bookmark_borderSnackable Content #1: „Maria im Speckmantel“

Im Internet gieren die Nutzenden immer stärker nach „snackable content“.

„Content“ bedeutet: irgendwelche Inhalte. Texte zum Beispiel. Oder Bilder.

„Snackable“ bedeutet: Man kann’s schnell konsumieren, schnell verstehen, schnell kopieren, schnell verbreiten. Es geht also nicht ums Vier-Gänge-Menü, sondern eher um Kartoffelchips. Daran ist nichts falsch. Auch Kartoffelchips sind wichtig für unser Wohlbefinden.

Eine Diskussion mit meinem Vater um die Kunst des Mittelalters hat mich nun auf genau solch einen schnellverzehrbaren Inhalt gebracht: nämlich ein Figuren-Ensemble mit dem Titel „Maria im Speckmantel“. Das Motiv der Schutzmantelmadonna war ja ein beliebter Topos in der bildenden Kunst seit dem 12. oder 13. Jahrhundert. Die „Dattel im Speckmantel“ kennt wohl jeder, der schon mal einen flinken Happen zum Fetenbuffet beizusteuern hatte.

Nun haben meine Schwester, mein Schwager, meine Nichte und womöglich sogar meine beiden kleinen Neffen diese Idee umgesetzt und beide Konzepte kombiniert.

So verwandeln sich klassische Krippenfiguren ruckzuck ein einen optischen Gaumenschmauß.

Internet kann so einfach sein.

bookmark_borderDas Horoskop in der Zeitung lügt wie gedruckt

Unterwegs gewesen für Psychologie Heute. Ein Interview. Wie immer ging’s um einen klugen Menschen an einer guten Schule. Uni Zürich. Die machen tollen Sachen da. Am Geld scheint es auch nicht zu fehlen. Kein Homeoffice, wie man mir erzählt. In allen Kammern saßen junge Leute und hackten emsig Zeichen in ihre Tastaturen.

Die Stadt war grau. Kaum ein Blick am See, aber auch so was muss es geben.

Hab über Häuser nachgedacht, als ich in der Straßenbahn saß. Alte Häuser, neue Häuser, schöne Häuser und all die anderen Häuser. Dabei ist mir was aufgegangen: Jedes Haus war mal eine Baustelle. Die Maurer, die Zimmerleute, die Klempner, die Fliesenleger, die Elektriker – sie alle haben auf dieser Baustelle das Beste gegeben, um etwas Tolles zu bauen. Die Architekten haben sich das Hirn zerdacht über den Plänen und der Bauaufsicht. Und jedes einzelne Haus war irgendwann mal der neueste heiße Scheiß der Stadt. Wobei. Bei manchen der Häuser fragt man sich dann doch, was da in den Köpfen der Leute wohl falsch gelaufen sein mag.

Und das bringt mich zwanglos zum oben abfotografierten Horoskop. Es stand in der Umsonst-Zeitung, die überall in Zürich verteilt wird. Ich las:

Ihre Fröhlichkeit und Ausgelassenheit wirken ansteckend auf die Menschen um Sie herum …

Tja. So ermutigt fuhr ich jedenfalls durch die Stadt. Man sieht meine Ausgelassenheit noch durch die Maske hindurch.

Aber dann, noch keine zehn Minuten im Interview, fing die Person, die ich interviewt habe, nach einer Frage von mir plötzlich sehr an zu weinen. Das passiert selten. Vor allem, wenn’s um Wissenschaft geht.

Es war mir sehr unangenehm. Ich hatte fröhlich und ausgelassen nachgefragt und die Signale, die da waren, nicht gedeutet. Zum Glück ein Taschentuch dabei gehabt. Hab mich aber schlecht und schuldig gefühlt hinterher.

Jedenfalls die Lehre für heute: Das Horoskop in der Zeitung lügt wie gedruckt.

Das werd ich mir merken!

bookmark_borderDas große Wir und der Pranger

Dieser Tage an der Bergstraße gewesen. Unter anderem mit Heiko in Schriesheim. Das ist ein hübsches Städtchen mit einem schönen, alten Rathaus in der Mitte.

