bookmark_borderJuhu, das „Rettungsbrot“ lebt immer noch!

In meiner Hamburger Nachbarschaft liegt die nach eigenem Bekunden „kleinste Biobackstube Hamburgs“. Es handelt sich um das „Rettungsbrot“ in der Klaus-Groth-Straße in Borgfelde.

Und dass es den Laden dort immer noch gibt, ist nichts weniger als ein Wunder. Bei meiner Abreise nach Michigan im September hat mir Martin, der Besitzer, nämlich eröffnet, dass er hinschmeißen will. Wie man hört, hat der gute Mann jede Woche 80 Stunden lang dafür geschuftet. Er ist schon deutlich in seinen 60ern und hat auf mich immer einen sehr fitten und fröhlichen Eindruck gemacht. Aber trotzdem, man versteht es, genug ist irgendwann genug.

Hier auf dem nächsten Bild kann man übrigens erahnen, dass es sich wirklich um einen klitzekleinen Laden handelt. Genau von der Sorte also, die man überall verschwinden sieht und danach weint man dann bittere Tränen.

Jedenfalls bin ich jetzt seit ein paar Tagen wieder in der Stadt und Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr ich mich gefreut hab, als im Rettungsbrot noch Licht brannte. Eigentlich hatte ich mich schon damit abgefunden, kein handgeknetetes Biobrot mehr von jenseits der Straße kaufen zu können, sondern das Zeug ausm Supermarkt essen zu müssen. Jetzt aber: Juhu, das Rettungsbrot lebt immer noch!

Im Laden steht jetzt jedenfalls Dirk. Er ist Bäcker und hat – ich vermute aus purem Enthusiasmus – den Laden übernommen und Martin überredet, sich noch für zwei Tage die Woche in die Backstube zu stellen für einen geschmeidigen Übergang.

Dirk und ich sind nicht nur ein einem ähnlichen Alter, wir besuchen offenbar auch denselben Friseur.

Ich möchte jedenfalls, dass viele Menschen im Rettungsbrot einkaufen. Wollen wir Leute wie Dirk nicht unterstützen, so gut wir können? Doch, das wollen wir! Das Brot und der Apfelkuchen sind wirklich außergewöhnlich klasse. Und Franzbrötchen wie hier kriegt man nirgendwo sonst in der Stadt, wirklich nicht. Also: Wenn Ihr in der Gegend wohnt oder mal in der Nähe zu tun habt, checkt den Laden aus.

Und jetzt noch eins: Dirk braucht wen, der am Wochenende oder auch unter der Woche im Laden Sachen verkauft. Er kann nicht alles allein machen. Mir ist klar, dass der Markt für solche Jobs schonmal günstiger aussah, aber wer weiß? Vielleicht liest hier ja jemand mit, der Lust hat, in der kleinsten Biobackstube Hamburgs ein paar Taler zu verdienen? Oder wen kennt, der wen kennt? Das Publikum ist sensationell, wie früher aufm Dorf, als ich noch ein Junge war.

Hier geht’s übrigens zur Homepage des Ladens: http://www.bio-baeckerei-rettungsbrot.de

So. Und jetzt schmier ich mir mein Abendbrot. Irgendwas mit Roggen und Dinkel. Es wird sehr gut schmecken.

bookmark_borderDie 1. Klasse ist in Wahrheit gar nicht erstklassig

Zurück in Deutschland. Bin also mal wieder mit dem ICE gefahren, und dabei hat ein sehr günstiges Angebot der Bahn mich dazu verleitet, mit alten Gewohnheiten zu brechen und in die 1. Klasse zu steigen.

Die Sache mit den Status-Unterschieden fällt mir bei den Reisen über den Teich immer wieder in die Augen, weil die Airlines dabei alle menschlichen Schwächen nutzen, um auf möglichst schmerzhafte Weise möglichst viel Kohle zu machen. Zum Beispiel: beim Einsteigen. Jeder weiß es, aber es beschämt einen halt trotzdem jedesmal wieder neu. Alle stehen am Gate, dann dürfen irgendwelche Leute zuerst einsteigen, während man die Normalos dazu zwingt, dem Privileg mit neidischen Blicken zu folgen. Da bezahlt man natürlich gern etwas mehr für die Businessclass. Unser 7. Sinn für Status ist ein „Stone Age Bias„, wie es ein paar kluge Leute man formuliert haben. Man kann uns kaum austreiben, also erklärt man’s zum Geschäftsmodell.

Bei der Bahn jedoch entfällt all das. Man darf nicht früher einsteigen, nur weil das Ticket teurer war. Sie zwingen „the hoi polloi“ auch nicht dazu, sich später schamvoll vorbeizudrücken an den Vornehmen, die bereits sitzend am Sekt schlürfen, das Handgepäck sicher verborgen im für alle anderen knappen Überkopfstauraum. Im Prinzip finde ich das ja besser so, dennoch nimmt es dem Ganzen natürlich dieses heimelige quasi-koloniale Kribbeln, das man bei den aufgeblasenen Businessclass-Leuten in der Leibgegend vermutet.

