Die Psychologie des Schenkens
Na, habt Ihr schon alle Geschenke für Weihnachten besorgt? Nein? Ich auch nicht. Deshalb geht’s heute um die geheime Psychologie des Schenkens.
Mich überkommt fast immer eine gewisse Panik, wenn ich an all die Geschenke denke, die ich noch zu besorgen haben. Um was dagegen zu tun, hab ich mich vor einiger Zeit mal in die psychologische Forschungsliteratur zum Thema Weihnachtsgeschenke eingelesen. Seither hat sich mein Blick auf die Sache verändert. Hier die wichtigsten Erkenntnisse, vielleicht helfen sie Euch ja, in diesem Jahr ein paar kluge Entscheidungen zu treffen.
1. Geschenke machen Angst
Okay, die Zahl stammt nicht aus einem wissenschaftlichen Journal, aber immerhin von der Website einer Forscherin. Sie hat herausbekommen, dass ein Viertel der von ihr befragten Menschen Angst vor dem Schenken haben. Bedeutet: You are not alone! Schenken macht Freude, aber nicht immer und nicht allen.
2. Schenken ist wie eine Hinrichtung
Ist natürlich ein Witz. Aber nur ein bisschen. Ich stelle dafür eine grundsätzliche Überlegung an: Die Welt der sozialen Akte zerfällt in zwei Gruppen. Auf der einen Seite stehen die symmetrischen Situationen: einander die Hand geben, küssen, umarmen, tanzen. Beide machen das Gleiche, sonst funktioniert es nicht. Auf der anderen Seite stehen die asymmetrischen Akte. Der eine zeigt seine Urlaubsbilder – der andere schaut zu. Der eine kocht – der andere isst. Der eine geht aufs Schafott – der andere hält die Axt. Schenken gehört zur zweiten Gruppe, zu den Dia-Abenden, Restaurantbesuchen und Hinrichtungen. Es ist ein asymmetrischer Akt.
3. Die Asymmetrie sorgt für viele Probleme
Tja. Mehr als diese Überschrift hab ich nicht. Ich wollt’s trotzdem gesagt haben. Es hilft, sich das zu merken, finde ich. Schenken ist ein asymmetrischer Akt und das sorgt für viele Probleme, weil wir es nicht schaffen, uns in die Lage der anderen Seiten einzufühlen (auch dann nicht, wenn wir diese Rolle selbst schon häufig gespielt haben).
4. Teuer ≠ gut
Viele kaufen teure Geschenke, weil sie glauben: „je teurer, desto freu!“ Stimmt aber nicht. Das teure Geschenk macht die Beschenkten im Schnitt nicht glücklicher als das weniger teure. „Gift-recipients (…) reported no (…) association between gift price and their actual feelings of appreciation.“ So heißt es in einer Studie der Stanford University. Das ist eine gute Nachricht für sparsame Menschen wie mich. Eine Ausnahme macht der Ritter Rost, der, wenn ich mich richtig erinnere, nichts Selbstgebasteltes wollte, sondern lieber etwas teuer Gekauftes.
5. Einfach schlägt kompliziert
Wann freut man sich mehr über das preiswerte Geschenk? Wenn man es mit wenig Aufwand nutzen und genießen kann. Ein Beispiel: Der Gutschein für die Pizzeria um die Ecke kommt im Durchschnitt besser an als der (teurere) Gutschein für das Gourmet-Restaurant in der 50 Kilometer entfernten Großstadt. Denn der Trip dorthin bedeutet Arbeit. So steht es in einer Studie von der Yale School of Management. Heißt: immer nachdenken, ob die beschenkte Person das Geschenk EINFACH und LEICHT nutzen kann. Diese Einsicht hat mich schon vor einigem Unsinn bewahrt (und hätte mich bewahren können, wenn ich die Studie schon vorher gelesen oder konsequenter beherzigt hätte).
6. Super-persönliche Geschenke werden überschätzt
Die Sache mit der Einfachheit/Bequemlichkeit hat Konsequenzen, die mir nicht gefallen. In einer US-Studie freuten sich Studierende mehr über einen generischen aber bequemen Amazon-Gutschein als über einen gleichwertigen Gutschein in der lokalen Uni-Buchhandlung. Dort muss man nämlich selbst hingehen, das Amazon-Buch liefert die Post. Ist das nicht bescheuert? Aber so ist der Mensch. Dieselbe Studie zeigt auch: Den Leuten macht es nix aus, wenn wir nicht nur ihnen so einen Gutschein schenken, sondern auch anderen. Schenkende denken dagegen, dass sie jedem ein ganz eigenes, super-persönliches Geschenk machen müssen, um auszudrücken, wie gut sie die andere Person kennen und wie viel sie ihnen bedeutet. Sie optimieren auf Uniqueness, nicht auf Nützlichkeit. Die Beschenkten jedoch freuen sich eher über Praktisches. Sogar über Haushaltsgeräte, wie eine andere Studie gezeigt hat. Auch hier schlägt sie also wieder zu, die Asymmetrie des Schenkens. Was lernen wir aus all dem? Nun: Man kauft am besten fünf oder sechs Mal dasselbe für Freundeskreis und Familie. Zack! Und dann: Warum nicht gleich Bargeld schenken? Schließlich ist das der Gutscheinen, den so ziemlich alle Läden akzeptieren. Bequemer geht’s nicht! Es gibt übrigens einen Ökonomen, der behauptet, dass die ganze traditionelle Schenkerei eh Quatsch ist, weil unsere Geschenke im Schnitt zehn Prozent weniger Freude bringen, als man aufgrund der bezahlten Summe hätte erwarten können. Nur bei Bargeld kriegt man, was man dafür ausgegeben hat. Andererseits, so schreibt er in einer Studie, haftet ein soziales Stigma am Cash-Geschenk: Es kommt vor allem von Leuten, die wissen, dass sie häufig das Falsche schenken. Irgendwas ist immer.
