bookmark_borderMusik, Medien, Melancholie

Ums gleich zu sagen: Der Winter in Michigan ist zäh. Mir schlägt das aufs Gemüt. Vielleicht ist es auch der Krieg in Europa. Oder die Anzahl der Covid-Fälle in Deutschland. Alle scheinen gerade krank oder krank gewesen zu sein. Irre. Mir fällt das Schreiben jedenfalls schwer in diesen Tagen, was natürlich doof ist, wenn man damit a) sein Geld verdient und b) auch noch freiberuflich arbeitet, die Einkünfte also sehr direkt abhängig vom eigenen Output sind. Und man will auch keinen im Regen stehen lassen. Aber nun. Niemand soll behaupten, ich würde jammern. Ich sag’s bloß.

Vergangene Woche hat mein Kumpel Scott mich angeschrieben. Ich soll am Samstag kurz vor fünf abholbereit sein und meine Gitarre einpacken. Ich so: Geht klar. Nicki so: Wohin geht’s? Ich so: keine Ahnung.

Und genau so war’s dann am Ende auch. Wir sind ungefähr ne Stunde später irgendwo in Ohio in der Mitte von nirgendwo an einer sehr einsamen und sehr geraden Landstraße links in ein sehr einsames Grundstück eingebogen. Es gab da keine richtigen Nachbarn, nur ein Haus und eine Scheune daneben. In der Scheune stand unten ein Pferd. Es bekommt dort sein Gnadenheu, wenn ich das richtig verstanden habe. Das Dachgeschoss der Scheune hat das Paar, denen die Scheune gehört, jedenfalls zu einer schmucken Räumlichkeit ausgebaut. Und genau da hat Kara ein paar Bilder aufgehängt und in stillen Auktionen zum Verkauf angeboten.

Kara ist eine Bekannte von Scott. Alle im Raum kannten Kara. Manche schon seit Jahrzehnten. Eigentlich kamen alle im Raum aus derselben Kreisstadt im Süden von Michigan. Und dann war da noch Scott. Und dann war da noch ich. Wir haben uns in einer Ecke auf Barhocker gesetzt und ein paar Bluegrass-Stücke gespielt. Scott spielt Banjo, wie ich ja vor Zeiten schon erwähnt habe.

Ja. Wir durften uns Getränke aus dem großen Kühlschrank holen. Aber alles in Maßen. Im Raum hingen zwei Fernseher. Im einen lief College-Basektball, im anderen ein Eishockeyspiel der dritten oder vierten Liga. Die Heimatstadt der Anwesenden spielte um eine Meisterschaft. Es war ne große Sache.

Ich hätte beinahe ein Bild gekauft, wurde aber kurz vor Schluss überboten. So ist das Leben.

Es war ein sehr schöner Abend.

Interessant waren auch die Gespräche. Sie waren anders als die Gespräche in Ann Arbor. Zum Beispiel Corona. Niemand hat über Corona gesprochen. Niemand hat eine Maske getragen. Man muss dazusagen, dass es hier im Moment so gut wie keine Fälle gibt.

Und dann die Ukraine. Niemand hat darüber gesprochen. Oder. Vielleicht hat schon jemand davon gesprochen, aber ich hab’s nicht gehört.

Die Leute haben etwas betrieben, was man im Englischen als „catching up“ bezeichnet: einander auf den neuesten Stand bringen. Ich hab mal ne Geschichte drüber geschrieben. Es gibt ein paar empirische Hinweise darauf, dass „catching up“ zu den drei wichtigsten Sprechakten gehört, um die Gelenke, Muskeln und Sehnen einer Freundschaft geschmeidig zu halten.

