bookmark_borderKünstliche Intelligenz: Ich hab die Zukunft gesehen. Sie ist sehr unheimlich

Metzger’s Michigan Monday #13

Im Februar 2017 war ich in Portland/Oregon auf einer Forschungskonferenz namens CSCW. In einem der Vorträge ging’s um das Konzept der „Affordanz“, über das ich neulich schon mal was geschrieben habe. Ich weiß das alles noch ziemlich genau, weil in der anschließenden Diskussion die hochgeschätzte Jessica Vitak von der University of Maryland was sehr Schlaues gesagt hat. Nämlich: dass im Moment noch alle Social Media beforschen – bis das nächste große Ding kommt, von dem im Moment aber noch keiner weiß, was genau das sein wird. Und natürlich ist das ein Gemeinplatz. Alles hat seine Zeit und endet irgendwann; jedes Bild umgibt ein Rahmen, zu dem natürlich stets auch ein Jenseits existiert. Trotzdem hat mich Vitaks Satz damals sehr inspiriert. Dieser Tage musste ich häufig an ihn denken, denn: Das nächste große Ding ist da. Wir haben jetzt alle die Zukunft gesehen. Sie ist faszinierend und wird, wenn ich das richtig einschätze, viele, viele Menschen den Job kosten.

Natürlich spreche ich von „generative AI“, jener Form der Künstlichen Intelligenz, die in der Lage ist, neue Inhalte zu erzeugen. Neue Bilder. Neue Musik. Neue Texte. Solche Dinge. Das Bild oben zum Beispiel stammt von so einer Maschine. Ich habe Dall-E einfach gesagt, dass ich mir ein Bild wünsche, das das Überredungsprinzip der Reziprozität im Stile von Paul Klee malt. Ein paar Sekunden später hat mir das Ding dann mehrere Versionen ausgespuckt, das Bild oben hat mir am besten gefallen.

Dall-E ist kostenlos, ein Produkt von „OpenAI“, einem milliardenschweren gemeinnützigen Forschungslabor aus San Francisco, das gelobt hat, nur Gutes mit der neuen Technologie zu bezwecken. Elon Musk hat da ne Menge Geld reingebuttert, die Firma Microsoft ebenfalls. Falls Ihr noch nicht mit Dall-E rumgedaddelt habt: Macht es, sobald Ihr ne freie Minute dafür habt. Man muss sich anmelden – und kann sofort loslegen. Lasst Euch Bilder malen. Denkt Euch interessante Anfragen aus. Nur, um ein Gefühl dafür zu kriegen, was die Maschine alles kann. Vielleicht auch für das, was sie nicht kann.

Dass Künstliche Intelligenz/Artificial Intelligence irgendwann mal den ganzen Laden aufmischen wird – geschenkt! Aber manchmal fehlt mir – wie viele anderen Menschen – einfach die Fantasie, ums sich so etwas wirklich vorstellen zu können.

Die ersten beiden Schüsse vor den Bug in dieser Hinsicht hab ich dann Ende 2019/Anfang 2020 bekommen. Ende 2019 hab ich für Brand Eins Richard Socher interviewt, der damals Chief Data Scientist von Salesforce war. Er hatte auf einer Konferenz in San Francisco gerade eine Demo-KI vorgestellt, die als Telefonstimme Kundenanfragen beantworten konnte. Sie hat das viel besser, fürsorglicher und eleganter gemacht, als die meisten Menschen aus Fleisch und Blut das hinkriegen würden. Das war schon mal n Hammer und hat mich sehr beeindruckt. In unserem Interview haben wir natürlich auch über die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt gesprochen. Er meinte damals: „Einige Jobs werden wegfallen. Und viele Jobs werden sich durch KI verändern.“ Denn: „KI wird uns all das abnehmen, was ermüdend und langweilig ist.“ Das hat mich in meiner egoistischen Sicht natürlich erstmal beruhigt, weil ich meinen eigenen Job ja für wahnsinnig wichtig und aufregend halte (ich lache beim Tippen dieses Satzes bitter in mich hinein).

