bookmark_borderDer beste Bauernmarkt von allen

Ich weiß: Andernorts brennt in den USA gerade die Hütte. Darüber schreib ich ein andermal, gibt ne Menge zu sagen. Heute jedoch gehen wir zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder auf den Farmers Market in Ann Arbor. Anfang Mai hat man den Markt ein bisschen geöffnet – man konnte Sachen vorbestellen und dann am Gehsteig abholen. Jetzt aber zum ersten Mal wieder „in Echt“. Ich muss sagen: Wenn man das lange nicht gemacht hat, ist das hier auf einmal der beste Bauernmarkt von allen. Einfach, dass da Leute sind und man Dinge angucken kann und dass der Wind durchs Gemüse weht.

Alle Gänge sind jetzt als Einbahnstraßen gestaltet. Interessant, dass nur die Verkäufer Masken tragen müssen. Für Kunden sind sie nur „empfohlen“. Überall stehen Schilder, die einen an die Regeln erinnern.

Zum Beispiel die Regel, dass man zum Rumstehen und Quatschen bitte den Markt verlassen soll. Insgesamt war deutlich weniger los, als das an einem Vor-Corona-Samstag der Fall gewesen wäre.

Hier sieht man, dass der Platz für einige der Anbieter deutlich reduziert wurde. „Wir können uns halt nicht mehr so ausbreiten wie sonst“, sagt eine stämmige Bauersfrau, die uns getopften Koriander und krause Petersilie verkauft. Ich frag sie, wie’s für sie ist, dass der Markt endlich wieder läuft. Sie so: Tja, halt weniger Platz und die doofen Masken. Sie mag die Beschränkungen nicht. „Wird aber auch irgendwann vorbeigehen.“ Sie scheint keine Angst vor dem Virus zu haben und wenig Freude darüber zu empfinden, dass es wieder losgeht. Interessant. Wenn man Geld verdienen muss, hat man einen anderen Blick auf die Dinge. Für uns ist es ein emotionales Erlebnis, für sie ist es Business. Was man auf Bauernmärkten kauft, ist viel mehr als nur Grünzeug. Man kauft das Gefühl, dass die Welt noch immer in Ordnung ist. Oder wieder. Auch wenn man im Grunde weiß, dass das höchstens zur Hälfte stimmt.

An den Blumen gehe ich ansonsten immer achtlos vorbei. Heute aber mache ich ein Bild und freu mich, wie die Dinger schön bunt sind und blühen.

Am Tag davor war ich zum ersten Mal wieder in einem Laden, der kein Supermarkt war. Das eher geräumige Sportgeschäft war so gut wie leer. Eigentlich habe ich gedacht, die Leute rennen denen die Bude ein. Weil man endlich wieder darf. Aber nein. Auf dem Parkplatz: so gut wie nix los.

Ganz anders ein paar 100 Meter weiter bei „Kroger“, dem hiesigen Supermarkt. Parkplatz und Laden: ziemlich voll. Auch hier sind die Gänge als Einbahnstraßen angelegt. Manche halten sich sogar daran.

Das mit der Kennzeichnung der Einbahnstraßen haben sie beim Farmers viel besser gemacht. So richtig für Doofe (also für mich). Hat auch viel besser funktioniert. Der alte Trick: Information ist es nur, wenn’s einer mitkriegt.

Seit diesem Wochenende bekommen wir auch eine Gemüsekiste von einem örtlichen Bauernhof. Man holt sie ab auf einer Wiese neben dem Bauernmarkt. Ich weiß aus Erfahrung, dass die Begeisterung darüber sich irgendwann legen wird, aber heute ist das wirklich was Besonderes. Frisches Zeug, an dem noch Erde hängt. Pilze mit Würmern drin. Ich werde ganz nostalgisch und mache Spätzle dazu.

Ansonsten ist Theo, der Kater, am Abend aus dem Haus ausgebüxt. Was hat er so getrieben die ganze Nacht? Die Trail Camera im Garten has es uns verraten: Er hat den Waschbär interviewt. „Wie ist es so, dieses freie Leben im Wald? Wo kann man hingehen und Spaß haben? Und was sind das für Streifen an Deinem Schwanz? Guck mal hier: Ich hab auch welche!“ Der Waschbär hatte aber gar keine Lust drauf.

bookmark_borderTiere, Räuber, Mafia

Das Verbrechen schläft nicht – auch nicht in Nickis Garten. Gestern die Vogelhäuschen neu befüllt. Dabei sind ein paar Kerne und Nüsse daneben gefallen. Achselzuckend alles auf dem Rasen belassen und die Trail Camera daneben geschnallt. Vielleicht kommt ja ein Eichhorn vorbei?

Und tatsächlich:

In der Nacht jedoch hat sich ein Räuber eingeschlichen. Die Maske trägt er nicht wegen Covid-19! Dies ist der erste Waschbär, den ich hier überhaupt zu Gesicht bekomme. Er scheint gut im Futter zu stehen. Seine Figur erinnert mich an meine alte Lateinlehrerin. Die Geschäfte laufen offenbar bestens.