„Wie geht’s eigentlich Deiner Cousine?“
„Danke, sehr gut. Sie lebt jetzt mit ihrem Mann in New Mexico.“
„Jaja, toll. Ich bin ja mit ihr in die Grundschule gegangen.“
„Weiß ich doch, weiß ich doch.“
„New Mexico ist toll“.
„Ja, New Mexico ist toll. „
(zu mir) „Weißt Du, dass allein in Detroit mehr Leute leben als in ganz New Mexico?“
(ich): „Nö, wusste ich nicht. Heftig.“
„Jaja, kannste mal sehen. Schön ist es da in New Mexico. Aber miese Schulen. Niemand dort geht zur Schule.“

Wie gesagt: Es war ein sehr schöner Abend.

In der Überschrift hab ich versprochen, was über die Medien zu sagen, also muss ich das Ei jetzt auch legen. Die Medien also. Wie soll ich sagen? Ich meide seit einigen Tagen die amerikanischen Fernsehnachrichten. Etwas behagt mir nicht an ihnen. Nämlich: Dass es die Guten gibt und die Bösen. Und dass es sich so gut anfühlt. Hab ich schon mal gesagt. Aber es stimmt noch immer. Mein Kumpel Sören hat es auch gesagt, als wir am Wochenende telefoniert haben. Es ist ganz seltsam. Warum fühlt sich die Sache mit Gut und Böse so gut an? In der Psychologie gibt es die Faustregel, dass wir, sobald wir in eine Story die Kategorien Gut und Böse einbauen, – zack – mit einem Schlag 20 IQ-Punkte verlieren. Ich glaub nicht, dass es Studien dazu gibt, aber der Satz klingt einfach zu gut, um ihn für sich zu behalten. Jedenfalls: Die Nachrichten im Moment machen dumm.

Ich weiß: Irgendwie sind gerade alle im Krieg. Und im Krieg gelten andere Regeln. Trotzdem: Was ich hier sehe, ist keine Berichterstattung, sondern Propaganda. Und die Sendungen folgen allen Regeln, die jemals darüber geschrieben wurden. Hier: echt Menschen mit Namen und Schicksalen, die kein menschliches Herz kalt lassen. Dort: Maschinen. Flugzeuge. Panzer. Lastwagen. Kanonen.

Es ist alles wieder wie damals im kalten Krieg.

Klar, das ist nur eine Facette von vielen. Man könnte noch viele andere Dinge sagen. Information ist eine Waffe. Also schärfen wir die Äxte. Vielleicht dient alles einem guten Zweck.

Aber es gefällt mir nicht. Und ich schalte nicht mehr ein.

Obwohl ich weiß, dass das natürlich auch keine Lösung ist.

Hab ich gesagt, dass mir das Schreiben dieser Tage schwer fällt? Es ist schwer, weiter alles ernst zu nehmen, was die Leute so treiben in ihrem Leben.

Ansonsten: Ein Streifenhörnchen ist heute der Katze vor der Nase rumgetanzt und hat Glück gehabt, nicht gefressen zu werden.

bookmark_borderNationale Selbstüberschätzung? Gibt’s überall. Aber in Russland vermutlich mehr als anderswo

Ich weiß nicht genau, wie ich es sagen soll, aber seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine hat es mir irgendwie die Sprache verschlagen. So viele Gedanken im Kopf. Aber dann: Wenn alle ne Meinung äußern, neige ich zum Schweigen und warte ab, bis ein Gedanke kommt, den nicht eh schon jeder andere zwei oder drei Mal öffentlich geäußert hat.

Gestern hat mich so ein Gedanke heimgesucht und ich wundere mich, dass er so lange gebraucht hat, um sich bei mir zu melden.

Ende 2020 hab für Psychologie Heute eine Geschichte geschrieben, in der es um kollektiven Narzissmus und nationale Selbstüberschätzung ging. Dieser Tage hab ich mich für ne andere Story wieder mit Selbstüberschätzung befasst und vermutlich hat das meine Erinnerung an diesen Forschungszweig wieder aufgefrischt.

