
Am Morgen in Iowa mit A. gesprochen. Ihm gehört das Autobahnhotel, in dem wir übernachtet haben. Er macht den Empfangsdienst jetzt persönlich. Muss so. Sein Personal hat er fast komplett entlassen. An guten Tagen hat er noch 30 Prozent der Gäste, die ansonsten kommen würden. Er preist Trumps „volle Kirchen zu Ostern“-Initiative. Guter Mann, dieser Trump. „An der Börse“, sagt er und zeigt auf die Zeitung, die vor ihm liegt, „hatten wir das beste Ergebnis seit Ewigkeiten.“ Er schüttelt den Kopf. „Aber vermutlich werden ihn ‚the doctors‘ bald wieder zurückpfeifen.“ Er sagt: Wenn es auf dem bisherigen Niveau weitergeht, kann er noch zwei Monate durchhalten. Danach muss er den Laden dicht machen. A. ist Mitte 50. Dieses Hotel ist kein Job für ihn, sondern die Verkörperung des American Dream. Sein eigenes Hotel haben. Unternehmer sein. Reich werden. Jetzt ist alles im Eimer. Weil „die Experten“ übertreiben und keine Ahnung vom wirklichen Leben haben. „Bisher ist bei uns in Iowa ein einziger Mensch am Virus gestorben“, sagt er. A. ist weder dumm noch böse. Aber er hat viel und hart gearbeitet und jetzt steht er da und weiß nicht mehr so richtig, warum und wofür er all das eigentlich gemacht hat. Ich muss an früher denken und diesen Moment beim Monopoly, wo der ganze Ärger, die ganze Freude, die ganze Spannung auf einmal von einem abfallen und man merkt, dass alles nur ein Spiel war.

Wir sind jetzt mehr als drei Tage lang fast ausschließlich durch die Pampa gefahren. Selbst ohne Corona kommt dort so gut wie nie ein Mensch vorbei. Im Großraum Chicago wird die Straße auf einmal voll, trotz „Shelter in Place“ in Illinois. Wir fahren raus, weil wir tanken müssen und irgendwo mitten auf der Ausfahrt muss irgendjemand auf den Knopf einer Zeitmaschine gedrückt haben. Nanu? Die Tanke ist sehr gut besucht. Niemand trägt Gummihandschuhe. Die Leute halten die Zapfpistole mit bloßer Hand. Wenn sie zur Kasse gehen oder aufs Klo, dann fassen die Türgriffe an, die Türrahmen. In Kalifornien haben wir immer wieder diesen kurzen Moment des Zögerns beobachtet, wenn jemand eine Tür zu öffnen hatte. Diesen Prozess des Nachdenkens – wie kriegt man das hin, ohne sich Viren an die Hände zu holen? Hier jedoch zögert keiner. In der Schlange an der Kasse stehen die Leute dicht an dicht und keinen scheint’s zu kümmern.
Wir holen uns ein Haus weiter Tacos vom Takeout-Fenster. Ich halte die Kreditkarte in einem Papiertuch, als ich sie der freundlichen Dame reiche. Ihr Blick fällt auf das Tuch. Sie lächelt. Das Lächeln sagt: „armer Irrer!“ Und einmal mehr fahren wir weiter und wissen, dass irgendjemand in dieser Situation nicht ganz dicht war. Wir oder die anderen? Das kann, glaube ich, immer noch niemand so genau sagen.

Ach ja, an der Grenze von Iowa nach Illinois sind wir über den Mississippi gefahren. Ein riesiger Fluss, hier schon. Interessiert keinen. Ich wollt’s trotzdem gesagt haben.
Als wir dann später die Grenze von Indiana nach Michigan überqueren, kribbelt es ein bisschen.

Wir hören unterwegs auch wieder „The Daily“, den Podcast der New York Times. Junge, sind die gut! Alles kommt ganz ruhig und gelassen daher, ist aber bis oben hin geladen mit Recherche, Wissen, Haltung. Jawohl: Dies ist eine Hör-Empfehlung – denn das ist guter Stoff.
… und plötzlich sind wir wieder in Ann Arbor. So richtig checke ich das erst, als ich mich an der Kreuzung von Stadium und Main in die richtige Spur einordne. Auch hier: Selten so wenige Autos auf der Straße gesehen.
So endet unser Cross-Country-Trip. Ich hab ihn mir anders vorgestellt. Später, natürlich. Aber auch romantischer.
Luxusprobleme.
In einigen Wochen werden wir vielleicht zurückblicken und den Kopf schüttelt darüber, wie doof wir waren. Wie ahnungslos. Wie wenig wir verstanden haben, was eigentlich gerade los ist. Heute genügt es, sehr müde zu sein von einer langen Reise.

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