Aha. So frisst also ein Waschbär. Cute!

Im Übrigen hat sich ein Blue Jay (Blauhäher) an die Kerne gemacht. Auch er schreckt vor Raub und Mord nicht zurück: Er räumt gelegentlich die Nester anderen Singvögel aus. Außerdem ist er ein Fälscher, ein Meister der Maske, wie ich einem Artikel aus dem „Ornithologists‘ and Oologists‘ Semi-Annual“ von 1889 entnehme. Dort heißt es: „Seine Immitationskünste sind enorm, wir hörten ihn die Rufe von Buteo borealis (Rotschwanzbussard), B Lineatur (Rotschulterbussard) und Falco sparverius (Buntfalke) mit höchster Akkuratesse nachahmen.“ Er tut also so, als wär er ein gefährlicher Raubvogel, um Konkurrenten zu verscheuchen. Clever!

Der schlimmste Verbrecher scheint mir jedoch der Brown Headed Cowbird (Braundkopf-Kuhstärling) zu sein. Dass er seine Eier in fremde Nester legt, habe ich bereits erwähnt. Das ist charakterlich zweifelhaft, aber vermutlich nicht strafbar. Dieses Video zeigt das Cowbird-Weibchen. Sieht harmlos aus. Fast langweilig. Aber: Das ist alles nur Fassade.

Heute hat mich Nicki nämlich auf ein Forschungspapier aus den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ aufmerksam gemacht, zu dem mir nun gar nichts mehr einfällt. Der Titel heißt übersetzt:
„Vergeltung im Mafia-Stil durch parasitäre Kuhstärlinge fördert die Akzeptanz ihrer Eier durch Wirtsvögel“.
Die Forscher haben nämlich untersucht, was passiert, wenn die geschädigten Vogeleltern (oder mitleidige Vogelfreunde) die ins Nest geschmuggelten Cowbird-Eier entfernen: Die Cowbird-Eltern entdecken, dass ihr Ei fehlt – und verwüsten aus Rache das komplette Nest. Und zwar in 56 Prozent aller Fälle. Die Sache läuft tatsächlich wie bei der Mafia: „Schönes Nest habt ihr da. Wär doch schade, wenn da einer vorbeikommt, und das alles kaputt macht.“ Also seufzen die Wirtsleute und entrichtet das Schutzgeld, in diesem Fall: Sie ziehen das Cowbird-Küken groß und tun so, als wär’s ihr eigenes.

Mehr noch: Manchmal zerstören die Cowbirds auch einfach so die vollen Nester anderer Singvögel. Die müssen dann ein neues Gelege anlegen und schaffen so eine neue Möglichkeit für die Cowbirds, ihr eigenes Ei dazuzuschmuggeln. Sie legen sich sozusagen ihren eigenen kleinen Bauernhof an Wirtsvögel an. „Farming“ sagen die Vogelforscher dazu.

Das Böse ist immer und überall.

bookmark_borderWas hätte Winnetou damit angestellt?

Dieser Tage hat sich eine Schlange durch unseren Garten geschlängelt. Natürlich wieder die Gemeine Strumpfbandnatter, wie wir sie schon neulich mal gesehen haben.

Heute beim Spaziergang im Wald ist uns auch wieder eine begegnet. Den Tieren scheint’s gut zu gehen. Wann wird mir eine einen Apfel anbieten, um mich aus dem Corona-Paradies zu vertreiben?

Ansonsten leide ich derzeit unter gedämpfter Stimmung. Vermutlich, weil mich gerade wieder ein Kalender-Zombie heimsucht: Mein Smartphone behauptet, dass ich gerade eine Reise mit meinem Vater unternehme. Ist ausgefallen wie die Reisen aller anderen Leute. Ja: Man darf sich nicht so anstellen. Und ja: Ich bin gerne in Michigan. Trotzdem doof. Den Trip hätte ich auch gerne gemacht.

Den Wald jedoch kümmert’s nicht. Hier blüht jetzt alles. Zum Beispiel diese schmucke Blume, bei der es sich, wie mir das allwissende Internet verrät, um eine Wilde Geranie handelt. So sagen die Amerikaner. Wir Deutschen sagen „Gefleckter Storchschnabel“ dazu.

Und das bringt mich jetzt zwanglos zu meiner Überschrift. Neulich habe ich mich bei Facebook zu einer dieser „Mir-ist-langweilig-wegen-Corona“-Challenges gemeldet und mich nostalgisch mit meinen Kinderhörspielen befasst. Da hat mir meine Mutter doch glatt ein Bild mit einigen der Platten geschickt, die meine Geschwister und ich uns damals reingezogen haben. Natürlich auch dabei: Winnetou.

Weil’s die meisten der Hörspiele auf Spotify gibt, hab ich mir einige nochmal angehört. Beim Abwasch, Putzen und so. Und ich muss sagen: Ein paar davon sind gar nicht mal so gut, wie ich das in Erinnerung hatte. Auch die Geschichten selbst. Meine Herren. So viele zufällige Wendungen! Ist mir damals alles nicht aufgefallen.