Jedenfalls. Gab es da diese Studie im Journal of Applied Research in Memory and Cognition, wo man in 35 Ländern gefragt hat: Wie groß ist eigentlich der Anteil DEINES Landes an der Weltgeschichte? Am bescheidensten hat dabei die Schweiz abgeschnitten. Die Schweizerinnen und Schweizer waren der Ansicht, dass ihr Land 11,3 Prozent der Weltgeschichte geprägt hat. Das ist ein relativ hoher Wert für ein Land, das 0,11 Prozent der Weltbevölkerung stellt. Man könnte sagen, dass das nationale Selbstbild der emsigen Eidgenossen ungefähr 100 Mal größer ist als das Land selbst. Wie gesagt: Nirgendwo sonst war man bescheidener.

In Deutschland lag die Selbsteinschätzung übrigens bei 30 Prozent der Weltgeschichte – das bedeutet einen Platz im soliden Mittelfeld. Nix, worauf man stolz sein könnte: Es ist ein Wert, der an Wahnsinn grenzt. Ein einziges Land stellt in der Studie einen krassen Ausreißer nach oben dar. Dort war man der Ansicht: „Für mehr als 60 Prozent der Weltgeschichte sind WIR verantwortlich.“

Und wenn man jetzt raten müsste, dann würden die meisten vermutlich auf die USA tippen.

Aber daneben. Dieser Ausreißer nach oben war: Russland.

Tja.

Wenn ich in den Medien diese vage Hoffnung vernehme, dass die russische Bevölkerung ihres geltungssüchtigen Anführers bald überdrüssig werden könnte – dann hab ich da wenig Hoffnung. Klar, man soll nicht voreilig schließen. Aber ich würde mal vermuten, dass man den Leuten dort im Staatsfunk genau das füttert, was sie eh schon glauben.

Genau wie uns halt auch.

Darüber aber dann mehr am Wochenende.

bookmark_borderZahnarzt-Gespräche in den USA laufen entspannter – es liegt an einem Trick mit der Körpersprache

Gestern hab ich hier in Michigan nach meinen Zähnen sehen lassen. Es gibt für alles ein erstes Mal. Oben der Apfel: Das bin ich. Die Knoblauchzwiebel: Das ist die Zahnärztin. Das Bild soll nur nochmal in Erinnerung rufen, wer sich bei einer Zahnbehandlung wo im Raum befindet.

Naja. Viele Dinge laufen beim Zahnarzt ähnlich wie in Deutschland. Andere Dinge laufen anders. Zum Beispiel hängt das Röntgengerät an der Wand im Behandlungszimmer. Man muss – anders, als ich das aus Hamburg kenne – den Behandlungsstuhl für eine Aufnahme nicht verlassen. Ist das besser oder schlechter? Weiß ich auch nicht.

Was mich am meisten überrascht und ins Nachdenken gebracht hat, war aber die Kommunikation der Zahnärztin mit dem Patienten (also mit mir). Es lief irgendwie ganz anders ab, als ich das von zu Hause kenne. Aber was genau war anders? Hat sie sich mehr Zeit genommen? Hm. Vielleicht ein bisschen. Hat sie über andere Dinge gesprochen? Hm, nicht wirklich.

Es war eher so, dass sie sich nicht wie eine Zahnärztin verhalten hat, sondern wie ein ganz normaler Mensch, also ohne eine eng definierte Rolle. Ich konnte im ersten Moment aber nicht sagen, wie genau sie das hingekriegt hat. Es war mehr so ein Gefühl. Aber das Gefühl war sehr präsent.

Über Nacht ist mir der entscheidende Trick dann aber doch aufgegangen – die meisten hätten es vermutlich sofort kapiert: Es lag an ihrer Position im Raum. Die sah nämlich folgendermaßen aus:

Sie (Knoblauchzwiebel) saß auf einem Stuhl auf der LINKEN Seite des Behandlungsstuhls (gefaltete Platzdecke). Und zwar jenseits des Fußendes, also weit mehr als eine Armeslänge entfernt von mir (Apfel). DAS war das ganze Geheimnis. Normalerweise kenn ich das so, dass der Zahnarzt auf der Behandlungsseite sitzt, während wir reden. Er befindet sich sozusagen schon komplett in Behandlungsbereitschaft.