Und dann die Fahrerfahrung selbst! Sind die Sitze geräumiger? Vielleicht. Ich spüre es aber nicht. Und überhaupt: Wenn die Bahn nicht überall ein dickes „1.“ auf die dünnen Hinterkopfpolsterkissen applizierte hätte – mir wäre der Unterschied insgesamt nicht aufgefallen.

Naja.

Vielleicht doch. Denn alle paar Minuten kam wer vorbei, um einem einen Kaffee aufzuschwatzen. Das hat die Ruhe dann doch erheblich gestört. Und mir mal wieder gezeigt, wie wenig man lernt aus leidvollen Erfahrungen vergangener Jahrzehnte. Denn NATÜRLICH hab ich irgendwann zermürbt gerufen: „Dann bringt mir in Gottes Namen halt auch einen!“ Junge, Junge, Junge! Ich wüsste gar nicht, wie ich zu Hause eine derart abscheulich übersäuerte Plörre zubereiten sollte. Wirklich nicht. Was muss man dafür bitte alles ins Wasser kippen? Hab das Zeug dann natürlich trotzdem ausgetrunken, wo ich schon mal dafür bezahlt hatte (→ „sunk cost effect“).

Nun ein Wort zum Publikum, also denen, die offenbar gewohnheitsmäßig in den teuren Wagen sitzen: Es sind überwiegend Männer. Wichtige Männer. Ihr Haupthaar ist schütter und ergraut wie das meine, und sie machen die Reise nicht zum Vergnügen, sondern gehen fernmündlich (aber selbstbewusst!) irgendwelche Businesspläne durch, attendieren virtuelle Meetings und debattieren mit Kollegen allerhand Orgazeugs. Dann kurz ein Call in der Zentrale: „Wie hieß nochmal meine Mentee ausm Rechenzentrum? Melanie! Stimmt! Natürlich!“

Irgendwann dann Ankunft Hamburg. Die Freude über den blauen Himmel: unbezahlbar.

Auf der linken Seite, dort also, wo am Zielbahnhof der Ausstieg sich befand, waren, wie uns allen erst jetzt bewusst wurde, drei von vier Türen defekt.

An Luke Nummer vier bildeten sich dann die entsprechenden Schlangen von beiden Seiten. Immerhin: Die anderen Mitreisenden ertrugen all das mit Fassung. Der Anzeigenmonitor im Wageninneren schrieb gelegentlich Sätze in französischer Sprache.

Was ich mit all dem sagen will: Die 1. Klasse ist alles andere als erstklassig. Not worth the money. Ich schreib das hier nieder, damit ich’s nicht genau so vergesse wie diesen gustatorischen Amoklauf, den sie für 3,80 als „Kaffee“ verkauft haben.

Aber insgesamt will ich mich nicht beschweren, denn die von mir erworbene Dienstleistung bestand in einer Fahrt von einem Bahnhof zum anderen. Und das – ich muss es zugeben – hat die Bahn in meinem Fall wirklich spitzenmäßig hingekriegt.

bookmark_borderSay something – see something!

Metzger’s Michigan Monday #15

In den USA gibt es einen Satz, der die Menschen zu Zivilcourage ermuntert. „See something, say something.“ Das bedeutet: Wenn man in der Öffentlichkeit etwas sieht, das den geltenden Normen widerspricht, soll man etwas sagen, sei es durch beherztes Einschreiten oder durch einen Alarm bei der zuständigen Ordnungshut.

Da ich gerne Scherze mache, drehe ich derlei Sätze manchmal um, einfach um zu sehen, was dabei herauskommt: „Say something, see something.“ Das Bild oben ist ein Produkt von Dall-E, ich habe den Satz dort eingegeben und die KI gebeten, das Ding im Stile von Joan Miró zu malen. Cool, oder?

Jedenfalls kommen beim Sätze-Umdrehen manchmal Dinge raus, die einen länger verfolgen, als man mag. Dieser hier sitzt mir mächtig im Nacken.

Wir sagen was – und sehen es auf einmal überall.
Wir sehen dann plötzlich nix anderes mehr.

Wir sagen etwas – und glauben es auf einmal.
Wir glauben dann plötzlich nix anderes mehr.

So funktioniert der Mensch. Seit den 1960er Jahren gibt es dafür einen Begriff: Es handelt sich um einen Bestätigungsfehler, einen Confirmation Bias. Wir sehen dann nur noch, was das Gesagte bestätigt, wir übersehen, was es widerlegt. Ich vermute: Weil das einfach soooo viel Denkarbeit erspart. Der Thalamus filtert alles andere raus, wie ein Palastwächter, der die ungebetenen Gäste abwimmelt, oft auch mit Gewalt, ehe sie den Thronsaal des Bewusstseins betreten.

