennt. Seither sehe ich diese Blätter überall. Sie gefallen mir. Ich finde sie schön.

Generell unterhalte ich mich viel mit Menschen und bin in den meisten Dingen, die ich tue, eher schnell und hochdrehend. Seit meinem Pilztrip vom vergangenen Wochenende fühle ich häufiger das Bedürfnis, mich nicht zu unterhalten und langsam zu sein.

Gleichwohl am Lagerfeuer einen Mann getroffen. Plötzlich redet er auf mich ein und hört nicht mehr auf. Er ist Mitte 70 und man merkt, dass er selten wen hat, dem er was erzählen kann. Die Rente in den USA reicht vielen nicht, um davon zu leben. Er aber war seit je ein umtriebiger Kerl, also ist er nach Kiew gezogen, als er die 60 hinter sich hatte. Dort kostet alles nicht viel, sagt er. Man kann Dinge kaufen für kleines Geld und sie dann für mehr Geld an Leute in Amerika weiterverscherbeln. So wird ein Schuh aus allem und man lebt.

Die Stadt sei ganz toll, so erzählt er. Die Architektur, der Fluss, die Parks. Auch die Frauen. Jaja, auch das. Es hört niemals auf. Trotzdem. Die ganze Sache war eher eine Hassliebe. „Ich bin ohne Ende beklaut worden. Aus meinem Laden sind Sachen weggekommen. Bestimmt zwanzig Mal.“

Dann der Krieg. Ein paar Blocks weiter ging die erste Rakete runter. „Ich habe den Blitz gesehen und die Erschütterung unter meinen Füßen gespürt.“ Der Einschlag – er schaut nach am Folgetag – hat wohl ein ordentliches Loch geschlagen. „In den Nachrichten hieß es dann: ,Wir haben ein russisches Flugzeug über der Stadt abgeschossen, deshalb kam da was runter.‘ War aber alles gelogen. Wird eh viel gelogen dieser Tage. Wir erfahren kaum, was wirklich abgeht da drüben.“

Danach hat er zwei Koffer gepackt, ein paar Klamotten, die Zahnbürste, die wichtigsten Wertsachen. „Den Rest hab ich dort gelassen.“ Der Weg nach Hause hat mehrere Tage gedauert. Es war alles nicht lustig. Jetzt sitzt er irgendwo auf dem Land auf einem Bauernhof am Arsch der Heide. Ein kleiner Raum, in dem er schlafen kann. Ich vermute: Er hilft dafür ein bisschen mit bei der Ernte oder im Verkauf oderwasweißichwo.

Die Kinder reden nicht mehr mit ihm. „Die Mutter“, sagt er und seufzt und macht diese Quassel-Bewegung, bei der man mit dem Daumen von unten gegen die anderen Finger der flachen Hand schlägt. Düsteres Zeug danach über Wiedergeburt, Nostradamus, Hunger, Gewalt, die Unverbesserlichkeit der menschlichen Natur, über Nationalseelen, die über Generationen gereinigt werden müssen und so weiter.

Tags davor haben wir eine Nachbarstadt besucht und fanden uns plötzlich in einem Laden, der Tarotkarten feilbot, indianische Kräuter, keltische Symbole, ägyptische Symbole, Utensilien zur Ausübung des Hexenhandwerks und allerhand Tüddelkram. Fränkische Klangschalen der Firma Meinl. Eine Frau war bereit, einem für 25 Dollar nähere Informationen über die eigene Zukunft zukommen zu lassen. Ich hab im Geschäft mehrere Runden gedreht und mir alles angesehen. Kein Bedürfnis nach Gesprächen mit dem Fachpersonal – aber gucken wollte ich doch. An der Wand hingen ein paar Gemälde und ich dachte sofort: „Der Typ hat doch Pilze genommen!“ Dann die Biografie des Künstlers gelesen … und in der Tat. Kann natürlich sein, dass das läuft wie mit den Tulpenbäumen. Man ist so gut darin, die Dinge nicht zu sehen, auf die man sich nicht konzentriert. Und dann, wenn man einmal drauf achtet, sind die Dinge plötzlich überall und sie waren es seit je.

Was ich aber eigentlich sagen will: In Ann Arbor verwickelt man mich häufig in Debatten über Statistik, Theorien, aktuelle Studien und all so was. Das Kognitive regiert die Stadt. Die Welt scheint dann für kurze Momente beherrschbar und berechenbar. Junge Leute arbeiten mit Computermodellen, um das Verhalten bestimmter Proteine im menschlichen Körper vorherzusagen.

Aber schon ein paar Schritte nach Westen, Osten oder sonstwohin – und man landet in einer völlig anderen Welt, in der auf einmal auch ganz andere Dinge möglich sind und zum Alltag gehören. Und am Dienstag dürfen alle darüber abstimmen, wer in den nächsten Jahren zum Beispiel Gouverneurin wird.

Coco liegt im trockenen Herbstlaub und will, dass ich endlich den Ball werfe. Sie holt mich dann immer wieder zurück in die Welt der einfachen Dinge. Fast wie bei Heine:

Da bellt Hund schon früh am Morgen
und hechelt fort die deutschen Sorgen.

bookmark_borderHinter jedem Busch ein Nerd: Gedanken über Bohnenomelett, Max&Moritz, Blätterfarben, Kant und den Weltuntergang

Metzger’s Michigan Monday #3

Kapitel 1
Gestern war William wieder bei uns für einen Kochabend. Ich hab’s schon mal gesagt: William kocht am besten! Heute will ich mich auf nur eins der Gerichte beschränken. William schneidet dafür grüne Bohnen (in diesem Fall sind sie gelb) in sehr feine Ringe.