Dieser Tage hab ich mich beruflich mal wieder mit den Versuchen von Iwan Pawlow und seinen Hunden befasst. Man kennt das ja schon: Pawlow läutet eine Glocke, kurz bevor der Hund sein Fresschen kriegt. Nach ein paar Durchläufen produziert der Hund Speichel, sobald die Glocke läutet – auch wenn nirgendwo eine Mahlzeit zu sehen oder zu riechen ist. Man sagt dann: Der Hund wurde auf die Glocke „konditioniert“ (in Wahrheit hat Pawlow nie mit einer Glocke gearbeitet, sondern meist mit einem Metronom, aber egal).

Jedenfalls ist das die ganze Story: Die Zahnärztin rechts des Behandlungsstuhls, keine Armeslänge vom Patienten entfernt – das ist bei mir und vermutlich bei vielen anderen auch ein konditionierter Reiz. Er verheißt Pein und Unbehagen, auch wenn noch gar kein Bohrer summt. Die Zahnärztin auf der LINKEN Seite dagegen, zwei Meter vor mir entfernt – das ist einfach ein Mensch, der sich mit mir unterhält.

Tja. Ich war während des Gesprächs auf eine Art und Weise entspannt, die mich völlig überrumpelt hat. Es hat sich angefühlt, als wär‘ das hier gar keine ernste Sache, sondern einfach eine lässige Unterhaltung am Nachmittag.

So einfach.

So clever.

Ich schreib das hier mal auf. Vielleicht inspiriert es ja jemanden dazu, Dinge in Zukunft anders zu machen. Oder. Vielleicht ist das in manchen Praxen in Deutschland ja heute schon üblich, nur nicht dort, wo ich so abzuhängen pflege. Vielleicht ist meine neue Zahnärztin auch die einzige, die das hier in Michigan so macht.

Ich weiß es nicht.

Aber so war es jedenfalls gestern, und es hat mir gut gefallen.

bookmark_borderEine TV-Offenbarung und noch mehr Tischtennis und seine sozialen Regeln

Gestern hat mir Nicki eine TV-Offenbarung beschert und per Streaming ein paar Folgen der amerikanischen Serie Schoolhouse Rock über den Schirm flimmern lassen. Das sind trippige Zeichentrick-Filme zu interessanten Popsongs aus den frühen 1970er Jahren. Kann sein, dass die eh jeder kennt. Ich jedenfalls sehe sie zu ersten Mal. In den Texten geht es um Mathe, Landeskunde oder Grammatik. Ganz toll finde ich zum Beispiel den Song Conjunction Junction, in dem die grammatische Kategorie der Konjunktion erklärt wird. tldr: Mit „und“, „oder“ und „aber“ ist man stets auf der sicheren Seite. Zack – fertig! In einem entsprechenden Song über die „Interjektion“ heißt es: Nach der Interjektion kommt ein Ausrufezeichen. Oder ein Komma, wenn die Emotion dahinter nicht sehr stark ist. Bin völlig begeistert.

Ansonsten: Weil die Coronazahlen niedrig sind, hab ich zum ersten Mal in den USA ein Tischtennis-Turnier gespielt – in einem Städtchen namens Davison bei Flint (Michigan). Flint kennt man aus den Nachrichten wegen des versuchten Trinkwassers dort. Ganz traurige Story um die tiefdunklen Seiten des Kapitalismus. Jedenfalls veranstaltet der „Davison Athletic Club“ regelmäßig kleine Turniere, was ich sehr zu schätzen weiß.