Selbst in der Wissenschaft droht der Bestätigungsfehler. Als Waffe dagegen lautet das Standardverfahren (eigentlich), dass man mit aller Kraft versuchen soll, die eigene These zu widerlegen. Jede Publikation, jede Studie, die eine These bestätigt, bedeutet (eigentlich): Man ist beim Widerlegungsversuch dermaßen gründlich gescheitert, dass man achselzuckend nicht anders kann, als die These anzunehmen (bis jemand kommt, dem das Widerlegen gelingt).

Nicki sagt gerade: „Ey, man könnte doch auch ’selektive Wahrnehmung‘ sagen. Für das Grundphänomen haben wir mindestens 20 verschiedene Begriffe.“ Stimmt natürlich.

Ich merke es jedenfalls im Alltag. Nicht an mir. Sondern natürlich zuerst bei meinen Mitmenschen. Die haben EINMAL was gesagt, EINMAL die Welt so und so gesehen – und schon ist alles verloren. Keine Erfahrung, keine Einsicht bringt sie wieder ab von der einmal gemachten Deutung. Völlig irre. Kennt jeder, glaub ich. Man verbeißt sich in diesen Knochen und lässt nie wieder los.

Der letzte Schritt: Ich merk’s auch an mir selbst. Aber das ist knifflig. Viel kniffliger. Weil es fürs Gehirn wahnsinnig teuer ist, wahnsinnig aufwendig. Man muss das ganze Bild neu malen. Das kriegt man selten hin.

Intellektuelle Einsichten gehören dazu. Allianzen. Freundschaften. Feindschaften. Ernährungsgewohnheiten. Schlafenszeiten. Scham. Vergebung, auch.

Vielleicht hab ich mir genau das vorgenommen: Einmal im Monat etwas sagen, ohne es hinterher zu sehen. Oder noch besser: Etwas zu sehen, obwohl ich vorher das Gegenteil gesagt habe.

Mal sehen, ob das klappt.

bookmark_borderNeues Jahr, neuer Kaffee

Metzger’s Michigan Monday #14

Hab Nicki zu Weihnachten eine AeroPress geschenkt. Es war ein Tipp von Eric, der sich selbst als „Coffee Princess“ bezeichnet, was wirklich witzig ist, weil Eric nicht nur wie ein Wikingerkrieger heißt, sondern auch wie einer aussieht.

Manchmal macht man sich Geschenke ja in Wahrheit selbst, und genau so ein Geschenk scheint mir diese Kaffeemaschine hier auch zu sein.

Es ist eine sinnliche Erfahrung, damit Kaffee zu kochen und gut schmecken tut’s auch noch.

Das geht so: Man legt ein Filterpapier in den zusätzlich erworbenen Metallfilter.

Man schraubt den Filter mit einer leichten Drehung aus dem Handgelenk ans untere Ende des AeroPress-Zylinders. Dann füllt man eine angemessene Menge an gemahlenem Kaffee ein (ich habe Bohnen von einer örtlichen Rösterei besorgt und sie direkt vor dem Aufbrühen relativ fein gemahlen).

Danach stellt man den Zylinder auf eine leere Tasse und gießt gelassen das kochende Wasser auf – möglichst in kleinen Kreisbewegungen, um das ganze Kaffeepulver zu benetzen.

Dann wartet man zwei Minuten ab und schwenkt den Zylinder leicht an, damit das Pulver sich besser setzen kann. Weitere 30 Sekunden später drückt man von oben den Kaffee durch den Filter in die Tasse.

Zack, der Kaffee ist fertig! Wenn man tüchtig gedrückt hat, schwimmen sogar ein paar Blasen obenauf und man kann sich erzählen, dass es sich dabei um eine Art Crema wie beim Espresso handelt. Ist natürlich Quatsch, aber man fühlt sich gleich viel besser damit.

Ich bilde mir ein, dass der Kaffee weniger bitter über die Zunge fließt als aus der Maschine und dass man die weicheren Aromen besser schmecken kann. Vielleicht Placebo, was weiß ich. Mir macht die Sache jedenfalls viel Freude und wenn ich wieder zurück nach Hamburg komme, werde ich mir für dort auch so eine kleine Maschine besorgen. Hat so was MacGyver-mäßiges.

Beim letzten großen Spaziergang in 2022 lag der ganze See unter Eis, auf dem aber schon das Schmelzwasser schwappte.

All das nur, um später irgendwann nachschlagen zu können und zu sagen: „Guck mal, wie gut es uns damals ging.“