Danach kommen sie für ein, zwei Minuten mit etwas Öl in die Pfanne, bis sie bereits angegart, aber noch bissfest sind. Danach fügt William zwei verquirlte und gewürzte Eier hinzu. So wird daraus bald ein kurioses Omelett.

Ich hab’s heimlich getestet: Schon in diesem Stadium kann man das sehr gut essen. Ein Butterbrot dazu – Mittagessen! William geht aber noch ein paar Schritte weiter! Er legt ein halbes Omelett auf ein Nori-Blatt …

… um anschließend etliche Dinge hinzuzufügen. Vorher hat er mit seiner Mandoline ein paar Radieschen gehobelt, gesalzen und in Apfelessig eingelegt. Diese Radieschen kommen jetzt aufs Omelett, dazu auch ein paar fein geschnittene Stifte aus frischen Radieschen.

Danach noch allerhand Grünzeug: großblättriger Rucola, dazu eine mir unbekannte Pflanze aus der Familie der „Mustard Greens“, die eine gewissen herbe Schärfe mit in den Mix bringt. Darüber streut William knusprigen Reis, den er vorbereitet hat. Gibt der Sache eine tolle Textur. Die Sache mit dem Grünzeug ist ein Experiment. Ansonsten greift William zu einem Pesto aus Minze, Basilikum, Rucola, Knoblauch, Olivenöl, Salz, etwas geriebenem Apfel und Zitronensaft. Wär vielleicht NOCH besser gewesen.

Jetzt wird daraus eine Sushi-Roll!

Ein scharfes Messer zerteilt die Rolle in appetitliche Fingerhappen.

Da nicht alle Gäste gerne scharf essen, hat William das Sushi sehr mild gehalten. Man kann da natürlich noch alle möglichen Schweinereien mit reinkippen und dazu diverse Tunken und Soßen servieren, wie man das auch sonst beim Sushi macht. Es schmeckt sehr frisch und hat eine wunderbare Textur. Und wie gesagt: Die Sache mit dem Bohnenomlett kann man sich eh mal merken! So lecker! Es ist jedesmal wieder ein Lernabenteuer erster Kajüte!

Kapitel 2
Ansonsten übe ich dieser Tage viel mit Kai, der in der Schule Deutsch lernt. Dabei ist mir aufgefallen: Dativ und Akkusativ muss man bei Nicht-Muttersprachlern ganz anders erklären, als man uns das in der Grundschule erklärt hat. Es gibt Gründe, warum „Deutsch als Fremdsprache“ ein eigener Studienschwerpunkt ist. Mal wieder die alte Erkenntnis: Der Teufel steckt im Detail und das merkt man erst, wenn man’s mal selber gemacht hat.

Zwischendurch lockere ich unsere Stunden mit traditionellem Kulturgut auf und lasse meinen gelehrigen Schüler Zeilen aus der deutschen Lyrik auswendig lernen. Man weiß nie, wofür man’s nochmal braucht. In dieser Woche: Max & Moritz. Seither höre ich regelmäßig den Ausruf. „Ach, die bösen Kinder!“ Und natürlich das folgende – unsterbliche – Zitat, aus dem sich mit jugendlichem Elan auch der eine oder andere Klo-Witz zimmern lässt:

3. Kapitel
Hab dieser Tage noch ein bisschen Zeit auf eine größere Geschichte verwendet, die ich für die Leute von „Geo“ geschrieben habe. Dabei hatte ich unter anderem Kontakt mit einem Professor aus Europa, der – wie es der Zufall wollte – auch mal ne Weile hier in Michigan gearbeitet hat. Er schreibt: „Oh Mann, Herbst ist die beste Zeit in Ann Arbor!“ Und er hat völlig recht damit. Die schönen Blätterfarben kommen, die Sonne scheint, die Luft ist ganz wunderbar.

Man denkt als alte Kartoffel zu selten darüber nach. Aber: Ist es nicht eh phantastisch, dass wir so was wie Jahreszeiten haben? Ehrlich, jetzt mal! Im Garten haben sich derweil neue Freunde gefunden. Eine Hirschkuh und ein wilder Truthahn fressen sich gemeinsam ihren Winterspeck an. So schön, wenn man gut miteinander auskommt, oder?

Sogar Coco duldet die beiden gnädig. Naja. Zumindest manchmal. Sie jagt dann lieber den Ball, den wir ihr werfen. Sie liegt dieser Tage oft im Garten, reckt die Nase in die Höhe und schnuppert, was der Herbst so bringt. Auch sie findet: Es ist die beste Jahreszeit von allen!