Über dem Eingangstresen hat man, wie das hier üblich ist, einige Flaggen aufgehängt: das Land, der Staat, die Gemeinde. Immer wieder erstaunlich finde ich die Tatsache, dass die Flagge von Michigan einen lateinischen Wahlspruch enthält, der zugleich die Lieblichkeit der Halbinsel besingt und einen Hang zur klassischen Bildung demonstriert: „Si Quaeris Peninsulam Amoenam Circumspice.“

Erstaunlich auch die Architektur. Im Athletic Club steht jede Tischtennisplatte in einem eigenen Raum. Man hat sie vor Turnierbeginn einfach in eine Art Squash-Zelle geschoben. Das ist toll, weil anders als sonst niemals querfliegende Bälle aus anderen Matches den Spielfluss unterbrechen. Die Stimmung während der Spiele ist allerdings schwer zu beschreiben. Man hat das Gefühl, ganz allein in einer Privatgarage oder einem Hobbykeller zu spielen, nur halt mit mehr Platz drumrum. Was dabei völlig fehlt, ist die Atmosphäre von Öffentlichkeit, die ich von Turnieren aus Deutschland kenne.

Auch interessant: Wenn man (wie ich) zum ersten Mal in den USA spielt, kann man per Definition nicht gewinnen, weil man nämlich noch kein „Rating“ hat und deshalb mit der Ziffer „0“ eingestuft wird. Denn was ergibt eine Multiplikation mit 0? Eben! Hat trotzdem Spaß gemacht. Der Turnierorganisator hat mir Väterlich die rechte Pranke auf die Schulter gelegt: „Tröste dich, nach diesem Turnier hast du ein eigenes Rating – und beim nächsten Mal kannst Du dann auch ne Medaille kriegen, wenn du dich anstrengst.“ Sport ist toll, weil die Welt darin ganz klein wird, ganz einfach und unkomplex. So verbindet sich die körperliche Bewegung mit einer Erleichterung fürs Gehirn – mehr Eskapismus geht nicht.

Viele Dinge sind beim Tischtennis in den USA aber genau wie bei uns. Für mich das Wichtigste: Auf einmal kommt man mit Leuten zusammen, denen man ansonsten niemals über den Weg laufen würde. Wir kommen aus allen Ecken der Welt, aus Korea, China, Indien, Pakistan, Nepal, aus Europa, aus den USA (mit Vorfahren von überall). Da spielen Medizinstudenten, Marketingleute, Köche, Ingenieure, Freiberufler, Angestellte, Unternehmer, Rentner, Schulkinder … alle auf einem Haufen. Okay, es gibt eine gewisse Häufung von Menschen, die irgendwas mit der Automobilindustrie zu tun haben, aber das scheint mir bei der Nähe zu Detroit nicht weiter verwunderlich.

Nicki sagt: Die Sache erinnert sie an das Argument von Robert Putnam in seinem Buch „Bowling Alone„, in dem er sich die nachbarschaftlichen Bowling-Ligen angesehen hat und wie sie Brücken schlagen zwischen getrennten sozialen Gruppen. „Bridging social capital“ ist das, was Gemeinschaften erst zu Gemeinschaften macht. In Deutschland übernehmen das die Vereine, deren Bedeutung man deshalb gar nicht hoch genug einschätzen kann.

Gleich wieder Schnee schaufeln. Bowling alone – aber immerhin für einen guten Zweck.

bookmark_border67 Hundehaufen und ein wenig Tischtennis

In den vergangenen Tagen ist es wärmer geworden, was den Schnee schmelzen ließ. Dies ist Jahr für Jahr das Signal für eine etwas lästige Vorübung für die Ostertage. Denn Coco, die Hündin, pflegt bei ihrem täglichen Morgengang übers Grundstück das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, die Resultate verbirgt für ein paar Wochen der Schnee. Nach dem Tauwetter schnappt sich der Mensch also eine Schaufel, um den Rasen zu säubern. Heute waren’s am Ende 67 Hundehaufen.