7. Ja, aber: Wo bleibt denn da die Überraschung?
Wir müssen jetzt alle sehr tapfer sein: Beim Thema Überraschung macht die Sache mit der Asymmetrie wirklich alles kaputt. Als Schenkende konzentrieren wir uns voll auf den Moment des Auspacken, die aufgerissenen Augen, das freudvolle Ausrasten und so weiter. Für die Gegenseite zählt aber das glatte Gegenteil: Die meisten freuen sich am meisten, wenn sie genau das kriegen, was sie sich gewünscht haben. Das Paper empfiehlt deshalb: Schreibt keine Wunschzettel, sondern wünscht Euch ganz genau EINE Sache – das erhöht die Chance enorm, dass Ihr auch das bekommt, was Ihr wollt und was Euch erfreut. Cool, oder? Kleine Einschränkung: Die Studie, aus der ich das gelernt habe, ist womöglich von einem Forschungsskandal betroffen. Man weiß nicht so richtig, ob die Daten stimmen, weshalb der Zweitautor sagt, dass er die Sache noch einmal nachkochen möchte.
8. Darf man Geschenke zurückgeben, wenn man sie nicht mag?
Das ist eine heikle Frage. Intuitiv würde ich sagen: nö. Die Studie, die ich dazu gefunden habe, sieht das genauso und spricht sogar vom „Tabu des Zurückschenkens“. Das Tabu ist aber nachweislich übertrieben. Die Schenkenden finden es deutlich weniger verletzend, als die Beschenkten glauben. Woher kommt es? Auch wieder aus der oben erwähnten Asymmetrie. Wer etwas verschenkt hat, denkt: Die beschenkte Person kann damit machen, was sie will. Wer beschenkt wurde, denkt: Die schenkende Person hat da immer noch ein Wörtchen mitzureden. Manche Menschen schmeißen ein Geschenk auch lieber weg, als es zurückzugeben. Die Schenkenden hingegen sagen: Dann gib’s lieber zurück. Interessant, oder?
9. Kommt nicht zur Bescherung!
Hab ich schon erwähnt, dass wir uns als Schenkende zu sehr auf den Moment des Auspackens konzentrieren? Ja, hab ich. In einer Studie aus Singapur und Chicago hat man genau das auch wieder entdeckt. Wie werden unsere Geschenke besser? Ganz einfach: indem wir uns vorstellen, dass wir beim Auspacken gar nicht mit dabei sind (vielleicht waren wir gerade in der Küche oder auf der Toilette). Oder noch besser: Wir sind der Bescherung gleich komplett ferngeblieben. Wir lassen uns dann weniger von der kurzfristigen Jagd auf das Lächeln der anderen verführen – und achten mehr auf die langfristige Freude, die wir schenken. Zum Beispiel: durch ein Geschirrtuch. Bei jedem Abwasch wird die beschenkte Person an uns denken. Hach, geliebt werden! Die Freude über das Geschenk wiederholt sich also immer und immer wieder. Und das ist genau das, was wir uns wünschen. Oder?
Ich hab übrigens gute Erfahrungen damit gemacht, Geschenkideen mit ChatGPT zu diskutieren. Ich folge dabei NIEMALS dem Tipp der KI. Aber während der Debatte kriege ich immer gute Ideen.
Einen hab ich noch. Habt Ihr schonmal was von den „fünf Sprachen der Liebe“ gehört? Ist kein Konzept, das jemals empirisch belegt worden wäre, aber als Hilfskonstrukt für den Alltag fand ich das immer ganz praktisch. Eine dieser Liebes-Sprachen ist – passend zum heutigen Thema – das Schenken. Meine persönliche These lautet: Manche haben mehr Talent fürs Schenken, andere mehr fürs Beschenktwerden. Was ist Eure Erfahrung damit? Schreibt mir ne Mail oder einen Kommentar.
In diesem Sinne: Kommt gut durch den Advent!
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