Was Winnetou mit den Schlangen und Blumen zu tun hat? Nun, ich habe im Netz gelesen, dass einige Indianerstämme die Strumpfbandnatter zum Abendbrot vertilgt haben. Angeblich hat man entweder den Schwanz abgeschnitten und gegessen oder die Schlange aufgeschnibbelt und das Fett ausgesaugt. Keine Ahnung, wie das gehen soll. War aber wohl so.

Und die wilde Geranie wurde angeblich als indianisches Heilmittel gegen Hämorrhoiden eingesetzt, die es also, wie ich schließe, auch unter den tapferen Söhnen und Töchtern der Prärie gegeben haben muss.

Bestimmt haben die „Native Americans“ auch gewusst, was man mit diesem mächtigen Baumpilz alles anstellen kann. Ich dagegen weiß es nicht. Man weiß sowieso das allermeiste nicht.

Immerhin: Mit dieser „Gewöhnlichen Nachtviole“, an der Coco schnuppert, hätten auch die Apachen nichts anzufangen gewusst. Gab’s in Amerika nämlich gar nicht. „Dame’s Rocket“, wie die Blume hier heißt, ist eine invasive Art und wird deshalb trotz ihrer Schönheit und ihres lieblichen Duftes von manchen Einheimischen beharrlich ausgerissen und weggesperrt. Was vermutlich vielerlei Gründe hat.

Gerade hat’s angefangen zu regnen. Das ist sehr erfrischend.

bookmark_borderEiner der kaputten Staudämme in Michigan hatte schon vor mehr als zehn Jahren Löcher – die Überschwemmung war das Ende einer verzockten Pokerpartie

Vor einer Woche sind in Michigan zwei Staudämme gebrochen. Rund 10.000 Leute mussten ihr Zuhause verlassen. Die Bilder der zerstörten Straßen und Häuser sind wirklich heftig. Wo vor zehn Tagen noch Seen waren, ist jetzt nur Schlamm. Ich hab schon kürzlich was dazu geschrieben. Das Bild oben ist ein Screenshot aus der entsprechenden Berichterstattung von CNN.

Inzwischen sind eine Menge neuer Berichte zum Unglück dazugekommen. Michigans Gouverneurin Gretchen Whitmer sagt: Staudämme sollten sich in öffentlicher Hand befinden. Für eine US-Politikerin ist das schon ein ziemlich starkes Statement. Außerdem meint sie: Falls sich herausstellt, dass jemand an den Dämmen Mist gebaut hat, werde man die Schuldigen „zur Rechenschaft ziehen“. Klar, das wollen die Leute hören. In westlichen Gesellschaften sucht man bei Katastrophen immer einen Schuldigen. Mal abwarten, was da noch kommt.

Ich hab mich von den Kollegen jedenfalls inspirieren lassen und ein paar alte Zeitungsberichte über die Sache gefunden. Die Sache ist wirklich unglaublich. So floss zum Beispiel schon im Sommer 2010 Sickerwasser durch den altersschwachen Sanford Dam (gebaut 1923 bis 1925). Das ist der untere der beiden Dämme, die jetzt überflutet wurden.

Der Besitzer hat damals behauptet, in größter Geistesgegenwart reagiert zu haben. Er hat mitten im Sommer den Wasserspiegel des Sees gesenkt und den Damm teilweise repariert. Das Ding, so wird er zitiert, würde jetzt halten „bis Mutter Natur sich dagegen entscheidet“.

Das war ein bisschen zu optimistisch gesprochen. Die Bundes-Energiebehörde hat bei einer Untersuchung nämlich bald darauf noch mehr Stellen am Damm gefunden, die man hätte richten müssen. Der Besitzer meinte darauf: Diese zweite Rechnung müssten jetzt die Anwohner bezahlen. Es ging damals um 83.000 Dollar – ein Witz verglichen mit dem, was jetzt an Schaden entstanden ist.

MLive zitiert den Mann im Winter 2011 mit den Worten: „Die Sache ist ganz einfach – wenn Du Mitglied in einem Golfclub bist, dann zahlst Du dafür, dass der Platz in einem akzeptablen Zustand bleibt. Wenn Du an einem See wohnst, der durch ein privates Bauwerk erschaffen wird, dann muss auch jemand für diesen Damm bezahlen.“

Wie das so ist beim Pokern: Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man. In diesem Fall ging die Sache für den Besitzer gut aus: Die Anwohner haben den Hut rumgehen lassen und die Rechnung bezahlt. Warum haben die das gemacht? Ganz einfach: Sie wollten wieder Wasser in ihrem Teich haben. Ein Seegrundstück ohne Wasser vor der Tür ist nur der halbe Spaß (und wohl auch nur die Hälfte wert).

Doch die Pokerrunde am Sanford Dam war nur die Generalprobe. Denn der richtig dicke Klops lag ein paar Kilometer weiter flussaufwärts: Am Wixom Lake hatten die Bundesenergiebehörden nämlich ausgerechnet, dass der dortige Edenville Dam einer Jahrtausendflut nicht würde standhalten können. Also wollten sie, dass der Besitzer das Ding sanieren lässt – für angeblich 8 Millionen Dollar. „Hab ich nicht“, hat der Besitzer sinngemäß gesagt (klar: derselbe, dem auch der Sanford Dam gehört).