Im März 2020 saß ich dann in Berkeley bei einer Konferenz, wo’s um Roboter ging. Auch daraus ist letztlich eine Geschichte für Brand Eins geworden. Eine Keynote hat dabei der Lokalmatador Stuart Russell gehalten, der die Sache mit der Künstlichen Intelligenz wesentlich weniger optimistisch eingeschätzt hat als sein Kollege aus der Industrie. Er sah die KI als mögliche Bedrohung der Menschheit und war der Meinung: Wir haben die Sache eigentlich nur dann noch weiter im Griff, wenn wir den Maschinen nicht explizit verraten, was wir eigentlich von ihnen wollen. Im Grunde hat Stuart Russell also die Story von Goethes Zauberlehrling erzählt (ich sage das nur, um das Argument verständlicher zu machen, nicht um es abzuwerten. Dass eine Story alt ist, ändert nichts an ihrer Gültigkeit).

Jetzt jedenfalls Dall-E. Mir ist Angst und Bange geworden um all die Menschen in meinem weiteren Umfeld, die irgendwas mit Grafik machen. Wer bezahlt noch eine Illustratorin, wenn eine Maschine dieselbe Arbeit womöglich umsonst macht – und das auch noch viel, viel schneller?

Dann kam im Dezember der Chatbot ChatGPT, auch wieder aus der Schmiede von OpenAI. Ein Chatbot ist eine Maschine, die so tut, als wäre sie ein Mensch. Man schreibt einen Text in ein Eingabefenster – die Maschine antwortet. Solche Dinge gibt es schon länger, aber DIESE Maschine war so gut, so schlau, so menschlich, dass ich zum ersten Mal Angst um mich selber bekommen habe. Ich habe die erste Nacht nach meiner Anmeldung dann entsprechend wenig geschlafen, weil ich die ganze Zeit mit dieser Maschine geschrieben habe. Es war der Hammer. Wir haben die Moralphilosophie von Kant und Aristoteles diskutiert. Wir haben über psychologische Forschung diskutiert. Das Ding hat mir ein Weihnachtslied geschrieben. Es hat irgendwann auch angefangen, in meiner Muttersprache mit mir zu reden. Alles astrein. Und ich wiederhole mich auch hier: Falls Ihr noch nicht mit ChatGPT rumgedaddelt habt: Macht es, sobald Ihr ne freie Minute dafür habt. Lasst Euch Texte schreiben. Denkt Euch interessante Anfragen aus. Nur, um ein Gefühl dafür zu kriegen, was die Maschine alles kann. Vielleicht auch für das, was sie nicht kann.

Angeblich drehen bei Google im Moment alle durch, weil sie Panik schieben, dass ChatGPT ihnen das gesamte Geschäft kaputt machen könnte. Wäre es nicht toll, so einen wunderbaren Chatbot mit einer Suchmaschine wie Google zu kombinieren? Gibt’s inzwischen auch schon. Der oben erwähnte Richard Socher hat inzwischen seinen eigenen Laden aufgemacht: Eine Suchmaschine namens „You“, die man – so der Pitch – besser kontrollieren kann als Google. Und einen eigenen Chatbot hat das Ding seit ein paar Tagen auch. Ich hab ein bisschen damit gespielt, die Ergebnisse fand ich ganz brauchbar. Wenn Ihr Zeit habt: Checkt es aus.

Man weiß aus der Forschung jedenfalls, dass wir Menschen auf so eine Maschine reagieren, als wären sie selber ein Mensch. Genau so, wie wir Kasperlepuppen als handelnde Menschen wahrnehmen. Wie Kuscheltiere zu quasi-menschlichen Begleitern für uns werden. Wir schließen Freundschaft mit der Maschine. Wir empfinden Sympathie. Sogar Liebe. Im Frühjahr 2022 war ich auf einer psychologischen Forschungskonferenz namens SPSS in San Francisco. Ein junger Forscher von der University of British Columbia hat dort über ein Experiment gesprochen (ich hab ne kurze Geschichte für P.M. drüber geschrieben), das er mit einem weniger guten Chatbot als ChatGPT und vielen Freiwilligen gemacht hat. Sein Fazit lautet: Anders als bei den selbstfahrenden Autos wird es mit dieser Technologie NULL psychologische Widerstände geben.