Was ich damit sagen will: Viele Dinge sehen am Anfang weiß und geschlossen aus, wie eine lineare Geschichte, bei der ein Element sich ohne Naht und Saum an das andere reiht. Aber wenn man dann eine Weile wartet, verschwindet die geschlossene Erzählung. Dann nimmt man die Schaufel um räumt den Unrat beiseite. Haufen für Haufen.

Man kann natürlich auch warten, bis Zeit und Kleinstorganismen den Job gemeinsam erledigen. Man muss dann halt etwas länger drauf achten, nirgendwo reinzutreten.

Das geht auch.

Manchmal lese und sehe ich Dinge in den Nachrichten und denke mir still: Mal sehen, was zutage tritt, wenn der Schnee schmilzt. Und wer dann alles wegräumt.

Ansonsten war ich beim Tischtennis. In Amerika gelten dabei genau dieselben Regeln wie bei uns. Aber die sozialen Regeln drumherum sind ein wenig anders. In Hamburg, wenn ein Neuer auftaucht, spricht ihn jemand an und fragt ihn, ob er nicht ein paar Bälle spielen will. So läuft es in Deutschland.

In Amerika läuft es anders, zumindest wenn, wie gestern, mehr Menschen als Plätze in der Halle sind. Dann stellt man seinen Schläger an die Seite einer Platte. Die beiden Spieler müssen dann sofort ein Match beginnen. Wer verliert, räumt den Platz für den Neuen. Und dann spielt man da an der Platte, bis wer anders den Schläger an die Seite stellt und man selbst um seinen Verbleib in einen Wettbewerb treten muss.

Das klingt erstmal herzloser als bei uns, hat aber einen interessanten Effekt, den ich am Anfang nicht durchschaut habe. Die Regeln erziehen einen dazu, möglichst ein Paar von Spielern zu fordern, bei denen man denkt: Gegen beide könnte ich vielleicht gewinnen. Wenn man nämlich zu starke Spieler fordert, bleibt die Zeit an der Platte ein kurzes Vergnügen.

Man lernt nie aus.

bookmark_borderUnser Podcast steht zwei Wochen auf Platz eins – und ein paar Gedanken über „Affordanzen“

Seit drei Wochen ist der Podcast draußen, bei dem ich irgendwie mit beteiligt bin. Und ich muss sagen: Es ist eine merkwürdige Erfahrung. Und zwar: wegen der Affordanzen des Mediums.

Aber der Reihe nach. „Sag mal, Du als Psychologin … “ steht jetzt seit zwei Wochen fast ununterbrochen auf Platz eins dieser Audible-Hitliste. Das ist natürlich toll. Denn ich habe eine Menge Arbeit in das Projekt gesteckt (und noch mehr Arbeit wird folgen). Es dauert alles erheblich länger, als ich vorher gedacht habe. Deshalb: Wär schon doof, wenn’s keiner hören würde.

Andererseits ist es auch seltsam und befremdlich. Denn warum steht der Podcast da oben? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht.

Ein Grund ist vermutlich das Ranking selbst. Rankings sind immer unfair und eine sehr einfache und wirksame Form der Manipulation. Nur ein einziger Spieler profitiert davon – nämlich derjenige, der ganz oben steht. Es gibt Untersuchungen dazu. Allein die Tatsache, DASS ein Podcast dort steht, bringt viel mehr Leute dazu, sich das auch anzuhören, was wiederum höhere Klickzahlen bedeutet. Man steht also noch ein paar Tage länger dort oben, mehr Leute klicken usw. Es ist ein sich selbst verstärkender Mechanismus. Er hat dem Podcast, wie ich vermute, jetzt schon viele Hörerinnen und Hörer verschafft, die sich die Sache ohne das Ranking und die damit verbundenen Sichtbarkeit niemals angehört hätten.