Warum nicht hier wiederholen, was schon vorher geklappt hat? Der Betreiber des Dammes wollte sich auch hier wieder die Rechnung von den Anwohnern bezahlen lassen. Sein Vorschlag: Er kriegt für jedes Grundstück am See rund 170 Dollar, 20 Jahre lang. Jahr für Jahr. Und was, wenn nicht? Dann, so zitiert ihn die Presse, würden die Bundesbehörden ihn dazu zwingen, den Stausee „in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen“. Mit anderen Worten: Der Mann hat damit gedroht, an der Badewanne den Stöpsel zu ziehen. Die Sache sei keine leere Drohung, sondern „so ernst wie ein Herzinfarkt in New York City“. Schon damals – im Jahr 2013 – hat ein Behördensprecher spekuliert, dass die Sache nicht mehr sei als „ein Bluff“.

War es auch, wie man heute weiß. Vor zwei Jahren haben die Bundesbehörden dem Mann nach langem Hin und Her seine Lizenz zum Strom-Machen entzogen. Tja. Wenn man so einen Damm besitzt, aber kein Geld mehr damit verdienen kann, dann macht man sein Eigentum nicht einfach kaputt. Man holt man sich die Kohle aus anderer Quelle. Genau so kam’s auch. Der Besitzer hat sich mit einem Konsortium (der so genannten „Four Lakes Task Force“, gegründet von den anliegenden Counties) auf einen Verkauf geeinigt. Genauer: auf insgesamt vier Stauseen und die dazugehörigen Dämmefür insgesamt 9,4 Millionen Dollar. Warum hat die Task Force gezahlt? Weil der alte Besitzer gedroht hat, den Wasserspiegel ansonsten um mehr als zwei Meter zu senken. Also wieder dieselbe Masche wie am Sanford Dam. Kein Wasser im See – kein Seegrundstück, kein Spaß, keine Lebensqualität und so weiter. Gut gepokert, kann man da nur sagen: Der gute Mann wäre wohl mit genügend Geld aus der Sache rausgekommen.

Die Task Force hätte sich die Kohle übrigens von den örtlichen Grundstückseigentümern wiedergeholt. Wer ein Grundstück mit Seezugang besitzt, sollte dafür 350 Dollar pro Jahr bezahlen, bei einem Grundstück in der zweiten Reihe immer noch 88 Dollar. Für die Anwohner war die neue Lösung also etwa doppelt so teuer wie das, was der Privatbesitzer angeboten hatte. Dafür hätte sich die Anlage in öffentlicher Hand befunden. Sie hätte sozusagen allen gehört. Das Geld wäre auf die Grundsteuer obendrauf gekommen (Hintergund: Anders als bei uns ist die Grundsteuer in den USA oft ein fettes Pfund; die Kommunen werden damit finanziert und legen den Steuersatz selbst fest; besteuert wird immer der Wert des Grundstücks; es gibt teure Städte und billige Städte; Ann Arbor ist zum Beispiel eine ausgesprochen teure Stadt. Man zahlt für ein Haus sicher über 5000 Dollar pro Jahr; wenn’s ein hochpreisiges Haus ist: über 10.000; kein Witz).

Der Deal sollte jedenfalls bis Januar 2022 über die Bühne gehen. Die Planung für die fällige Dammsanierung wollte man bis Ende 2020 abgeschlossen haben. Jetzt hat „Mutter Natur“ jedenfalls ihr Veto gegen die Sache eingelegt. Die Pokerpartie hat einfach zu lange gedauert.

Wer genau hat sich da verzockt? Im Moment sieht es so aus, als wäre der alte Dammbesitzer der Bösewicht. Aber man weiß das nicht so genau. Ich hab ja nur ein paar Zeitungsartikel gelesen. Okay. Und am Rande mitbekommen, wie im heimischen Aumühle in einem ähnlichen Fall zwischen Politik und Privatbesitzern verhandelt wurde. Bei solchen Projekten, so scheint’s, wird immer mit allen Tricks gearbeitet. Die Detroit News wirft jetzt die Frage auf, ob der obere Damm nur deshalb gebrochen ist, weil der Staat über Sommer unbedingt einen vollen See haben wollte, statt denn Wasserspiegel abzusenken und damit auf den schlechten Zustand des Staudamms zu reagieren.

Fest steht, dass jetzt alles im Eimer ist. Die Dämme und die Seen, viele Häuser, im Grunde das gesamte Tal. Auf der Website der der Task Force heißt es: Der Deal war nicht abgeschlossen und wird unter den derzeitigen Bedingungen auch nicht über die Bühne gehen.