Null.

Unserer Seele ist egal, ob sie mit einem Menschen redet oder mit einer Maschine, die nur so tut. Wir werden dem Ding bald unsere tiefsten Geheimnisse anvertrauen.

Wie gut ist der neue Chatbot von OpenAI genau? Ich hau nur mal ein paar Sachen raus, die ich so gehört habe aus meinem Umfeld: Ein Psychologie-Professor aus Kanada hat die Maschine eine Uni-Klausur schreiben lassen – das Ding hat besser abgeschnitten als 80 Prozent der Studierenden.
Ich höre von Leuten aus der Juristerei, dass die Maschine sehr brauchbare Gerichtsurteile schreiben kann.
Die Machine schreibt auch sehr ordentliche Werbebotschaften, die man dann einfach auf Instagram stellen kann.
Menschen, die Computerprogramme schreiben, lassen sich von der Maschine Teile ihrer Arbeit abnehmen. Der Code ist eleganter als das, was die meisten Fachleute hinkriegen. Und schneller ist er eh.

Klar, das Ding ist nicht perfekt. Balladen im Stile Friedrich Schillers – da sind die Ergebnisse eher dürftig. Ich hab mich persönlich davon überzeugt. Die Maschine schreibt für meinen Geschmack auch zu sehr im Nominalstil. Aber auch da dürfte es vermutlich genügen, sich einfach einen anderen Style zu wünschen. Und die Maschine lernt dazu – mit atemberaubender Geschwindigkeit.

Trotzdem posten manche wegen all der kleinen Mängel: „Unsere Jobs sind noch immer sicher!“

Ich halte das für einen Irrglauben. Wenn DAS der neue Standard ist, sind viele, viele Menschen beruflich für immer erledigt. Ich womöglich auch. Und das gefällt mir nicht.

Und noch etwas: Ich WEISS, dass ich die wichtigsten Folgen dieser Technologie noch nicht absehen kann. Mir fehlt dafür einfach die Fantasie. Dieser Tage jedenfalls hab ich einen ersten Blick auf die Zukunft geworfen.

Diese Zukunft ist schön und faszinierend.

Aber auch sehr, sehr unheimlich.

bookmark_borderWo Hemingway seine Einfälle hatte

Metzger’s Michigan Monday #12

Fragt mich nicht, warum wir dort waren. Es war eine Verkettung seltsamer Umstände und es war nur für ein paar Tage. Jedenfalls: Key West, Florida, südlichster Punkt der Festland-USA. Es gab einen Strand dort und ein Meer, dessen Wasser sehr salzig geschmeckt hat. Ich war beim Schnorcheln auf einmal von fast einem Dutzend Barrakudas umringt, hab fischende Pelikane beobachtet und in der Sonne gelegen, während die Truthahngeier über den Pinien kreisten.

Key West ist wie Westerland, nur mit besserem Wetter. 

Überall laufen wilde Hähne und Hühner rum. Man soll sie nicht füttern. Die Hähne krähen bereits um fünf auf der Straße.

In den Touristenshops verkaufen sie T-Shirts mit alten Sprüchen, in denen es um ranzige Sexfantasien geht, Schusswaffengebrauch und exzessiven Alkoholkonsum.

Politisch hat man sich auf eine trumprepublikanische Stammkundschaft eingestellt. Nicki beim Blick auf ein T-Shirt: „Was bedeutet #FJB?“
„Fuck Joe Biden“, sagt eine vorbeischlendernde Stimme, ohne Blickkontakt aufzunehmen.