Manche davon werden sich denken: „Och, ganz nett, ich hör mal weiter.“ Darüber freu ich mich.

Aber ganz viele werden natürlich auch denken: „Das ist der größte Mist, den ich je gehört habe.“ Denn dafür findet man ja immer einen Grund. Weil die Show zum Beispiel nicht so gut ist, wie sie sein könnte. Oder weil sonst was im Leben gerade schlecht läuft. Jemand hat sogar behauptet, wir hätten uns abfällig über Dialekte geäußert, was mich als alten, auf dem Land aufgewachsenen Badener, als Schupfnudelmacher, Spätzle- und Dampfnudelkoch natürlich schwer trifft. Mein Sohn meint: „Papa, man kann Dir ja ne Menge vorwerfen – aber DAS???“

Ahhhh, Dampfnudeln!

Naja. Egal. Oben hab ich was über Affordanzen gesagt. Das ist ein schillernder Begriff. Die Leute, mit denen ich hier in den USA abhänge, definieren ihn so: Die Affordanz ist eine Möglichkeit, etwas zu machen. Eine „facettenreiche Beziehungsstruktur zwischen einer Technologie und einem Nutzer, welche innerhalb eines bestimmten Kontexts ein bestimmtes Verhalten ermöglicht oder verhindert“. Ja, sie schreiben kompliziert, diese Professorinnen, wenn man sie lässt. Ich formuliere die Sache für mich gröber aber verständlicher: Eine Affordanz ist das, was man in den Augen eines Users alles mit einer Seite anstellen kann. Zum Beispiel … 
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… Bewertungen als Durchschnittszahl sehen
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… sehen, wie beliebt ein Produkt ist … und so weiter.

Die Eidechse sonnt sich auf dem Stein. Aber sie kann sich auch darunter verstecken. „Sonnendeck“ und „Unterschlupf“ sind die Affordanzen des Steins aus Sicht der Eidechse.

Für Sisyphos bestehen die Affordanzen des Steins in seiner Hochrollbarkeit und seiner Eigenschaft, wieder runterzukullern und dabei von oben missmutig bestaunt zu werden. Und vermutlich gibt’s dazu noch die Affordanz des „täglich im Terminkalender Stehens“. Und die Affordanz der ewigen Dauer, denn die Qual des Helden endet nie.

Am Anfang hält man den Affordanz-Begriff noch für eine Luftnummer, doch in Wahrheit ist er wahnsinnig nützlich, vor allem, um soziale Medien zu verstehen. Ich hätte zum Beispiel Snapchat und den Charme dieser App viel früher verstanden, hätte ich damals schon etwas über Affordanzen gewusst. Snapchat hat damals die „Affordanz der Ephemeralität“ eingeführt. Die geteilten Inhalte waren flüchtig und vergänglich, verschwunden nach wenigen Sekunden. Sie waren wie das gesprochene Wort, der Wind weht es davon. Man spricht offener, wenn man weiß, dass niemand heimlich mitschneidet. Das mochten die jungen Leute. Sie konnten schnell irgendwelche Sachen raushauen, ohne später dafür abgestraft zu werden. Das war toll – und Facebook ratzfatz eine Plattform für Erwachsene mit grauen Schläfen.

Naja. Die oben genannten Affordanzen jedenfalls, die Sterne, Bewertungen und Kommentare und all das – kann sein, dass sie jemandem helfen. Mir helfen sie nicht. Ich glaube, dass sie die falschen Anreize setzen. Ich freu mich aber über Emails und Kurznachrichten. Wenn Ihr die Sache gehört habt und über was diskutieren wollt – immer her damit. Ich rede gerne mich Menschen und glaube, dass Gespräche die Welt und uns selber besser machen.

Ansonsten stell ich mir vor, dass manche ihre Freude an unseren Podcast-Unterhaltungen haben und freu mich darüber, so lange ich kann.