Wie genau das alles ausgeht, werden die Gerichte entscheiden. Irgendwann. Bei dieser Pokerpartie haben ganz sicher jetzt schon alle verloren.

bookmark_borderVerschönerungstag

Heute war hier Feiertag: Memorial Day.
Ich so: „Worum geht’s da eigentlich?“
Antwort: „Wir denken an die Gefallenen in unseren Kriegen.“
Ich so: „An die Vietnamesen?“
Kam nicht gut an, der Scherz. In Zukunft: keine Witze mehr über so was.

Das Klischee über die Deutschen und ihre Feiertage lautet übrigens: „Ihr feiert andauernd irgendwas ‚because someone took a shit hundreds of years ago‘.“

Fest steht, dass der Memorial Day eine große Sache ist. Hat nach dem Bürgerkrieg angefangen und hieß damals „Decoration Day“, weil man da seine lokalen Gefallen-Gräber und Gedenksteine rausgeputzt hat. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde daraus dann der „Memorial Day“ – und ein gesetzlicher Feiertag.

Da es der Familie meiner Liebsten an toten Helden mangelt, haben wir einfach ein neues Kräuterbeet angelegt. Verschönerungstag im Privaten, sozusagen.

Trotzdem fallen mir mal wieder die kulturellen Unterschiede auf. Memorial Day ist immer am letzten Montag im Mai. Was bedeutet er den Kindern? Ich hab nachgefragt. Antwort: „Dass wir da keine Schule haben!“ Ehrlich gesprochen. Unser Volkstrauertag hingegen fällt bekanntlich immer auf einen Sonntag. Also nix mit keine Schule. Entsprechend: weniger Bedeutung. Wir denken da auch nicht an „unsere“ Gefallenen, sondern an die Opfer von Kriegen überhaupt. Sehr humanistisch gedacht, gefällt mir. Die Amerikaner machen das eher so, wie man das bei uns, äh, früher gemacht hat.

Vor rund zwei Wochen hat es hier in Ann Arbor ja noch geschneit. Vergangene Nacht haben wir den Deckenventilator angeschmissen: zu heiß. Heute dann 30 Grad. Aus diesem „Wetter“ soll mal einer schlau werden. Aber keine Klagen: Wir haben draußen unter den Bäumen Abendbrot gegessen und alles war sehr gut.

Heute gegen Mittag hat Nickis Sohn Kai eine Diskussion über den „bias“ in den Medien angezettelt. Seine Meinung: Alle Medien sind parteiisch. Es macht keinen Spaß. Wem soll man da noch glauben? Er denkt jetzt darüber nach, eine vollkommen unparteiische Zeitung an seiner Schule zu starten. „Nur Fakten, nix anderes.“ Das fand ich einerseits beeindruckend und andererseits auch verständlich. Die Medien hier berichten wirklich sehr parteiisch (auch CNN, leider). Nicht zu vergleichen mit dem, was man bei uns so vorgesetzt bekommt.

Ein Beispiel. Dieser Tage ist eine Analyse erschienen, die sich mit den Werbeausgaben von Donald Trump und Joe Biden befasst hat.

Man kann da schön ablesen, dass Joe Biden sehr viel Geld dafür ausgegeben hat, Spitzenkandidat der Demokraten zu werden. Seither hat er sich mit Werbeausgaben eher zurückgehalten. Donald Trump hat in den vergangenen zwei Wochen dagegen mächtig aufgedreht. Unterm Strich hat Biden seit Anfang März trotzdem mehr Geld ausgegeben. Nix Weltbewegendes, aber ganz interessant, oder?

Wirklich schräg wird, was Fox News vorhin daraus gebastelt hat. Fox ist ein Sender, der sehr auf der Seite von Donald Trump steht und es mit der Wahrheit nicht immer sehr genau nimmt. Fox macht aus der obigen Analyse: „Trump gibt im Anzeigenkrieg VIEL mehr Geld aus als Biden„. Wie sie das hinkriegen? Sie zählen nur die zweite Hälfte der Studie. Und schon ist die Story nicht mehr gelogen.

Da schüttelt der Jochen den Kopf und ärgert sich.

Andererseits haben wir neulich die Stadtgrenzen verlassen. 15 Minuten weit auf dem platten Land klebt noch immer dieser Aufkleber. Bush/Cheney 2004. Puh. 16 Jahre her. Wer waren damals die Gegenkandidaten? Wer weiß es noch so frei aus dem Ärmel? Ehrlich gesagt: Ich musste nachsehen. Es waren John Kerry und John Edwards. Die Wahlen von früher sind irgendwie noch länger her als die Zeitungsmeldungen von früher.

bookmark_borderMein Kumpel Marvin sitzt in Neuseeland fest – und trifft auf einen krassen Strandpropheten. Außerdem: Nachtrag zum Essen und zu Trump

Während ich meine Coronazeit überwiegend im nur mittelmäßig gefährlichen Michigan verbringe, ist mein Hamburger Kumpel Marvin in Neuseeland gestrandet. Er scheint sich dort ein lustiges Leben zu machen und hat jetzt – aus Langeweile? – angefangen, übermütige Videos zu posten. Das Ding hier ist so gaga, dass ich nicht anders kann, als es zu teilen.