Insgesamt wird in Key West extrem viel gesoffen. Auf dem Schnorchelboot schenkt eine junge Frau im Bikini Mimosas aus auf dem Weg zurück zum Hafen. Um 16 Uhr haben die meisten Gäste in den Bars und Restaurants schon richtig gut einen im Kahn. Überall singt jemand zur Gitarre, zum Teil sehr gute Leute, für deren Einstellung ich nichts als Bewunderung empfinde. Die Sängerin im „The Bull“ haut sich durch ihr Abendset, als hätte sie den ausverkaufte Madison Square Garden unter sich. Sensationell. Woher nimmt die bloß ihre Energie?

Erst auf dem Heimweg gen Michigan fällt mir auf, dass der ganze Ort, das ganze Nest namens Key West seit mehr als hundert Jahren, auf einem einzigen, raffinierten Geschäftsmodell beruht. Aber der Reihe nach.

Wenn man wie ich, sein Geld mit dem Schreiben verdient, geht man natürlich zum „Ernest Hemingway House“ in der Whitehead Street. Eintritt: 17 Dollar. Man akzeptiert nur Bargeld. Lässt sich mit dem Finanzamt einfach besser abrechnen, nehme ich an. Ich hab hier schon vor Zeiten mal ein paar Takte über Hemingways Sprache rausgehauen.

Der Meister hat acht Jahre lang in Key West gewohnt und es scheinen nicht seine schlechtesten gewesen zu sein. Heute leben dort 58 Katzen, vielen von denen haben an den Vorderfüßen sechs Krallen. Angeblich befuhren ihre Ahnen die Weltmeere als Mäusefänger auf US-Schiffen. Mehr Krallen, mehr Beute, so die Logik. Vielleicht auch mehr Aggression? Manche Touristen versuchen, die Katzen zu streicheln. Keine gute Idee. Der junge Mann, der uns durchs Haus führt, trägt mehrere schlecht vernarbte Kratzwunden an den Armen.

Jedenfalls hat Hemingway das Haus nicht selbst gebaut. Das hat ein gewisser Asa Tift getan. Das war zu seiner Zeit der reichste Mann von Key West. Er besaß Schiffe und Lagerhäuser. Beides waren goldene Investitionen. Denn immer wenn – Unglücke geschehen – ein Schiff die Leuchtfeuer der Insel falsch gedeutet und das Riff gerammt hatte, rückte der gute Asa aus, um Besatzung, Ladung und Schiff vor dem Untergang zu retten. Manchmal, wie man hört, sogar in genau dieser Reihenfolge. Es muss ein irrsinnig einträgliches Geschäft gewesen sein. Und das, obwohl sich die Allgemeinen Geschäftsbedingungen fürs Handwerk schon während Asas Kindheit deutlich verschlechtert hatten: 1822 fing die US-Regierung nämlich an, Geld einzutreiben und damit staatliche Signaltürme auf den Keys zu bauen. Ein Jahr später stellte Florida das Setzen falscher Leuchtfeuer unter Todesstrafe. Asa jedenfalls war ein sehr reicher Mann und sein Haus geriet entsprechend protzig. Nach seinem Tod stand es lange leer, angeblich weil niemand auf der Insel den hohen Kaufpreis bezahlen konnte.

Das ging so lange, bis Hemingway mit seiner zweiten Ehefrau hierher kam. Beide mochte das Klima und Hem konnte regelmäßig ins Sloppy Joe’s (hier der links zur live cam) rüberwanken, um mit seinen Kumpels am Tresen für seine nächste Kurzgeschichte zu recherchieren. Im Hemingway-Haus hängt tatsächlich dieser (deutschsprachige) Donald-Duck-Comic, der den Dichter beim Weg in sein Stammlokal zeigt. Heute ist das Sloppy Joe’s eine Bierbar der gröberen Sorte, wie man sie in Hamburg am Hans-Albers-Platz findet.

Hemingway konnte andauernd zum Fischen raus aufs Meer fahren. Er hat gut gefangen, wie die Fotos bezeugen, die man überall in den verschiedenen Kneipen rund um die Duval Street und unten an der Marina bewundern kann. Wie hätte Freud wohl den Rutenhalter kommentiert, den sich Hemingway auf dem Foto vors Gemacht geschnallt hat?