4. Kapitel
Neulich waren wir bei einem „progressive dinner“ eingeladen. Man geht dann für jeden Gang in einen anderen Garten, den großzügige Gastfamilien für einen geöffnet haben. Jeder bringt was mit, es geht einfach um die Gemeinschaft. Dann stellt man sich zu wildfremden Leuten und fragt: „Und, was machst du so?“ Hab ne Menge gelernt dabei. Zum Beispiel, wie man in der Soziologie „Vermögen“ misst (es ist kompliziert und keine Methode perfekt), welchen Einfluss Zarathustra auf die Gedanken von Platon hatte, woher man in Michigan „Magic Mushrooms“ kriegen kann, mit welchen mathematischen Methoden sich Musik analysieren lässt und warum die Power der Künstlichen Intelligenz maßlos überschätzt wird. Und dann war da noch das Thema Immanuel Kant. Nicki und ich haben erst am Vormittag in einem Gespräch festgestellt, dass ich im Grunde Kantianer bin. Jetzt auf dem progressive dinner gerate ich doch glatt in ein einstündiges Gespräch über den Begriff der Subjektivität bei Kant. Und das auf ne Art, die ich mir in Tübingen auch sehr für mein Studium gewünscht hätte. Die Philosophie-Professorin sagt sinngemäß: Man versteht den alten Kant im Englischen tendenziell besser als im Deutschen, weil das Englische eine andere Form von Klarheit erzeugt. Kürzere Sätze und all so was. Im Deutschen ist Kant nicht immer leicht zu verstehen. „Aber Hegel war schlimmer!“, sagt sie.

Was ich mit all dem sagen will: Hier in der Stadt steht hinter jedem Busch ein Nerd. Es ist ganz unglaublich. Ich genieße das sehr, auch wenn mir klar ist, dass das ein elend privilegiertes Leben ist und mit dem Rest der Welt nicht immer sehr viel zu tun hat.

5. Kapitel
Und das bringt mich zwanglos zum Traum der vergangenen Nacht. Da ist genau diese Welt nämlich untergegangen. Und zwar so richtig. Wenn ich mir jetzt so die Nachrichten ansehe, mit Inflation, Krieg, Klima, Corona und all den wachsenden Spannungen überall, dann … tja. Vielleicht macht sie gerade ja wirklich genau das. Es wäre elend schade drum.

bookmark_borderSoftball und die Kunst des Nichtstuns

Metzger’s Michigan Monday #2

Letzte Woche habe ich aktiv an einem Sportereignis teilgenommen. Und zwar. Haben die Leute aus Nickis Institut für so ne Art bunte Liga im Softball gemeldet und waren dankbar für Unterstützung. Softball ist wie Baseball, nur großzügiger.

Zum Beispiel ist die Keule, mit der man den Ball schlägt, nicht aus Holz, sondern aus Aluminium, was den Schwung erleichtert. Ich hab mir also so einen Schläger in die Hand drücken lassen und mein Glück versucht. Der Mensch, der einem den Ball zuwirft, spielt für die andere Mannschaft. Man kriegt den Ball deshalb selten so, wie man ihn gerne hätte. Ich habe all meine ersten Versuche vermasselt und war dann sofort raus.

Das Bild oben zeigt einen der wenigen Versuche, wo die Sache gut für mich ausging. Ich hab den Ball getroffen, hab’s auf die erste Base geschafft. Und nach tüchtigen Schlägen meiner anderen Teamleute bin ich dann tatsächlich „nach Hause“ gelaufen, was dem Team einen Punkt beschert hat. Ich mag das Bild sehr, man sieht, wie ich kurz davor bin, mit dem linken Fuß die Homebase zu berühren, also den Punkt zu machen. Rechts oben sieht man einen gelben Punkt – den Ball. Dahinter liegt unscharf ein bärtiger Mann quer in der Luft. Er hat den Ball hechtend geworfen, mit maximalem Einsatz. Die Frau neben mir wartet darauf, den Ball zu fangen. Wenn sie ihn fängt, ehe ich die Base erreiche, bin ich raus. Aber die Sache geht gut für mich aus, es war ein toller Moment. Entsprechend jubelnd zeigt mich das nächste (leider unscharfe) Bild:

Die eigentliche Lehrstunde hat mir jedoch eine andere Frage beschert: Was tun, wenn der Ball mir nicht gut zugeworfen wird? Dafür gibt es strenge Regeln. Der Ball darf nicht zu hoch sein, nicht zu flach, nicht zu weit rechts, nicht zu weit links. Pitcher sein – das ist ein schwieriger Job. Und die Faustregel bei so einem schlechten Ball lautet: Du machst gar nichts! Der Pitcher kriegt einen Fehler aufgeschrieben. Wenn er drei davon gemacht hat, darfst du ganz umsonst zur ersten Base marschieren. Und, Junge, HABEN mir meine Leute das eingebläut! „You don’t swing!“ Natürlich muss man vorher trotzdem so TUN, als würde man draufhauen. Wie ich hier im nächsten Bild. Bei all meinen Fehlversuchen meinten meine Leute: „Das Dastehen sah schon mal ganz gut aus.“

Das war sehr höflich. Überhaupt: Ich mag das Jubeln und Anfeuern sehr – es ist immer noch Amerika! Mein größtes Problem bestand darin, dann auch WIRKLICH nicht zu schlagen. Ich konnte es nicht.

Denn: Ich WILL diese blöde Kugel treffen, es ist ein Reflex, auch wenn die Kugel schlecht geworfen ist! Man haut dann natürlich vorbei – nach dem zweiten Fehlversuch ist man raus. Meine Leute verbergen ihre Gesichter schamvoll in ihren Händen. „Anfängerfehler“, meint Nicki trocken.