Am Wochenende haben wir hier diskutiert, wie sich unser Fleischkonsum durch die Coronakrise verändern wird. Hab etliche Kommentare dazu bekommen, die wieder neue Fragen aufgeworfen haben. Zum Beispiel diese: Stimmt es wirklich, dass wir gerade mehr kochen und backen als sonst – oder macht das nur die linksgrüne Großstadbohème in meiner Filterblase? Stimmt es außerdem, dass wir seltener zum Supermarkt rennen als zuvor, weil wir Angst haben, uns anzustecken?

Zu all dem hat jeder eine Antwort, ein Gefühl, sozusagen. Denn wir sind am Leben. Wir nehmen wahr und sammeln Daten. Und was wir da so sehen, hören, riechen und uns zusammenreimen, das ist für uns alles, was existiert. Gilt auch für mich. Ist menschlich. „What you see is all there is“, so hat Daniel Kahneman das mal formuliert. Kahneman war lange Zeit der einzige Psychologe, der je einen Nobelpreis bekommen hat. Er nennt das die WYSIATI-Regel. Kennt man schon. Ich wollt’s nur nochmal gesagt haben.

Also guck ich mir in solchen unsicheren Fällen gerne an, ob’s irgendwelche Studien dazu gibt. Das mach ich ja eh den ganzen Tag. Studien wissen auch nicht alles. Und manchmal irren sich die Leute, die sich machen. Aber meist sehen sie mit ihren Methoden mehr, als ich das als Einzelperson kann. Jedenfalls finde ich eine neue Studie der Uni Göttingen über unsere Supermarktbesuche während er Covid-19-Krise. Dort steht:
– „Beim Einkaufsverhalten zeigt sich: Es wird seltener eingekauft.“
– „Das Ernährungsverhalten ist (…) bei einem Großteil der Befragten unverändert.
– „Allerdings kochen nun mehr Personen als vor der Corona-Pandemie täglich ein warmes Gericht. Dies trifft verstärkt auf Personen zu, die aufgrund von Home-Office oder Quarantäne mehr Zeit zu Hause verbringen.“

Dann springt mir noch eine leidlich aktuelle Forsa-Umfrage entgegen; dort heißt es, dass in Deutschland weniger Menschen täglich Fleisch essen als noch vor fünf Jahren. Scheint mir aber nix mit Corona zu tun zu haben. Es ist ein langfristiger Trend. Anteil der Veganer an der Gesamtbevölkerung übrigens: ein Prozent.

Es gibt auch Daten von der Industrie selbst. Da muss man immer ein bisschen vorsichtig sein. Die Zahlen selbst stimmen vermutlich, aber die mitgelieferten Begründungen haben fast immer einen gewissen „Spin“ – die Firmen interpretiert alles so, dass es gut für die eigene Marke ist. Hier zum Beispiel lerne ich, dass die Nachfrage nach Tiefkühlfisch zum Teil dramatisch nach oben gegangen ist. Klar. TK. Hält lange. Hamsterwelle. Ist das ein Zeichen für ein verändertes Ernährungsverhalten? Die Leute von der TK-Industrie sagen: Nö. Eher im Gegenteil. „In Zeiten der Verunsicherung greifen die Menschen nach vertrauten, bewährten und geliebten Produkten“, heißt es da. „Die Nachfrage nach (…) klassischen Kernartikeln (…) ist in der Zeit deutlich angestiegen.“ Uns tröstet, was wir kennen. Leuchtet auch wieder ein. Und wenn ich so an die vergangenen Wochen denke: Soooo viele neue Sachen haben wir tatsächlich nicht ausprobiert.

Jetzt noch zwei, drei Sätze zu Donald Trump und der Frage, ob er nun ein Trottel ist oder nicht. Vor einiger Zeit hat die BBC mal was über den IQ des Präsidenten geschrieben. Sie haben tatsächlich eine Professorin gefunden, die dazu etwas „on the record“ geäußert hat. Sie sagt sinngemäß: Wir wissen es nicht. Der IQ ist nirgendwo veröffentlicht. Aber sie „hat das Gefühl“, dass Trumps IQ höher ist, als die Leute annehmen. „Wer ihn nicht mag, sagt, ‚Oh, er ist so ein Idiot, oh, er ist so dumm‘. Aber ich wette er (der IQ) ist höher, als wir glauben.“ Beweist natürlich nix. Gefällt mir aber. Weil es bestätigt, was ich denke. 😉

In der vergangenen Nacht hab ich geträumt, dass Trump hier zu Besuch war. Ich saß am Schreibtisch und bin einer Aufgabe nachgegangen. Da steht er plötzlich in der Ecke, ganz verschwitzt und mit gelockertem Kragenknopf. „Was geht, Sir?“, fragt ich. „Für Sie immer noch Mr. President“, sagt Trump und grinst. Dann winkt er ab und sagt: „Ich muss mich mal für einen Moment ausruhen von all dem Trubel da draußen.“ Ich sage: „Geht klar. Woher all der Schweiß?“ Trump grinst und flüstert: „Darf ich nicht sagen.“ Dann guck ich genauer hin und merke, dass Trump gar nicht aussieht wie der Trump, den ich aus dem Fernsehen kenne. Da steht nur ein älterer Herr mit Übergewicht. Dann kommen die Sicherheitskräfte in den Raum und brüllen rum. Trump sagt: „Lasst gut sein, Leute, ich hab nur ein bisschen Ruhe gebraucht.“ Dann winkt er kurz und ist raus. Und ich sitze da und denke: Am Ende ist er auch nur ein Dude.