Auf dem Grundstück findet sich auch ein schmuckes Nebengebäude mit großzügigem Arbeitszimmer im ersten Stock und anliegendem Klo.

Hier hatte Hemingway seine guten Einfälle: Mehr als die Hälfe seiner zu Lebzeiten veröffentlichten Werke soll er in Key West geschrieben haben. Sagen sie zumindest in Key West.

Und damit sind wir beim Thema. Ich hab früher ja häufiger mal Reisegeschichten geschrieben, was mir seither manchen Urlaub versaut hat. Man läuft dann durch die Straßen und hat immer diesen einen Gedanken im Kopf: „Wo ist die Geschichte?“

Hier beginnt die Geschichte so: Das Hemingway-Haus ist eigentlich gar nicht das Hemingway-Haus. Der alte Angeber hätte sich die Hütte niemals leisten können. Bezahlt hat sie „Uncle Gus“, der reiche Onkel von Hems zweiter Ehefrau Pauline Pfeiffer. Gus besaß damals eine ziemlich gut laufende Pharmafirma, die über mehrere Stufen inzwischen in eine noch besser laufende Pharamafirma namens Pfizer aufgegangen ist. Als Hemingways Ehe dann 1940 geschieden wurde, war’s für den Dichter vorbei mit fürstlichem Arbeitszimmer, täglichen Angeltrips und eigenem Box-Ring unter Palmen. Die Bezeichnung „Hemingway-Haus“ ist natürlich nicht komplett gelogen. Aber so richtig wahr ist sie eben auch nicht. Sie ist eine Art „false Light“, ein falsches Leuchtfeuer wie aus den Tagen der Strandräuberei, um Fremde ein wenig vom Weg abzubringen und ihnen tiefer in die Taschen greifen zu können. Genau das ist: Key West.

So auch auf der Duval Street, der Vergnügungsmeile der Insel. Was einem dort sofort auffällt, sind die vielen, vielen Coffeeshops. Sie werben mit großen, grünen Hanfblättern überm Eingang. Hm. Seltsam. Hier riecht es so gar nicht nach Amsterdam. Wir also rein in einen Laden und den Mann hinterm Tresen gefragt.
Ich so: „Ist Cannabis denn legal in Florida?“
Er so: „Nö, ist es nicht.“ Man nimmt einfach Hanf, das keine berauschenden Stoffe enthält, rollt die Blätter zu Joints und verkauft sie an arglose Touristen. „Den Rest erledigt die Placebo-Wirkung“.
Eine dieser Sport-Zigaretten kostet 20 Dollar – ein richtig gutes Geschäft.

Dasselbe mit den Zigarren. Mehrere Läden prahlen damit, Zigarren aus Kuba zu verkaufen. Sie werben mit kubanischen Marken, kubanischer Flagge und allem. Ich also rein in so einen Laden und den Verkäufer gefragt: „Kommen die Dinger echt aus Kuba?“
Er so: „Nein, nein, wir haben doch noch immer unser Embargo gegen Kuba.“
Und ich so: „Hmmm, Euer Schild da draußen sagt aber …“
Er winkt ab: „Naja, ein paar der Tabak-Setzlinge waren früher tatsächlich mal in Kuba. Dann hat man sie auf die Dominikanische Republik verfrachtet und dort erledigt man heute den ganzen Rest.“ In einem anderen Laden behauptet der Verkäufer, sie würden den getrockneten Kuba-Tabak nach Honduras schippern und dort dann zu Zigarren rollen lassen.
Kurz gesagt: Man verkauft kubanische Zigarren, die gar nicht aus Kuba kommen. Für 22 Dollar das Stück. Ein richtig gutes Geschäft.

Dasselbe Spiel beim kubanischem Kaffee. Natürlich kommt der Kaffee, wenn man nachfragt, nicht wirklich aus Kuba. „Wir haben doch das Embargo.“ Das Pfund kostet jedenfalls 20 Dollar. Ein sehr gutes Geschäft.