Und damit sind wir bei der großen Weisheit des Tages: Nichtstun ist eine Kunst. Es ist sehr schwierig, absichtsvoll nichts zu tun – zumal, wenn die Situation nach Aktion schreit, nach Lösung und Handlung. Ich beschäftige mich ja seit Jahren mit den möglichen Interventionen von Regierungen. Aus der Psychologie kommen dazu ganz interessante Ideen, wie man das ohne viel Aufwand machen kann und ohne die Freiheit der Menschen zu stark zu beschränken. Ein paar kluge Leute aus England haben über eine Art und Weise nachgedacht, dieses Regierungshandeln einzuordnen. Sie haben acht Stufen des Eingreifens ausgemacht. Die unterste Stufe – und das war damals ein großer Aha-Moment für mich – lautet: „Wir machen gar nix.“ Das bewusste Nichtstun ist AUCH eine Form der Intervention, eine Art des Eingreifens. Man entscheidet sich fürs Nichtstun – und das ist manchmal das Allerbeste überhaupt. Wie beim Softball, wenn die Kugel schlecht geworfen wurde.

Damals, vor Urzeiten, hab ich mich in meiner Magisterarbeit ja mit der Rednerschule der Nationalsozialisten in den späten 1920ern und frühen 1930ern befasst. Ich habe dabei auch ne Menge über die Führungsstrukturen der Partei gelernt. Es gab andauernd Zank zwischen irgendwelchen Abteilungsleitern und dann haben alle den großen Vorsitzenden angeschrieben und gesagt: „Jetzt tu doch endlich mal was!“ Man findet das auch in den Tagebüchern von Goebbels: Alle paar Seiten jammert er darüber, dass Hitler mal wieder NICHTS TUT und Probleme nicht auflöst. Ihm war entgangen, dass das Nichtstun komplett Absicht war und sozusagen das Machtprinzip seines Meisters. Sollen die andern sich doch kloppen! Soll der Ball doch fliegen und der Pitcher nen Fehler aufgeschrieben kriegen! Seit jenen Tagen hab ich in der Zeitung immer wieder Klagen gelesen über Menschen mit großer politischer Verantwortung. Über ihr Aussitzen. Ihre Unsichtbarkeit und all das. Tja.

Nichtstun ist eine Kunst. Und niemand sollte unterschätzen, wie sehr es gegen unsere Impulse geht. Man muss Respekt davor haben, wenn jemand das gut hinkriegt.

Dennoch bevorzuge ich persönlich natürlich die Aktion. Das Tun macht mir mehr Freude als das Nicht-Tun. Und so habe ich Nicki dazu überredet, ein Gericht auszutesten, das ich noch nie gekostet habe. Also sind wir mit der inzwischen nicht mehr stinkenden Schäferhündin in die Innenstadt marschiert, um bei Zingerman’s zwei „Knishes“ zu bestellen. Es handelt sich um ein Gebäck, das man mit gewürztem Kartoffelbrei oder anderen Sachen gefüllt hat.

Die Teigkissen waren im Januar Stadtgespräch, als die hiesige Uni ihren Präsidenten gefeuert hat. Er hatte ein Verhältnis mit einer Mitarbeiterin. Zusammen mit der Absetzung hat man gleich noch ein paar hundert Emails ins Netz gestellt, die die beiden einander zugeschickt hatten. Ich fand die Veröffentlichung einigermaßen schäbig, eine Aktion mit ranzigem Beigeschmack, sozusagen. War natürlich trotzdem unterhaltsam. Ein Satz des Präsidenten aus der Korrespondenz hat es sogar in die Headline der Berichterstattung geschafft: „I can lure you to visit with the promise of a knish?

Knishes, so viel kann ich sagen, sind nahrhaft und lecker. Preis: 4,99 $ das Stück.

bookmark_border67 Hundehaufen und ein wenig Tischtennis

In den vergangenen Tagen ist es wärmer geworden, was den Schnee schmelzen ließ. Dies ist Jahr für Jahr das Signal für eine etwas lästige Vorübung für die Ostertage. Denn Coco, die Hündin, pflegt bei ihrem täglichen Morgengang übers Grundstück das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, die Resultate verbirgt für ein paar Wochen der Schnee. Nach dem Tauwetter schnappt sich der Mensch also eine Schaufel, um den Rasen zu säubern. Heute waren’s am Ende 67 Hundehaufen.

Was ich damit sagen will: Viele Dinge sehen am Anfang weiß und geschlossen aus, wie eine lineare Geschichte, bei der ein Element sich ohne Naht und Saum an das andere reiht. Aber wenn man dann eine Weile wartet, verschwindet die geschlossene Erzählung. Dann nimmt man die Schaufel um räumt den Unrat beiseite. Haufen für Haufen.

Man kann natürlich auch warten, bis Zeit und Kleinstorganismen den Job gemeinsam erledigen. Man muss dann halt etwas länger drauf achten, nirgendwo reinzutreten.

Das geht auch.

Manchmal lese und sehe ich Dinge in den Nachrichten und denke mir still: Mal sehen, was zutage tritt, wenn der Schnee schmilzt. Und wer dann alles wegräumt.