Pandemie und Lockdown haben ja viele wieder verstärkt über das große „Wir“ nachdenken lassen. Mich auch. Liebe ist überall und der Mensch ein soziales Wesen. Einsamkeit macht krank und tötet. Und so weiter. Alles sehr wahr, ich war schon immer Kollektivist. Mit Heiko diskutiert, ob auch Kollektive ihre Abwehrmechanismen haben, wie Anna Freud sie fürs Individuum beschrieben hat. Vermutlich: ja.

In Kalifornien hab ich mich bis zum Lockdown regelmäßig mit einem sehr klugen Gelehrten unterhalten, der aus China stammt. Er hat mir von einer heimischen Redensart über die Japaner erzählt. Man mag die Japaner dort nicht, vermutlich aus historischen Gründen. Zugleich hat man Respekt vor ihnen. Die Redensart – ich habe sie nicht überprüft – lautet nach Auskunft meines Gesprächspartners: „Ein Japaner ist ein Wurm. Viele Japaner sind ein Drache.“ Der ungeliebte Nachbar, so höre ich daraus, ist gut darin, mächtige Kollektive zu formen. Das hat mich beeindruckt, ich habe es nicht vergessen.

Am Rathaus von Schriesheim habe ich jedenfalls ein interessantes Detail entdeckt. Nämlich dies hier:

Wenn in längst vergangenen Tagen ein Mensch gegen die Regeln der Gemeinschaft verstoßen hat, dann bestand eine der vorgesehenen Strafen darin, dass einem dieser eiserne Ring um den Hals geschlossen wurde. Da stand man dann am Pranger, wohl auch bei Regen, und war der größte Depp auf Erden. Wenn dann die Sonne wieder rauskam, haben einen die Kinder mit Sachen beworfen. Man will gar nicht wissen, WAS für Sachen das waren. Vermutlich haben sie nicht gut gerochen. Die Sachen nicht und auch nicht die Kinder.

Es ist Liebe, die das große Wir formt. Unser Bedürfnis, eine Gruppe zu sein. Der Mensch ist einfach so, ein Zoon politikon. Doch die Gruppe will Dauer und steht dann immer vor derselben Frage: Wie halten wir den Laden zusammen? Und der Stock, die Peitsche, der Pranger und die Angst vor ihnen – die waren stets Teil der Antwort. Man darf das nicht vergessen. Liebe ist überall. Aber sie ist niemals die ganze Geschichte. Es ist toll, der Drache zu sein. Aber man muss den Drachen immer auch fürchten, selbst wenn man eine glänzende Schuppe seines Panzers ist.

Das hier ist Wein. Er wächst, wo der Odenwald endet und in die Rheinebene übergeht. Kein Bezug zu den Gedanken oben, ich war einfach dort und will es dokumentieren. Es ist ganz schön da.

Danach noch Redaktionsbesuch bei „Psychologie Heute“. Mir ist dieser Tage aufgefallen, dass ich für niemanden so lange geschrieben habe wie für dieses Heft. Auch eine Form von Wir, obwohl ich weit weg wohne und meine Geschichten allein schreibe. Muss man auch mal sagen. Das Bild unten belegt es: Ich bin erst gegangen, als die Sonne längst verschwunden war.

bookmark_borderTrue Crime und mein Schock in der Schule

Am Wochenende war ich ja in der Schule, um jungen Leuten was über Journalismus zu erzählen. Nach einer Weile kamen wir in einen Dialog und dann auch bald zwanglos zu der erwartbaren Frage: „Wofür interessiert Ihr Euch denn so???“

Wofür die Jungs sich Interessen, weiß ich immer noch nicht.

Die Mädchen jedenfalls interessieren sich für True Crime-Podcasts. Und zwar, wie man an Stimmlage, Gestik und Mimik unschwer ablesen konnte: mit der allergrößten Begeisterung.

Und klar: Ich erinnere mich an die alte Weisheit aus dem Buchhandel, dass „Krimis von Frauen gekauft und gelesen werden“. Aber dass schon die 17-Jährigen so heftig auf das Genre abgehen, hat mich dann doch auf dem falschen Fuß erwischt.