Dasselbe mit den Seekühen. Die gibt es tatsächlich in der Gegend. In der Marina hängen überall Schilder, die auf diesen Meeressäuger hinweisen. Ich frage einen Kellner: „Habt Ihr hier denn Seekühe?“
Er so: „Naja, direkt hier natürlich nicht … aber anderthalb Meilen weiter in dieser anderen Marina …“
Als wir dann anderthalb Meilen weiter verschwitzt an dieser anderen Marina stehen, gibt’s dort natürlich auch keine Seekühe. Dafür, so verrät uns eine Website, müsste man am besten nochmal ein paar Meilen weiter durch die Sonne latschen. Aber auch da braucht man Glück. Und am besten mietet man eh ein Boot mit Guide.


Immerhin: Die Sache mit den Seekühen war umsonst. Gekostet hat sie uns lediglich Schweiß. Mit einigem Nachdenken lässt sich bestimmt auch daraus noch ein richtig gutes Geschäft machen.

Ich will aber nicht meckern. Mir hat es gefallen da unten. Man trifft interessante Leute, die einem ihre komplette Lebensgeschichte erzählen, und am Ende muss man zugeben, dass alle was zu erzählen haben. Jeder Mensch: ein Universum.

Hier noch ein Bild vom Sonnenuntergang. Er war auch ohne Filter ganz schön. Ich hab den Schuss aber vorsichtshalber durch meine Sonnenbrille gemacht. Sah damit noch cooler aus. In Key West, da gehört sich das einfach so.

bookmark_borderPickleball ist eine Geldmaschine

Metzger’s Michigan Monday #11

Was immer ich gerade in der Hand halte, wenn samstags um 17 Uhr mein Handywecker klingelt (vielleicht ist’s die Harke, um den Rasen vom feuchten Herbstlaub zu befreien; womöglich ein Holzkochlöffel, der meine Suppe rührt; oder der Hinterkopf der Liebsten, der sich schräg mir zum Kusse entgegen neigt), beim ersten Läuten lasse ich alles fahren, um im Panthersprung meinem Laptop zuzuhechten und mich auf der Seite https://wolverinepickleball.com für den kommenden Mittwoch in den Pickleball-Spielkalender einzutragen. Die Anmeldung öffnet genau 96 Stunden vor Spielbeginn.

Der Wettbewerb ist so hart und gnadenlos, wie es noch nie bei einem Freizeitsport erlebt habe. Nicht auf dem Platz selbst, dort sind fast alle Leute entspannt, wie ich bereits in einem älteren Blogbeitrag beschrieben habe („Hilfe, ich bin Teil einer Trendsportart!“). Es ist der Kampf um den Platz AUF dem Platz, aus dem ich längst nicht immer als Sieger hervorgehe. Sich einfach erst am Sonntag anmelden? Ich hab’s versucht: Man kann’s vergessen!

Auf den ersten Blick ist Pickleball ein Sport für Verlierer: weniger schick als Tennis, weniger dynamisch als Squash, weniger elegant als Badminton, viel langsamer als Tischtennis. Und dennoch handelt es sich um „America’s fastest growing sport“, wie im Februar 2022 ein Bericht auf NPR verkündete (das ist sowas wie der Deutschlandfunk der USA). In den vergangenen Jahren habe ich Pickleball immer nur in der warmen Jahreszeit gespielt – umsonst und draußen auf den öffentlichen Anlagen von Ann Arbor. Irgendwann im Sommer 2020 ist mir dort eine nette Frau in den mittleren Jahren aufgefallen. Sie spielte sehr gut und fair, lächelte viel, verteilte nach den Matches immer irgendwelche Handzettel und sammelte dabei Emailadressen von Leuten, die ihre Liebe zum Pickleball teilten. Auch ich habe ihr meine Adresse gegeben.

