
Vor einigen Tagen hat die Stadt ein historisches Jubiläum gefeiert. Naja. Hat sie nicht. Aber sie hätte können. Vor rund 85 Jahren hat sich hier auf dem Ferry Field (oben im Bild) nämlich der „größte Tag in der Geschichte der Leichtathletik“ zugetragen. Ich habe aus diesem Anlass eine kleine Pilgerfahrt dorthin unternommen.
Damals hat bei einem Uni-Wettkampf ein 21-jähriger Student aus Ohio innerhalb von 45 Minuten fünf Leichtathletik-Weltrekorde gebrochen und einen sechsten eingestellt. Nämlich über 100 yards, 220 yards Hürden, 200 Meter Hürden, 220 yards, 200 Meter und im Weitsprung (8,13 m – es war der erste offizielle Sprung eines Menschen über acht Meter. Der Rekord hat über mehr als 20 Jahre gehalten).
Angeblich hatte der Typ sich am Abend vorher sogar bei einer Balgerei leicht am Rücken verletzt. Sein Trainer soll über den Laufstil des jungen Athleten gesagt haben: „Von den Hüften an aufwärts bewegte er den Körper praktisch nicht – er hätte eine volle Kaffeetasse auf dem Kopf balancieren können und nichts davon verschüttet.“

Niemand interviewte den jungen Helden. Die Zeitungen sprachen nur von einem „Ohio State Negro“, der den Laden kräftig aufgemischt habe. Der Name des Mannes war Jesse Owens. Ein Jahr später holte er bei den Olympischen Spielen in Berlin vier Goldmedaillen und wurde zum größten Star der Spiele.
Heute erinnert eine Gedenktafel am Ferry Field an den großen Tag von Ann Arbor, den 25. Mai 1935. Sie unterschlägt zwei Weltrekorde: den über 200 Meter flach und den über 200 Meter Hürden. Die wurden Owens zusätzlich zugesprochen. 220 Yards sind nämlich ein bisschen länger als die 200 Meter – und Owens‘ Zeit war in beiden Läufen auch für die kürzere Strecke bis dahin unerreicht. Tja. Einer der wenigen Fälle, in denen die Amerikaner mal untertreiben (aber man muss sagen, dass die Leute hier im Mittleren Westen im Allgemeinen eh keine großen Aufschneider sind).

Wenn man in Ann Arbor eine Umfrage macht – ich wette, dass weniger als 20 Prozent der Leute jemals von der Jesse-Owens-Story gehört haben. Es ist nur Sport und es ist lange her. Aller Ruhm vergeht. Darf man nie vergessen. Trotzdem: ’ne Hammer-Geschichte, wie ich finde.
Danke fürs Erzählen. Es hat mich erschüttert, daß er nach dieser herausragenden Leistung von niemand interviewt wurde.
Ja, das ist erstaunlich. Ein Kollege schreibt: Die Sache mit dem Interview war damals noch nicht so üblich, wie das heute der Fall ist. Wann hat das angefangen? Und wo? Keine Ahnung. Ich mach mir eine Notiz.
Tolles Projekt habt Ihr da in Berlin.