Hab grad viel Arbeit, deshalb nur ein paar Funde dazu. Eine Studie aus dem Jahr 2018 hat ergeben: Die Zuhörerschaft bei True Crime-Podcasts ist zu 73 Prozent weiblich. Die meisten Leute hören sich so was an, um sich zu unterhalten, weil’s irgendwie bequem ist und weil sie einfach Langeweile haben. Offenbar hatten die Frauen in der Zielgruppe eine leicht andere Motivation als die Männer. Sie hören die Shows eher gemeinsam mit anderen Frauen (oder um hinterher drüber reden zu können), um sich für eine Zeit aus ihrem grauen Alltag wegzubeamen und aus Gründen des Voyeurismus. Mord, Totschlag, sexuelle Gewalt – man will einfach wissen, was hinter den Haustüren der anderen so zum Alltag gehört.

Eine der Autorinnen hat inzwischen ihre Dissertation über besagtes Genre raugehauen. Darin findet man noch mehr interessante Sachen. Dort steht: Die MacherInnen der Sendungen haben sich längst auf ihre wichtigste Zielgruppe eingeschossen. Sie erzählen überwiegend Geschichten, in denen die Opfer heterosexuelle, weiße Mittelklassefrauen sind. Damit sich die Kundschaft besser mit dem Stoff identifizieren kann. Clever!

Doch der weibliche Hang zu True Crime-Podcasts scheint noch eine weitere Ursache zu haben, wie die Dissertation vermerkt: Viele Frauen sehen den Real-Krimi auch als eine Art Schule des Lebens. Man möchte vorbereitet sein, wenn das Böse zuschlagen will: „My findings echo findings from earlier studies on women who read true crime novels, showing that women like reading novels with female protagonists and that they want to learn survival skills in case of an attack.“

Das war’s schon für heute. Ich kenn das Genre nicht. Keine böse Absicht, hab meine Zeit einfach mit anderen Dingen zugebracht. Wollte nur mal meinen persönlichen „Schock in der Schule“ mit Euch teilen und ein paar schnelle Erklärungen hinterherschmeißen. Welche gibt es noch? Was hab ich übersehen? Was fasziniert Euch an solchen Podcasts? Interessiert mich wirklich. Schreibt mir.

Bis bald.

bookmark_borderJournalismus als Beruf?

Heute war ich bei Schülerinnen und Schülern des alten Gymnasiums meiner Kinder, um denen was über meinen Beruf zu erzählen. Journalismus als Beruf – ist das ne gute Idee? Ist das bescheuert? Woher weiß ich, ob der Job zu mir passt?

Man findet Argumente für alles. Die Zeitungen sterben. Das ist bei uns nicht unwesentlich anders als in den USA. Andererseits: Jemand muss den Job machen.

Interessant fand ich, dass 80 Prozent der Anwesenden junge Frauen waren. Die meisten Männer interessieren sich nicht mehr für Journalismus, sondern für … weiß der Geier was. Vermutlich bietet der Beruf nicht mehr genügend sozialen Status.

Jedenfalls hat mir die Sache wahnsinnig viel Spaß gemacht. Ähnlich viel Spaß wie vor einigen Wochen mein Vortrag an der University of Michigan. Die Schule im Sachsenwald, die Uni im Südosten von Michigan – beide Orte sind so etwas wie das Auenland in „Der Herr der Ringe“. Alles scheint dort in Ordnung zu sein, man kann da ein friedliches Leben leben. Man merkt das den jungen Leuten an, sie scheinen die Dinge einigermaßen auf der Reihe zu haben.