Jetzt fällt mir Bob Dylan ein. Und sein früher Gedanke, dass selbst der Präsident der USA manchmal nackt vor dem Spiegel steht.

bookmark_borderWerden wir in Zukunft weniger Fleisch essen?

Das hier ist Obst. Zwei der Zitronen sehen komisch aus, weil wir die Schale zum Backen verwendet haben.

Aber eigentlich will ich heute was zum Thema Fleisch schreiben. Meine Tochter lebt seit einigen Jahren vegan. Ich fand das eigentlich immer interessant und inspirierend und habe, glaub ich, nie versucht, sie davon abzubringen. Es gibt ein paar vernünftige Gründe für diesen Lebensstil. Ich selbst habe das aber nie so ganz ernsthaft in Erwägung gezogen. Schon allein wegen meines Namens.

Heute jedenfalls hatten wir im Garten eine kleine Zusammenkunft. Zwei Studenten in Nickis Umfeld haben gerade ihren Doktor gemacht und da haben wir mit sechs Leuten in sozialer Distanz ein Getränk genommen und die Sache gewürdigt.

Irgendwann kam die Sprache auf den Fleischkonsum. Ich hab kürzlich schon was über die diesbezüglichen Engpässe geschrieben und den Ärger in der amerikanischen Fleischindustrie (genau derselbe Mist lief dann ein paar Tage später auch in Deutschland; es handelt sich nicht um Zufälle, sondern um systemische Probleme. Eins davon: Die Arbeitsbedingungen in der Branche sind einfach beschissen; natürlich gibt es noch ein paar mehr).

Am Ende hieß die Frage in unserer Runde: Wie wird der Fleischkonsum in zwei Jahren aussehen? Werden wir 2022 mehr Fleisch essen oder weniger? Fast alle waren folgender Ansicht: Wir gewöhnen uns gerade daran, weniger Fleisch zu essen. Wir merken, dass es geht. Wir backen unser eigenes Brot und probieren neue Rezepte aus. Wir verändern unsere Gewohnheiten. Viele Leute geben weniger Geld für Lebensmittel aus. Also: weniger Steaks und Schnitzel!

Hier die Tipps, die ich bekommen habe (100 Prozent entspricht dem Verbrauch von heute):

100 Prozent

98 Prozent

93,5 Prozent

90 Prozent

80 Prozent

72,5 Prozent

Keiner von uns besitzt eine besondere Expertise auf diesem Feld. Alles, was wir haben, ist unser Bauchgefühl.

Ich habe mir jedenfalls einen Eintrag in meinen Kalender gemacht. Heute in zwei Jahren werde ich die Entwicklung des Fleischkonsums in den USA und in Deutschland googeln und dann eine Mail an alle schreiben, die heute dabei waren.

Wer eine Meinung dazu hat: Ich bin gespannt, sie zu hören. Als Kommentar, Mail, per Facebook, WhatsApp, was auch immer.

Zum Abschluss noch ein kleines Video von unseren Vogelhäuschen. Es handelt sich um eine Ehepaar von Northern Cardinals (der rote Vogel ist das Männchen). Toll, wie die beiden miteinander umgehen. Oder?

bookmark_borderSchuften wie Bob der Baumeister

In Ann Arbor gibt es zwei Staudämme der höchsten Gefahrenstufe. Einmal den Barton Dam bei uns um die Ecke – und dann den Argo Dam ein paar Kilometer flussabwärts. Das ist der Damm im Bild oben.

Anders als am Barton Dam wird hier kein Strom erzeugt. Der Argo Pond ist eine Freizeitanlage. Man kann dort Baden, Fischen, Rudern und sich ein Paddelboot ausleihen.

Am derzeit geschlossenen Bootsverleih sehen wir ein paar Studenten mit Notizblöcken rumlaufen. Ich brülle also über den Zaun und frage, was das soll. Die Antwort: Sie machen Boots-Inventur. Am kommenden Freitag darf der Laden endlich anlaufen. In ganz Michigan hat es heute insgesamt nur 24 neue Coronafälle gegeben. „Boote kriegt Ihr aber nur nach Vorbestellung.“ Coco freut sich und studiert schon mal die Strecke.

Neben dem Staudamm hat man für viel Geld einen waghalsigen Abzweig gebaut, die so genannten Argo Cascades. Dort lassen sich die Studenten des Sommers in dicken Reifen flussabwärts treiben und haben einen Heidenspaß dabei. Wie man auf dem Schild lesen kann, ist Alkohol hier verboten. Bin mir nicht sicher, wie sehr man sich daran hält. Man darf in vielen Gegenden der USA jedenfalls nicht mit sichtbarem Alkohol in der Hand im Freien rumlaufen. Weil man die Kinder damit auf komische Gedanken bringt. Dieselbe Logik also wie mit den verbotenen Wörtern im Fernsehen. Offener Alkohol im Auto ist ebenfalls verboten („Open Container Rule“). Dafür kann man in Michigan bis zu 90 Tage Knast kriegen. Tja. Kultur ist das, was alle anderen komisch finden und man selber ganz normal.