Ansonsten war ich beim Tischtennis. In Amerika gelten dabei genau dieselben Regeln wie bei uns. Aber die sozialen Regeln drumherum sind ein wenig anders. In Hamburg, wenn ein Neuer auftaucht, spricht ihn jemand an und fragt ihn, ob er nicht ein paar Bälle spielen will. So läuft es in Deutschland.

In Amerika läuft es anders, zumindest wenn, wie gestern, mehr Menschen als Plätze in der Halle sind. Dann stellt man seinen Schläger an die Seite einer Platte. Die beiden Spieler müssen dann sofort ein Match beginnen. Wer verliert, räumt den Platz für den Neuen. Und dann spielt man da an der Platte, bis wer anders den Schläger an die Seite stellt und man selbst um seinen Verbleib in einen Wettbewerb treten muss.

Das klingt erstmal herzloser als bei uns, hat aber einen interessanten Effekt, den ich am Anfang nicht durchschaut habe. Die Regeln erziehen einen dazu, möglichst ein Paar von Spielern zu fordern, bei denen man denkt: Gegen beide könnte ich vielleicht gewinnen. Wenn man nämlich zu starke Spieler fordert, bleibt die Zeit an der Platte ein kurzes Vergnügen.

Man lernt nie aus.

bookmark_borderHappy End mit Stromausfall

Das Interessante an Büchern und Filmen ist ja, dass sie irgendwie „ausgehen“. Das hat uns als Kinder immer am meisten interessiert. Jemand hatte ein Buch gelesen, wir noch nicht. Wir kannten nur den Anfang oder ein paar Grundfiguren. „Und, wie geht’s aus?“ – das war die wichtigste Frage. Dasselbe im Fernsehen. Damals war’s ja so: Ein Film lief einmal – und wenn man nicht aufbleiben durfte oder den Film aus sonstigen Gründen „verpasst“ hatte, dann war es das eben für die nächsten Jahre. Vielleicht sogar für immer. „Wie ist es ausgegangen?“ Es war immer dieselbe Frage.

Ich persönlich wollte immer, dass es „gut ausgeht“.

Denn wir wissen ja alle, wie unser Leben endet: Man stirbt und ist dann tot. Man weiß es vorher. Wie also kann ein Leben „gut ausgehen“? „In den Himmel kommen“ schien mir als Chance zwar plausibel, aber auch relativ abstrakt. Die Panik vor der eigenen Sterblichkeit hat im Kindergarten angefangen und dann sehr lange angehalten. Jeder Film und jedes Buch, das zu Ende ging, fühlte sich an wie ein Probelauf dafür. Es war immer ein großer Verlust. Dass die Erzählung für die Heldinnen und Helden gut ausgegangen war, tröstete immerhin ein wenig. Die offenen Enden oder gar die „auf der letzten Seite sind dann endlich alle tot“–Variante hab ich stets als düstere Zumutung empfunden. Warum den Schmerz mit Absicht verdoppeln?

Dieser Tage in Michigan reden jedenfalls alle vom Wetter. Bis kürzlich war’s noch: kalt und trocken. Der Fluss komplett zugefroren, mehr als zehn Zentimeter dick die Eisschicht, wir haben einen jungen Mann gesehen, der mit dem Fahrrad über den See gefahren kam.

Heute zum Frühstück fielen dann die ersten Flocken.

Der Wetterdienst sagt, dass wir bis zum nächsten Frühstück bis zu 40 Zentimeter Neuschnee kriegen könnten. Das ist sehr viel Schnee für meine Verhältnisse. Hab vorhin die Zufahrt geschippt und „Weg gemacht“, wie man in meiner alten Heimat sagt. Der letzte Schnee war trocken, leicht und pulverig. Dieser Schnee ist eine schwere Pampe. Ich fürchte, er wird für manchen Baum eine zu große Last. Die Bäume knicken dann, sie fallen in Leitungen – und wir haben keinen Strom. So könnte es kommen, aber man weiß es halt nicht genau.

Ich hoffe, die Sache geht gut aus. Mit Stromausfall oder ohne. Jetzt erstmal: Holz ins Haus bringen. Kerzen bereitlegen, den kleinen Gaskocher aus dem Keller holen für alle Fälle. Hund und Katze haben es sich schonmal gemütlich gemacht.

bookmark_borderSegler auf dem Eis

Es ist tüchtig kalt dieser Tage. Der See ist seit Tagen zugefroren, und die Leute machen sich ihren Spaß daraus. Kinder spielen Eishockey. Am Samstag seh‘ ich hier zum ersten Mal zwei Eissegler. Der Wind ist schwach, aber wenn sie ne günstige Brise erwischen, dann nehmen die Jungs gut Fahrt auf. Klar eigentlich: So richtig viel Reibung gibt es nicht auf dem Eis.

Direkt am Damm macht der See unterm Eis merkwürdige, basslastige Geräusche. Unheimlich. Vielleicht liegt es an der Strömung, die unterhalb der Eisschicht immer noch Richtung Wasserfall drängt.

Gestern dann einmal um den See herumgewandert. Am anderen Ufer stehen die Eissegler. Das sind keine besonderes neuen Geräte, aber irgendwie hab ich das Gefühl, dass das ein sehr schönes Hobby sein kann.