Ich habe ihnen jedenfalls dies hier empfohlen, nur so zum weiterreichen:

  1. Findet raus, wie Eure Persönlichkeit aufgebaut ist. Macht einen Big-Five-Test, zum Beispiel hier unter diesem link. Die meisten Leute, die im Journalismus klarkommen, sind eher extrovertiert, eher offen für neue Erfahrung und hoffentlich einigermaßen gewissenhaft. Im Übrigen sollte man vermutlich nicht all zu verträglich sein. Sonst fällt es einem schwer, Leuten auf die Füße zu treten, was gelegentlich geschieht. Sehr hohe Werte in der Dimension Neurotizismus werden vermutlich dafür sorgen, dass man oft gestresst ist. Ich kenne Leute, die im Job trotz hoher Neurotiziksmuswerte erfolgreich sind, aber das klappt, glaube ich, auf Dauer nur, wenn man auch sehr gewissenhaft ist. Man gleicht die mangelnde Stressfestigkeit dadurch aus, dass man besser plant und mehr arbeitet als die anderen.
  2. Guckt Euch an, welche Werte Euch antreiben. Und zwar mit dem VIA-Charakterstärkentest der Uni Zürich. Der Test nervt ein bisschen, weil man dabei zu viele Fragen beantworten muss. Aber am Ende bekommt man das, was die Positiven Psychologen als „Signaturstärken“ bezeichnen. Den meisten Menschen geht’s gut, wenn sie regelmäßig Dinge tun, die auf diese Signaturstärken einzahlen. Man kann dann über viele Jahre arbeiten, ohne auszubrennen. Das ist das, was man möchte.
  3. Verlasst Euch auf das „Planned Happenstance“-Prinzip. Das besagt im Wesentlichen dies: Die meisten gelungenen Karrieren basieren darauf, dass man sich Mühe gibt. Und: auf einer Reihe von glücklichen Zufällen. Wer mit 50 glücklich ist in seinem Job, macht vermutlich etwas, von dem er oder sie mit 17 noch nichts oder nur wenig wusste. Was also tun, wenn man 17 ist? Ganz einfach: Man muss versuchen, die Anzahl der glücklichen Zufälle zu erhöhen. Und das tut man so. Manchmal begegnet man Erwachsenen und denkt: „Wow, der oder die macht coole Sachen, das klingt interessant.“ Dann schreibt man diesem Menschen eine E-Mail: „Mich begeistert, was Du machst. Können wir mal nen Kaffee trinken? Ich hab da ein paar Fragen an Dich.“ Nicht alle werden zusagen. Aber manche schon. Und dann hat man die Chance, sich für 20 oder 30 Minuten in eine Zeitmaschine zu setzen und schon mal reinzugucken, was womöglich die eigene Zukunft sein könnte. Man weiß danach mehr über diesen Job, von dem man zuvor noch keine Ahnung hatte. Und: Auf einmal gibt es ein paar Erwachsene, die schon mal von einem gehört haben. All das wird früher oder später Türen öffnen – sei es durch neue Erkenntnisse, sei es durch neue sozialen Kontakte.

Naja. Die Gruppe war jedenfalls super lebendig und hat viele Fragen gestellt. Gute Fragen. Ich hatte beim Verlassen des Raumes mehr Energie als beim Betreten des Raumes und das ist immer ein Zeichen dafür, dass irgendwas richtig gelaufen ist.

Am Ende hat mir der Organisator des Orientierungstags zum Dank noch eine Schachtel Schnapspralinen überreicht. Tja. Reportertrost!

Und als ich danach zum Fahrradständer ging, waren alle anderen schon weg. Die alte Regel des Print-Journalismus: Der letzte macht das Licht aus!

bookmark_borderWas passiert, wenn Zeitungen sterben?

Heute ein Eintrag, der mir seit meinem Rückflug aus Michigan zuwinkt und aus dem Käfig will. Wird aber kurz. Bin müde. Hab zu viel gearbeitet und muss mal was dagegen unternehmen.

