Ohne Dialekt kein Widerstand
Am Wochenende hatte ich ein längeres Gespräch mit einem sehr klugen Freund und am Ende sind wir bei einer für mich neuen Einsicht gelandet: ohne Dialekt kein Widerstand.
Und das kam so. Wir haben über WhatsApp telefoniert. Aus Gewohnheit und weil es uns am einfachsten erschien.
Wir experimentieren beiden gerne mit Chatbots, die von Künstlicher Intelligenz gespeist werden. Ich lasse viele meiner beruflichen Interviews mithilfe von KI verschriftlichen, das geht viel, viel schneller, als wenn man’s selber tippt, die Sache ist praktisch alternativlos.
Wir wissen auch, dass man sich bei Videocalls automatisch ein Protokoll erstellen lassen kann. Die Maschine erzählt einem, wer was gesagt hat und was die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Meeting sind usw. Kalter Kaffee für Euch, ich weiß.
Jedenfalls fiel irgendwann der Satz: „Die Maschinen tracken vermutlich auch mit, worüber wir zwei uns gerade unterhalten.“
Natürlich macht die Maschine das nicht wirklich. Wir sind als Personen vollkommen unwichtig und bedeutungslos. Nobody cares! Andererseits. Bei all diesen digitalen Geschäftsmodellen macht’s ja die Masse. Kann doch sein, dass DOCH was mitgetrackt wird, um die Tendenzen im Großen und Ganzen zu erkennen? Ohne Frage KÖNNTE man das machen. Kein Problem.
Die ganzen Unternehmen im Silicon Valley haben ja immer behauptet, dass sie gar nichts mitschneiden. Man hat ihnen schon früher nicht getraut. Jetzt traut man ihnen noch weniger.
Man muss nur einen Schritt weitergehen und sich einen neugierigeren mit härterem Daumen agierenden Staat vorstellen, um zu sehen, wohin die Reise gehen kann.
Und dann kam uns folgender Gedanke.
Je verbreiteter die Sprache, desto besser funktionieren die Modelle, desto makelloser werden die Transkripte; Englisch funktioniert ganz wunderbar. Bei meinen deutschen Interviews sind die Ergebnisse inzwischen auch brauchbar, sie werden jedoch merklich schlechter, wenn mein Gesprächspartner (wie neulich) mit starkem Schweizer Akzent spricht.
Ich habe noch kein Gespräch mit meinen Eltern oder Geschwistern getestet, werde das aber bald mal machen. Wenn wir unter uns sind, befleißigen wir uns nämlich eines sehr dörflichen Dialekts, wie er nur in einer recht übersichtlichen Region im Südwesten gesprochen wird (man hört an diesem Dialekt übrigens noch heute die alten Landesgrenzen aus der Zeit vor 1803; das muss man sich mal reinziehen!). Ich bin mir relativ sicher, dass die KI mit unserem Dialekt überfordert ist. Es gibt nicht genügend Sprechende, nicht genügend Datenmaterial, die KI hat den Dialekt noch nicht gelernt. Wie gut kann sie ostfriesisches Platt? Oldenburger Platt usw.?
Was, wenn man irgendwann mal wieder in den Widerstand gehen muss?
Wer Kinder bekommt, so denke ich, sollte sich mühen, sie Dialekt als Muttersprache sprechen zu lassen. Das werden sie brauchen. Es wird ihnen Türen öffnen. Das Hochdeutsche lernen sie eh, das Englische ebenfalls. Sie haben keinen Nachteil dadurch. Wer ihnen dagegen den Dialekt verwehrt, versperrt den Weg in den Untergrund. Man muss die Modelle verwirren mit seltenen Sprachformen. Babel 2.0.
Ohne Dialekt kein Widerstand.
So lautete der Gedanke am Wochenende.
Man muss natürlich nicht in den Untergrund gehen.
Aber mal will die Wahl haben.
Denkt mal drüber nach.
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