Gerade nachgesehen. So richtig teuer müssen die Dinger gar nicht zu sein. Im Netz verkauft jemand aus Ohio zwei Boote inklusive Segel für je 500 Dollar.

Dann entdecken wir nah am gegenüberliegenden Ufer zwei Leute auf dem Eis, die sich merkwürdig bewegen. Sie tragen keine Schlittschuhe, so viel steht schon mal fest. Durch den Feldstecher wird dann klar: Es handelt sich um Eisangler. Sie bohren sich gerade ihre Löcher. Später dann sehen wir, wie sie ein Zelt über eines der Bohrlöcher stellen. Freunde haben mir erzählt, dass Eisfischen hier in Michigan ne große Sache ist. Auch cool, irgendwie.

Am Ende macht Coco einen kleinen Ausflug über den See, Neugier und Übermut treiben sie hinaus. Sie will, dass wir Stöckchen werfen. Sie bewegt sich tapsig und schlitternd wie ein Welpe. Das Eis macht alle wieder jung. Der Winter ist eine schöne Jahreszeit. Aber kalt.

Gestern haben sie hier im Übrigen den Präsidenten der Uni gefeuert. Er hatte wohl eine Affäre mit einer Mitarbeiterin. Und sie haben sich Sachen über die Geschäftsmail geschickt. Keine gute Idee. Viele der Mails stehen jetzt einfach so in der Zeitung und alle reden darüber. Es gefällt mir nicht. Ich finde es übertrieben. Aber das ist Kultur. Ich muss in den nächsten Tagen nochmal was dazu sagen.

bookmark_borderDie Sachen, die man früher geschrieben hat, gehören einem nicht mehr

Gestern wie üblich den Hund ausgeführt. Dabei am Straßenrand der Newport Road dieses alte Ackergerät entdeckt. Eine Mähmaschine. Halb verschneit. Ich vermute: eine McCormick. Ich hab mich vor ein paar Jahren mal mit so was beschäftigt und heute fällt mir auf, dass die Sachen, die man früher geschrieben hat, einem nicht mehr gehören.

Jetzt hab ich hier Feierabend gemacht und versucht, mich zu erinnern. Bei Nicki im Haus steht ein Exemplar des Buches, das ich vor sieben Jahren geschrieben habe. Es heißt „Und doch ist es Heimat“. Es geht um mein Heimatdorf 1945. Und das Kapitel 39 heißt tatsächlich „Die Mähmaschine“.

Ich habe es gerade gelesen und es fühlt sich seltsam an.

„Sie ruht unter Spinnweben und wird nie mehr erwachen. Noch erkennt man deutlich die versetzten Querstreben in den eisernen Hinterrädern und den einzelnen nach hinten gezogenen Metallsitz.“

So geht es los.

Hier sind die Hinterräder der Maschine in Ann Arbor. Sie sehen so aus, wie das Buch sie beschreibt.

Es fühlt sich alles seltsam an.

Das Kapitel handelt von einem Zwölfjährigen, der sich das Hemd seines Vater anzieht, um eine große Wiese zu mähen, „eine Arbeit, für die man zu zweit sein sollte, selbst wenn man schon erwachsen ist.“ Aber der Junge macht die Arbeit allein. Er leiht sich ein altes Pferd. Das Pferd ist schmutzig. Er macht es sauber. „Wir wollen fein aussehen, wenn’s gleich nach draußen geht.“

„Er striegelt und bürstet dem Tier die Nacht von den Flanken, aus der Mähne, aus dem Schweif. Dann legt er ihm das Zaumzug an und führt es hinaus auf den Hof, wo er gestern schon die McCormick bereitgestellt hat. Er schirrt den Gaul an, legt ihm das Kummet um den Hals, sichert mit dem Gurt am Schweif, hängt die Zügel ein. Sie Sense und die Gabel hat er an der Maschine festgemacht. Er steckt den Wetzstein in die Tasche …“

„Hermann öffnet das Hoftor, klettert auf den eisernen Sitz … 

… löst die Bremse, und dann geht es hinaus mit Pferd und Mähmaschine. Die Eisenräder rattern übers Pflaster der Oberen Gasse, während im Milchgrau des Morgens hier und da ein Hahn kräht aus den Hinterhöfen, wo es noch Hähne gibt.“

Ich lese ein paar Seiten und möchte einen Stift nehmen, um Passagen zu streichen und andere hinzuzufügen. Aber die inneren Bilder von damals kommen dann trotzdem ganz von selbst. Das geht husch, husch zwischen einem Wort und dem anderen. Und das Gefühl dahinter beim Schreiben und beim Ausdenken. Das Gefühl sagt: „Du bist noch nicht so weit. Aber Du muss trotzdem.“ Und im Moment fühlt es sich an, als wär’s ungerecht und zu viel. Aber hinterher denken die Alten über ihr Leben nach und genau diese Momente bleiben. Über diese Momente wollen sie reden. Über die Momente, wo sie zu jung waren und überfordert und wo sie trotzdem diese Erwachsenendinge machen mussten. Und ich erinnere mich an die Geschichte, die echte erlebte Geschichte, die mir das Grundfutter für das Kapitel gegeben hat. Der alte Mann hat sie mit Trauer erzählt, weil seine Kindheit keine war. Aber auch mit Stolz, weil er’s halt irgendwie doch hingekriegt hat.