Das Magazin „The Atlantic“ hat in der November-Ausgabe eine sensationelle Titelgeschichte über das Sterben der Tageszeitungen in den USA gebracht. Und nein. Es geht nicht um das böse Internet mit seinen Umsonst-Inhalten. Sondern um Leute, die mit den darbenden Blättern nochmal richtig Geld machen und dabei tüchtige Marken auspressen, bis noch der letzte Stück Leben aus ihnen gewichen ist. Auf dem Cover sieht man einen Geier. Er steht für den bösen Hedge Fund. Die Metapher scheint aber nicht ganz zu stimmen, wie man in der Story selbst nachlesen kann. Denn ein anständiger Geier ist ein Aasfresser. Er wartet mit dem Abendbrot, bis sein Opfer tot ist. “Ein Geier“, so liest man, „drückt den Kopf eines verwundeten Tieres nicht unter Wasser. Das hier ist Raubtierverhalten.“ Einige der Anekdoten kamen mir bekannt vor aus vergangenen Zeiten, aber wie so oft: In den Staaten scheint alles nochmal ne Nummer krasser und herzloser abzulaufen als bei uns. 

Allen Kollegen und Kolleginnen aus den Medien (und jedem sonst, der sich dafür interessiert) will ich jedenfalls diese Leseempfehlung zurufen: Guckt Euch die Story mal an, ich verlinke sie hier gleich nochmal. Und bringt Taschentücher mit. Und einen Eimer. Denn man möchte bei der Lektüre abwechselnd weinen und brechen. 

Zeitungen werden weiter sterben. Auch bei uns. Die steigenden Papierpreise werden auch dabei mithelfen. Aber was folgt daraus? Was passiert, wenn Zeitungen sterben? Im Atlantic-Artikel heißt es dazu: 

„Wenn Lokalzeitungen verschwinden, dann geht das laut der Forschung tendenziell einher mit einer geringeren Wahlbeteiligung, einer wachsenden Polarisierung, einem allgemeinen Niedergang von bürgerlichem Engagement. Falschinformationen breiten sich aus. Stadtbudgets laufen aus dem Ruder, die Korruption nimmt zu, die Verwaltung verliert an Effizienz. Es kann auch bundesweite Konsequenzen haben. So ergab eine Analyse von Politico, dass Donald Trump bei der Wahl von 2016 dort am besten abgeschnitten hat, wo die Menschen nur begrenzten Zugang zu Lokal-Nachrichten hatten.“

Ich weiß auch nicht, wie man lokale und regionale Blätter retten kann. Aber man muss. Journalisten sind keine Engel. Journalistinnen auch nicht. Aber wir brauchen sie. Demokratie funktioniert sonst nicht. 

Morgen soll ich im Hamburger Speckgürtel jungen Leuten was über „Journalismus als Beruf“ erzählen. Bin mir noch nicht ganz sicher, was ich denen sagen werde. Dass die Branche im Eimer ist? Dass es da früher mal coole Jobs gab und man heute besser was anderes machen sollte? Oder soll ich davon erzählen, welche Rolle der Job hat in einer freien Gesellschaft? Und wie wichtig er ist? 

Werde jedenfalls berichten. Auch davon, was die jungen Leute mir zurückgeben und wofür sie sich eigentlich interessieren. Bin schon sehr gespannt. 

bookmark_borderDie Bellsche Zahl als Schlüssel zur Kommunikation und zur Frage: „Was ist eigentlich eine Party?“

Vor ner Woche war ich ja mit zwei Freunden bei Rolf und Britta. Er ist Maler, sie ist Bildhauerin, es war ein toller Besuch. Das Künstlerpaar, die beiden Freunde, ich – wir waren fünf Leute. Jörg hat auf Facebook gefragt, ob genau das, also die Anwesenheit von Freunden, etwas zum Erlebnis von Kunst beigetragen hat. Das ist eine sehr gute Frage, über die ich in einem etwas anderen Zusammenhang schon mal länger nachgedacht habe.

Und das kam so.

In Amerika meinte mal wer zu mir, dass man demnächst eine „dinner party“ veranstalten sollte. Vor meinem inneren Auge sah ich eine Art Orgie. Tatsächlich wurden dann aber nur zwei Leute zum Abendbrot einladen. Zwei Leute? Im Ernst? Aus diesem Missverständnis entstand eine Diskussion um den Begriff „Party“. Wie viele Leute braucht man eigentlich dafür – und wenn ja: warum?

