Neue Podcastfolge: das Gänsehaut-Gefühl, Awe

Und wieder gibt’s bei „Sag mal, du als Psychologin …“ ne neue Podcastfolge: das Gänsehaut-Gefühl – wie und wo wir es erleben und wie es uns menschlicher, entspannter und glücklicher macht.

Barbara, Muriel und ich sprechen über eine lange vergessene Emotion, die seit einigen Jahren aber recht intensiv beforscht wird. Es handelt sich um das Gefühl, das uns überkommt, wenn wir die Gipfel der Alpen sehen, die Fjorde in Norwegen, ein Gewitter über der Nordsee. Im Englischen sagt man dazu „Awe“, was man im Deutschen etwas unbeholfen mit „Ehrfurcht“ übersetzt. Diese Emotion ist ein großes Rätsel, sie macht etwas mit uns, so viel steht fest. Manche sehen in ihr eine Art Wundermittel der Emotionspsychologie, sie schenkt uns eine tiefe, weniger egoistische Form von Glück und Erfüllung.

Wir sprechen auch kurz über die Tatsache, dass ich die Forschung über Awe anfangs nicht besonders mochte, sie erschien mir wie ein Hype, da bin ich immer skeptisch. Das änderte sich, als ich kurz vor der Pandemie die Psychologin Kate Sweeny von der UC Riverside in Kalifornien besucht habe, um ein Porträt über sie für Psychologie Heute zu schreiben. Seither sehe ich diese Forschungsrichtung mit anderen Augen.

Die wichtigste Quelle zu unserer Folge war diesmal wieder ein Buch, nämlich „Awe: The Transformative Power of Everyday Wonder“ von Dacher Keltner, einem Psychologie-Professor von der UC Berkeley. Er ist der Vater der modernen Awe-Forschung. Das Buch ist noch nicht auf Deutsch erschienen. Es ist gut geschrieben, ich kann es empfehlen.

Wir sprechen in unserer Podcastfolge natürlich wieder über alle möglichen Studien.

Eine davon hat gezeigt, dass wir hilfsbereiter und weniger narzisstisch werden, wenn wir in die Natur gehen und uns ein paar Minuten lang majestätische Bäume betrachten. Warum? Weil sich in diesen Wow-Momenten unser Selbstbild verändert. Wir plustern uns dann weniger auf. Das „small self“ ist ein ganz wunderbarer Effekt, den ich sehr mag. Nachlesen kann man all das im Aufsatz Awe, the small self, and prosocial behavior.

Das small self funktioniert offenbar nicht nur in der westlichen Welt. Das lehren uns die zum Teil sehr lustigen und originellen Studien in Awe, the diminished self, and collective engagement: Universals and cultural variations in the small self.

Dass Awe uns bescheidener macht, wissen wir aus dem Paper Awe and humility.

Was passiert dabei im Gehirn? Nun ja, es hat vermutlich etwas mit unserem Default Mode Network zu tun. Im Gehirn schreit unter Awe-Einfluss also nicht mehr so viel „ich-ich-ich“. So zumindest lässt sich die Studie The neural correlates of the awe experience: Reduced default mode network activity during feelings of awe interpretieren.

Die lustige Erkenntnis, dass all die Gänsehautmomente in Wahrheit nur sehr selten eine wirkliche Gänsehaut produzieren, verdanken wir dem Paper Piloerection is not a reliable physiological correlate of awe.

Werft noch einmal einen Blick auf das Alpen-Bild oben. Der Typ ganz rechts, das bin ich, und das ist kein Zufall. Ich steige für mein Leben gerne auf Berge, Kirchtürme und Aussichtsplattformen. Meine ganze Ursprungsfamilie macht das so. In der Recherche für unsere Folge habe ich entdeckt, dass das glücklich macht und zwar nicht nur mich. Der Ausblick von oben erzeugt ziemlich zuverlässige Awe-Momente, die uns wiederum dabei helfen, besser mit den vielen kleinen Ärgernissen und Problemen des Alltags klarzukommen. Awe senkt den Stress und macht uns zufriedener. So steht es im Paper Awe, Daily Stress, and Elevated Life Satisfaction.

Toll fand ich auch die Studie mit den „Awe-Walks“ älterer Menschen: Sie verlieren Woche für Woche mehr von ihrer Angst und Niedergeschlagenheit, wenn sie ihre Spaziergänge in einer bestimmten Haltung unternehmen, wenn sie dabei also bewusst staunen über die Schönheit und Wunder der Natur. Dokumentiert ist die Studie im Aufsatz Big smile, small self: Awe walks promote prosocial positive emotions in older adults.

So viel erstmal für heute. Ich hab bestimmt was vergessen. Wenn Ihr nach dem Hören des Podcasts noch offene Fragen an die Forschungsliteratur habt: schreibt mir eine Mail.

Wenn Ihr Euch für ein Coaching bei mir interessiert, meldet Euch gerne. Wir treffen uns dann in meinen Räumen in Hamburg-Eppendorf oder per Zoom.

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