Und so kam es, dass am 1. Oktober 2020 folgendes Bild in meinem Maileingang lag:

Kein Zweifel: Christy und ihre Geschäftspartnerin Leslie hatten im Westen von Ann Arbor eine leere Lagerhalle gemietet und in einen Ort zum Pickleballspielen verwandelt. Man muss im Nachhinein sagen: Besser hätten sie das Timing kaum treffen können. Denn, na klar, im Oktober 2020 wütete die Pandemie. Fast alles war verboten, aber Pickleball war erlaubt. Und so kauften sich auf einmal alle möglichen Leute einen Schläger für Einsteiger und fingen an, diesem gelben Plastikball mit Löchern in der Außenhaut nachzurennen.

Mittwoch 17 Uhr. Der Einsatz vom Samstag hat sich gelohnt: Mein Kumpel William und ich haben tatsächlich für zwölf Dollar pro Nase einen Platz ergattert. Umkleiden gibt es nicht. Duschen auch nicht. Wir spielen auf sechs Plätzen; auf den beiden anderen Courts (aus den ursprünglich vier Plätzen bei Christy und Leslie sind inzwischen acht geworden) läuft irgendein Privattraining. Zwölf Doppelpaare werden jetzt zwei Stunden lang jeder gegen jeden Spielen: zwei Minuten Aufwärmen, dann eröffnet ein Signalton das Match. „Zero, zero, start“, zählt William. Punkte kann nur machen, wer das Aufschlagsrecht besitzt. Einige der erfahrenen Spielerinnen werden am Ende des Abends unseren Stil bemäkeln. Wir „bängen“ ihnen zu viel, hauen also zu dolle auf den Ball. Gelegentlich spiele ich auch einen Lob, löffle den Ball also im hohen Bogen über die Gegnerinnen, die am Netz stehen. „Diesen Schlag sehen wir hier auch nicht so gern“, sagt Christy hinterher. Nicht gänzlich unverwirrt google ich die Sache später im Netz. Aha! Der Lob zwingt zum Rückwärtslaufen und dabei kann man sich verletzen. Überhaupt: Erst kürzlich hat die New York Times eine größere Geschichte über die hohe Verletzungsgefahr beim Pickleball gedruckt. Pickleball wird meist von reiferen Semestern betrieben (ich gehöre mit meinen 53 nicht zur älteren Generation in der Halle) – und mit den Jahren steigt eben auch das Risiko, sich die Achillessehne zu reißen, einen Knöchel zu stauchen und den Meniskus zu ruinieren. An der Hallenwand von Wolverine Pickleball hängt das Werbeplakat eines Schulterspezialisten.

Mein Kumpel Søren hat mich vor Zeiten darauf aufmerksam gemacht, dass „Pickleball“ ein bescheuerter Name ist für eine Trendsportart. Er hat vollkommen Recht, aber die Sache ist nicht mehr zu retten. Drei Männer haben den Sport in den 1960er Jahren im US-Staat Washington erfunden. Einer von ihnen besaß einen Hund, der Hund hieß „Pickles“ – und weit und breit fand sich kein Marketingteam, um sich etwas Schmissigeres auszudenken. Ich finde das grundsympathisch.

Wir haben die meisten Spiele gewonnen. Allerdings haben uns Karen und Greg, ein sportliches Ehepaar in den eher späten mittleren Jahren, mal wieder ordentlich den Hintern versohlt. Entscheidend scheint der dritte Ball im Ballwechsel zu sein. Die richtig guten Leute setzen ihn so knapp hinters Netz, dass man ihn schlechterdings nicht schmettern kann. Doch ach: Wir hantieren noch immer mit den spröden Billigschläger aus dem Sportsupermarkt, mit denen derlei Kunstschüsse nur selten gelingen. Fast alle anderen schlagen den durchlöcherten Ball mit Geräten, die so irgendwas zwischen 160 und 280 Dollar kosten. Dort ist die Schlagfläche elastischer und griffiger. Man hat damit, so versichern uns alle, mehr Feingefühl und erzeugt auch mehr Effet. Vielleicht wird’s bald mal Zeit, noch mehr Geld ins Hobby zu investieren?