Und dann hatte ich folgende Idee: Wenn zwei Leute beieinander sind, gibt es ja genau zwei Möglichkeiten, wie sich die Kommunikation gestalten kann. Sie reden miteinander … 

… oder sie reden nicht miteinander.

Hm. Wie sieht die Sache aus, wenn drei Leute beieinander sind? Mal überlegen.

Also: Sie reden alle drei miteinander … 

… oder nur #1 und #2 reden miteinander, während #3 seine Emails checkt … 

… und dasselbe Spiel noch einmal, wenn #1 irgendwas auf WhatsApp raushauen muss … 

… oder #2 einen Anruf von seiner Tochter bekommt …

… und dann, ganz zum Schluss, stehen natürlich alle drei da und tippen irgendwas in ihr Handy.

Das heißt: Bei zwei Gästen gibt es genau zwei Möglichkeiten, wie Kommunikation sich aufteilen kann. Bei drei Leuten sind es schon fünf Möglichkeiten. Interessant.

Wie sieht die Sache aus, wenn vier Leute beieinander sind? Keine Angst: Ich kürze die Sache diesmal ab.

Manchmal reden alle miteinander … 

… manchmal redet jeder nur mit sich selbst oder seinem iPhone … 

… und dann gibt es vier Kombinationen, in denen drei Leute miteinander reden, während einer nur für sich ist (Handy, Klo, Selbstgespräch) – ich zeige nur ein Bild dafür, um die Sache abzukürzen. 

Durchhalten jetzt! Wir haben noch drei verschiedene Kombinationen, bei denen es zwei Zweiergruppen gibt. Klingt komisch, ist aber so: 1&2 und 3&4; 1&3 und 2&4; 1&4 und 2&3. Ich zeige wieder nur ein Foto, um die Sache zu symbolisieren.

So. Und dann fehlen noch sechs verschiedene Möglichkeiten, in denen sich jeweils zwei Leute unterhalten und die beiden anderen nur was für sich machen. Klingt auch komisch, stimmt trotzdem. Ich spare mir die Notation der Kombis, Ihr könnt’s selber ausprobieren, wenn Ihr wollt. Hier ein Bild, um die Sache symbolisch zu zeigen:

Bei vier Leuten gibt es also genau 15 Kombinationen.

Nochmal zum Mitschreiben. Zwei Leute – zwei Kombinationen. Drei Leute – fünf Kombinationen. Vier Leute – fuffzehn Kombinationen.

Wow, das sind ja Wachstumskurven fast wie bei Corona!

Bei unserem Besuch bei Ralf und Britta waren wir fünf Leute. Keine Angst: ich zeige keine Fotos mehr. Hab’s aber trotzdem ausgerechnet: Wir hatten genau 52 verschiedene Kommunikationsmöglichkeiten. Davon haben wir natürlich nicht alle genutzt. Aber einige. Ich hab mich zum Beispiel mal allein umgesehen und mich dann zu Britta und ihrem „Dreh dich um“-Kuchen begeben. Zum einen, weil ich neugierig war, aber auch ein bisschen, damit die anderen mehr Zeit miteinander haben, ohne dass ich störe.

Ich glaube: Diese gelegentliche Rekombinationen haben die Sache sehr bereichert und den Besuch zu einem noch besseren und tieferen Erlebnis gemacht.

Damals in den Staaten hab ich jedenfalls viel freie Zeit damit zugebracht, noch mehr Zahlen auszurechnen. Ganz stumpf mit Listen per Kugelschreibe und Papier.

Also:

Sechs Leute – 203 Kombinationen.

Sieben Leute – 877 Kombinationen.

Acht Leute – 4140 Kombinationen.

Genau an dem Punkt habe ich dann aufgehört. Es ist einfach zu viel Papier dabei draufgegangen. Ich hab dann die Zahlen gegoogelt. 2, 5, 15, 52, 203, 877, 4140. Und siehe da – es gab tatsächlich einen Treffer. Ich hatte die ganze Zeit etwas ausgerechnet, das man in der Mathematik schon sehr lange kennt, nämlich die so genannte „Bellsche Zahl“. Verdammt! Alles gibt’s schon, alles ist schon da. Aber egal! Jetzt hab ich zumindest einen Begriff für meine Gedanken und kann Leuten davon erzählen. Besser als nix.