Man muss beim Schreiben wieder zurückgehen zu den ganz einfachen Dingen. Zu den ganz archaischen Erfahrungen.

Jedenfalls. Da war eine alte Mähmaschine am Rand der Newport Road. Eine McCormick, wie ich vermute. Eine geschenkte kleine Zeitreise. Jetzt muss ich den Hund füttern.

bookmark_borderAngeblich können wir 4000 Wörter pro Minute denken

Dies ist eine Landkarte. Wir haben sie am Eingang des Waldes entdeckt, der in der Nachbarschaft rumsteht. Man kann sich damit prima orientieren. Die Landkarte ist ein Bild. Sie ist eine Sammlung von Gedanken. Sie ist viele Gedanken zugleich. Viele Gedanken, die miteinander zusammenhängen. All das macht die Welt um uns her auf einmal erklärbar und verstehbar. Man kommt nicht mehr vom rechten Wege ab. Eine meisterhafte Erfindung. Sie macht, dass ich Stolz empfinde auf die Menschheit und all ihre Hervorbringungen.

Dieser Tage hab ich ein Buch gelesen, das im nächsten Jahr in deutscher Übersetzung auf den Markt kommt. Geht mal wieder um Psychologie. Darin lese ich von einer Studie aus den 90er Jahren. Es geht um unsere Gedenken. Diese innere Stimme, die da die ganze Zeit vor sich hin plappert. Wie schnell redet diese Stimme eigentlich? Wie schnell können wir denken? Die Studie behauptet, dass wir innerhalb einer Minute 4000 Wörter denken können. Das ist wahnsinnig viel Stoff in sehr kurzer Zeit. 13 bis 14 Buchseiten in einer Minute. Ein ganzer Schinken wie „Krieg und Frieden“ in zwei Stunden. Irre.

Trotzdem fällt mir mal wieder auf, dass es einfach unmöglich ist, sehr viele Fragen in angemessener Tiefe zu durchdenken. Man schafft das immer nur für ein paar Dinge. Bei den meisten anderen Dingen schafft man es nicht. Und dann vergisst man natürlich fast alles wieder. Oder hat es gerade nicht parat. Der Geist ist ein Schreibtisch, bis obenhin zugemüllt mit Büchern, Heften und Aktenordnern. Und klar: Da können immer nur ein paar Bücher, Hefte oder Ordner ganz oben liegen. Den Rest müsste man erstmal suchen, um drin lesen zu können.

Deshalb sind wir wahnsinnig schlau und wahnsinnig dumm zugleich.

Ob die Sache mit den 4000 Wörtern stimmt, weiß natürlich kein Mensch. Die Methode der Studie überzeugt mich nicht besonders. Wenn heute ein Forschungsteam versuchen würde, dieselbe Sachen rauszukriegen, würde vermutlich eine ganz andere Zahl rauskommen. Man darf gerade in den weichen Wissenschaften nicht alles so wörtlich nehmen.

Ne gute Story ist es trotzdem.

Ich brauch noch ein Geschenk für Weihnachten. Oder zwei.

Mein Gehirn braucht für diesen Gedanken nur den Bruchteil einer Sekunde. Aber wenn ich dran denke, dass ich das Zeug auch wirklich besorgen muss, fühle ich mich wie Coco aufm Sofa. Hundemüde.

bookmark_borderDer Advent hat noch nicht angefangen – und schon ist er vorbei

Der Hund und die Katze haben es sich gemütlich gemacht. Der Advent juckt sie nicht. Mich aber schon: Er ist vorbei, ehe er richtig angefangen hat. Ich bin bestürzt.

Woran liegt’s? Mal wieder daran, dass a) zu viel Arbeit war und ich b) so doof war, sie auch noch zu machen. Das ist eine ungünstige Kombination, wenn man sich innerlich aufs Weihnachtsfest vorbereiten will. Plötzlich sitzt man unterm Christbaum und denkt heimlich an die nur halb abgehakte To-Do-Liste. Scheiß-Kapitalismus!

Das Wetter dagegen hat letzthin mächtig den Zaunpfahl geschwungen. Gestern zum Beispiel waren die Zweige vereist, was sehr schön aussah.

Von der Brücke über dem Huron River hingen kleine Eiszapfen, als hätte das Eisengeländer einen schlimmen Schnupfen und keine Taschentücher dabei.

Und hier dasselbe nochmal flussabwärts geknipst:

Also: Kekse gebacken. Meine Mutter hat mir ein Rezept zugeschickt. Dann waren aber nicht alle Zutaten am Start. Keine Zitrone mehr im Haus. Also den Saft aus einer dieser Plastikflaschen genommen. Keine Haselnüsse da. Also ein paar Walnüsse in der Tüte kleingekloppt. Vanillin-Zucker gab’s auch nicht (was ist los mit Dr. Oetker???). Und das Mehl hier ist auch irgendwie anders als das Mehl in Deutschland. Im Moment lautet meine Faustregel, dass ich ungefähr 30 Prozent mehr Mehl reinkippen muss, um vergleichbare Ergebnisse zu erzielen. Muss mich mal schlau machen, woran das eigentlich liegt. Ausstechformen waren auch keine da. Also ein Sektglas genommen. War zu groß. Aber egal. Die Kekse sind sehr lecker geworden.