Dass der Sport ausgerechnet jetzt derart durchstartet, dürfte mindestens zwei Ursachen geschuldet sein. Zum einen ist da natürlich der demographische Wandel. Die Boomer gehen in Rente, und diese Kohorte hatte seit je ein Händchen dafür, sich ihr Dasein schön und bunt zu gestalten: Gras, elektrische Musik, LSD, freie Liebe und ein bisschen Revolution in der Adoleszenz – und heute eben dieser gesellige Sport, bei dem man auch mit 75 noch locker gegen aknegeplagte 18-Jährige punkten kann. „Wir empfehlen Pickleball als eine Form ernsthafter Freizeitbeschäftigung, die dem Leben älterer Erwachsener deutlich mehr Qualität verleihen und einen Beitrag zum erfolgreichen Altern liefern könnte“, resümiert eine Studie aus dem „Journal of Positive Psychology“. Und dann kam eben noch die Pandemie und schleuderte einen Molotowcocktail in den seit Jahren glimmenden Trend.

„How’s the Money?“, frage ich Leslie bei meinem jüngsten Besuch in der Halle. Sie lächelt. Es läuft bombastisch. Sie winkt mich in ihr Büro und zeigt mir ihr Buchungstool auf dem großen Computermonitor. Von 9 Uhr am Morgen bis 23 Uhr am Abend ist praktisch jeder Platz durchgebucht. Jeden Tag. Selbst an Thanksgiving war so gut wie alles voll. Wahnsinn: Pickleball ist eine Geldmaschine! Für die beiden Betreiberinnen der Halle erweist sich die demographische Zusammensetzung ihrer Kundschaft als Segen: Den fitten Rentnerinnen und Rentner ist jede Tageszeit Pickleballzeit. War und ist aber irrsinnig viel Arbeit, sagt Leslie. Als sie die Halle aufgemacht haben, standen in ihrem Emailverteiler schon weit über 1000 Adressen. Einfach ne Halle mieten und drauf warten, das wer vorbeikommt – das hätte sicherlich nicht gereicht. Derzeit bauen die beiden mit dem verdienten Geld gerade ein paar Blocks weiter an einer eigenen Pickleballhalle. Es gibt ihn noch, den American Dream. Ein Demonstrationsstein vor dem Bürofenster verrät, dass ich Sponsor des neuen Etablissements werden kann. Ein Stein im Eingangsbereich könnte meinen Namen tragen, wenn ich 150 Dollar in den Hut werfe.

In unserem Nachbarstädchen Chelsea gibt es das „Purple Rose Theatre“. Das ist ein kleines, aber sehr respektables Theater, das dem Hollywood-Schauspieler Jeff Daniels gehört. Das Stück, das dort seit September läuft, trägt den Namen „Pickleball„. Der Meister hat es persönlich geschrieben, ich habe nur Gutes darüber gehört. Karten (z.B. für die Vorstellung am Samstagabend: 52 Dollar) sind nicht immer leicht zu kriegen. Mitglieder der Theaterfreunde (Beitrag: 250 Dollar) haben die Möglichkeit, die Tickets zwei Wochen vorab zu reservieren.

Ein Samstag später. Ich bin spät dran. Um 17:03 Uhr melde ich mich an für kommenden Mittwoch. „#5 on waitlist“, heißt es hinter meinem Namen. Vermutlich gehe ich diesmal also wieder leer aus. Vielleicht muss ich doch Premiummitglied bei Wolverine Pickleball werden? Für 25 Dollar im Monat kriegt man Rabatt auf seine Spielzeiten – und kann sich schon ein paar Tage früher seinen Platz reservieren.

Fest steht jedenfalls: Pickleball ist in den USA eine Geldmaschine. Und wie die Dinge liegen, geht der Wahnsinn noch eine ganze Weile weiter. Bleibt die Frage: Wann geht die Sache in Deutschland los? Wenn ich’s wüsste, würde ich vielleicht schon mal anfangen, nach einer leeren Lagerhalle zu suchen.