Hab anschließend verkündet, dass eine Zusammenkunft in meinen Augen erst ab sieben Leuten eine „Party“ genannt werden kann. Unter 877 möglichen Kommunikations-Kombinationen springt der Funke einfach nicht über.

Einen hab ich noch: Wenn 11 Freunde zusammen in den Fußball-Urlaub fahren, dann stehen sie vor 678.570 Arten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Man kann es sich nicht vorstellen, aber man kann es fühlen. Bei so vielen Leuten ist einfach sehr viel Leben in der Bude. Dauernd passiert was Neues, nur selten wiederholt sich eine Kombination. Deshalb sind große Gruppen so toll und so aufregend und so abwechslungsreich. Und die Erkenntnis des Tages für mich lautet: All das ist kein Wunder, sondern einfach eine Frage der Mathematik. Spannend, oder?

bookmark_borderEin künstlerisches Kuchenrezept

Ich war ja am Wochenende bei Rolf, dem Maler, und bei Britta, der Bildhauerin. Britta hat einen Kuchen gebacken, der sehr lecker war. Jetzt hat Angela nach dem Rezept gefragt. Britta wiederum hat sich nicht lumpen lassen und mir ihr Rezept zugeschickt.

Und so gelingt Britas „Umdrehkuchen“ (Nachtrag: Die meisten sagen wohl „Dreh-dich-um-Kuchen“ dazu).

Man heizt den Backofen vor auf 160 Grad Umluft.

Man braucht eine Springform. Durchmesser „mindestens 20 Zentimeter“, sagt Britta.

Zutaten:
für den Teig

150 g gemahlene Nüsse, Mandeln oder dergleichen

100g Rohrzucker (man kann auch „normalen“ Zucker nehmen)

150 g weiche Butter

3 Eier (Britta verwendet Bio-Eier)

1 Päckchen Vanillezucker (Britta sagt: „Bourbon-Vanillezucker“)

1 Päckchen Backpulver (Britta hat „Weinstein-Backpulver“ verwendet)

für die Quarmasse:

500 g Magerquark

100 g Rohrzucker

2-3 Eier

geraspelte Schale einer halben Bio-Zitrone

Saft einer halben Zitrone

1 Päckchen Vanille-Pudding-Pulver

Man rührt die Teigzutaten von Hand oder mit dem Mixer zu einem geschmeidigen Teig, kippt ihn in die gefettete Springform und streicht ihn glatt.

Alsdann verrührt man die Quarkmasse-Zutaten zu einer „schönen Creme per Hand oder Mixer“ – und verteilt das Ganze einigermaßen gleichmäßig auf den Teig. Dann kommt das Ding für ca. 55 Minuten in den Ofen.

Aber Obacht! Ab etwa einer halben Stunde muss man ein Auge auf die Bräunung haben. Denn die nussige Teigschicht „wandert“ mit der Zeit nach oben, sie kann anbrennen, ehe der ganze Kuchen durch ist. Deshalb kann es sein, dass man den Kuchen für ne Weile mit Backpapier abdecken muss.

Wann ist der Kuchen fertig? Das testet man mit einem Holzstäbchen: Man steckt es in den Kuchen und zieht es wieder heraus. Wenn kein Teig mehr hängen bleibt, ist der Kuchen fertig. Dann nimmt man ihn aus dem Ofen und lässt ihn abkühlen. Er schmeckt schon toll, wenn er noch ein bisschen warm ist und hält sich, sagt Britta, für zwei bis drei Tage im Kühlschrank.

Super, oder?

Wenn Ihr das Rezept ausprobiert: Schreibt einen Kommentar.

Und dann noch etwas. Britta will wissen: Warum wandert der Teig nach oben? Was ist die Physik dahinter? Ich weiß es nicht. Wenn jemand die Antwort kennt: Immer raus damit. Interessiert mich auch.