Jetzt muss ich nur noch in die Stadt, um Geschenke zu besorgen.

Omikron wird keine Welle, sondern eine Wand, hab ich heute in der Zeitung gelesen.

Hab also versucht, ne Booster-Impfung zu kriegen. Im Netz rumgemacht. Zu Apotheken gefahren. Rumgefragt. Aber es hilft alles nix. Sie boostern mich erst, wenn genau sechs Monate seit der Zweitimpfung vergangen sind. Keinen Tag vorher. Die Amerikaner sind manchmal deutscher als die Deutschen, wenn ich nicht dabei gewesen wäre, ich würd’s nicht glauben.

Naja.

Back ich bis dahin halt noch n paar Kekse.

bookmark_borderOmikron und alles hält den Atem an

Am Samstag kamen die ersten Meldungen zu Omikron. Da war ich noch bei meinen Eltern in Süddeutschland. Freunde haben mich angeschrieben und gesagt: „Da braut sich was zusammen. Sieh zu, dass Du nach Amerika kommst.“ In Amerika wohnt meine Lebensgefährtin. Ich wollte nicht nochmal 13 Monate travel ban von Hamburg aus erleben. Also bei KLM angerufen und meinen Flug um ne knappe Woche vorverlegt. Ja, ich weiß: Es ist unglaublich, dass all diese Dinge überhaupt möglich sind. Über den Teich fliegen. Überhaupt sagen können: Ich will lieber fünf Tage früher. Alles ein Wahnsinn. Gemacht hab ich’s trotzdem.

Zwischenstopp in Amsterdam und dort meine Tochter getroffen. Hab’s sie lange nicht gesehen und sehr vermisst. Sie hat das folgende Bild aufgenommen. Sieht man mir die Freude an?

Jetzt bin ich jedenfalls wieder in Michigan. Halte mich noch fern von den Menschen, man weiß nicht, ob ich mir unterwegs was eingefangen habe. Denn das Flugzeug übern Teich war voll bis auf den letzten Platz. Was hab ich dort erlebt? Mal sehen: Neben mir saß ein Mann, der sehr viel geschlafen und dabei geschnarcht hat. Irgendwann hab ich dann nochmal zu ihm rüber geguckt. Er hat immer noch geschnarcht aber seine Augen waren offen. Auf seinem Monitor lief „The Fast and the Furios“. Er ist der erste Mensch, den ich dabei beobachte, wie er auch im Wachzustand noch schnarcht.

Dann muss man ein Wort über die Einreise sagen. Ich hab das ja schon ein paar Mal gemacht, aber es ist immer noch stressig. Weil man manchmal halt an Leute gerät, die ihren Job sehr verbissen sehen und dann muss man auf einmal sehr viele Fragen beantworten und der Ton wird von Satz zu Satz schärfer und unangenehmer. Die Beamten haben wahnsinnig viele Befugnisse und es gibt keine zwei Meinungen darüber, wer in dieser Situation das Sagen hat. Ich jedenfalls bin das nicht.

Es ist jetzt 17 Monate her, dass ich das letzte Mal aus Europa direkt in Detroit gelandet bin. Und dort dann – huch! Wo sind die ganzen Maschinen geblieben? Sonst musste man immer an irgendwelche Geräte gehen, die wie Geldautomaten aussahen. Ausweis scannen, Boarding Card, Fingerabdrücke, Grund der Einreise, das ganze Programm. Dann wieder in der Schlange stehen und schließlich: das Einzelinterview, also die Sache mit den Fragen. Manchmal waren’s nur drei, manchmal waren’s 20 oder 30.

Diesmal aber: keine Datenautomaten mehr. Mehr Schalter offen. Kürzere Schlangen. Es ging alles wahnsinnig schnell. Der Beamte hat mir zwei Fragen gestellt. Vielleicht auch drei, das weiß ich nicht mehr. Dann: „Welcome to the United States.“ Stempel in den Pass – fertig. Er wollte nicht mal meinen Impfpass sehen, auch nicht meinen negativen Covidtest. Ich musste lediglich vor dem Abflug einen Zettel ausfüllen und bestätigen, dass ich beides dabei hab. Sehr seltsam.

Jetzt sitze ich hier bei meiner Lebensgefährtin, Arbeitsbeginn irgendwann zwischen sechs und acht. Am Nachmittag ein Spaziergang runter zum Fluss. Das Licht war heute ganz abenteuerlich, der Regen hat am Vormittag den Schnee weggespült. In der Nacht hat man die Coyoten gehört. Dazu mehr am Wochenende. Bin froh wieder hier zu sein. Und Coco, die Schäferhündin, freut sich auch. Sie ist ein sehr guter Hund.

Dieser Satz wird nicht gut altern, aber ich schreib ihn trotzdem auf, weil man solche Sachen im Nachhinein gerne vergisst: Mit der neuen Variante scheint alles möglich zu sein. Omikron ist da und alle halten den Atem an. Vielleicht verändert sich die ganze Pandemie. Vielleicht wird sich das Virus dadurch auch verharmlosen, hat man alles schon gesehen. Oder der Mist fängt jetzt erst richtig an. Man weiß es einfach nicht. Und so richtig vorstellen kann man es sich eh nicht. Also tun wir einfach so, als wär‘ bald Weihnachten wie immer.