Jedenfalls wird am Argo Dam seit einigen Wochen gebaut. Wer mit dem Rad aus dem Norden in die Innenstadt wollte, ist immer am Argo See entlang gefahren und dann in Höhe des Dammes wild über die Gleise gestolpert. Jetzt haben sie da endlich einen Tunnel hingesetzt. Geplant wird an der Sache angeblich schon seit mehr als zehn Jahren – der Berliner Flughafen ist überall.

In einem Video kann man sehen, wie sie die Sache letztlich gemacht haben. 37 Stunden Arbeit in weniger als zwei Minuten. Ganz interessant, finde ich. Voll die „Bob, der Baumeister“-Aktion. Können wir es schaffen? Yes, we can!

bookmark_borderDieser Mann ist kein Trottel

Heute hat Donald Trump Michigan besucht. Genauer: eine Fabrik von Ford in Ypsilanti. Das ist eine Stadt zwischen Detroit und Ann Arbor. Wenn man von hier nach dort fährt, dann fühlt sich das etwa so an wie für einen Hamburger ein Trip von Eppendorf nach Wilhelmsburg. Man ist schnell dort, aber man merkt auch bald: Das ist nicht dieselbe Welt. Raues Pflaster, das.

Fox News (ein Kanal, der dem Präsident gewogen ist) hat den Besuch live auf Youtube übertragen. Ich habe mich zwischendurch mal reingeklickt – zusammen mit etwa 4500 anderen Zuschauern. Und ehrlich jetzt: Ich fand das schon ziemlich sensationell. Zumindest, wenn das alles stimmt, was die da erzählt haben. In der Fabrik werden sonst Ersatzteile für die Automobilindustrie gefertigt. Stattdessen machen die jetzt Covid-19-Schutzausrüstung und „Ventilators“ – angeblich in hoher Qualität. Wer jemals irgendwo gearbeitet hat, wo man irgendwas macht, der kann sich vorstellen, was das bedeutet: innerhalb von ein paar Wochen die Produktion auf was ganz anderes umstellen. Und zwar so, dass was Tüchtiges dabei herauskommt. Es ist ein Wunder.

Hier in Michigan haben die Leute immer noch einen Nationalstolz auf Ford und GM. Das waren mal die innovativsten Firmen von allen. Ich kenne auch ein paar Veteranen aus Ann Arbor, die früher als Ingenieure dort gearbeitet haben – damals in den goldenen Zeiten. Das sind Leute, die mit einem riesigen Selbstvertrauen durch die Welt laufen. Wie jemand, der heute einen Job bei Apple oder Google hat. Die waren gefühlt mal ganz oben. Top of the Pops. Man sollte die „old industry“ jedenfalls nicht abschreiben. Die sitzen immer noch auf unglaublichen Ressourcen – nicht nur auf Kohle, Grundstücken, Patenten, Maschinen und dergleichen, sondern auch auf dem, was man kühl als „human capital“ bezeichnet.

Aber ich schweife ab.

Was ich eigentlich sagen wollte: Viele halten Trump für einen Idioten. Das stimmt nicht. Dieser Mann ist kein Trottel. Klar, er überschätzt, wie schön, schlau und wichtig er ist. Aber das tun wir alle. Fast immer. Er macht das nur ein bisschen doller als die meisten. Und er macht es im Fernsehen. Es ist dasselbe wie damals bei Reagan und Bush Junior. Im Rückblick waren auch das keine Idioten. Anderer Meinung sein und dumm sein – das ist nicht dasselbe.

Die Nachrichten hier haben sich darauf konzentriert, dass Trump im Werk keine Maske getragen hat. Er hat im Zwiegespräch mit den Pressekollegen sinngemäß gesagt: „Ich hab wohl eine Maske getragen. Die Fort-Leute haben mich drum gebeten. Aber wenn ihr mit Euren Kameras anrückt, dann nehm ich sie ab. Die Bilder gönn‘ ich euch nämlich nicht.“ Er hat die Maske auf den beiden Screenshots übrigens in der Hand. Apropos: Was die beiden Fordmanager im Hintergrund mit ihren Händen machen, will ich gar nicht wissen.

Unterm Strich wollte ich eigentlich nur sagen: Trump darf man genau so wenig unterschätzen wie die Automobilindustrie.

Ansonsten hab ich heute die Trail Camera an einen der Bird Feeder gehängt. Und da ist doch glatt ein Baltimore Oriole vorbeigekommen – der im Deutschen „Baltimoretrupial“ heißt. Komischer Name. Aber sehr schöner Vogel. Oder?

Als ich das Video gesehen hab, da ging’s mir richtig gut.

Ganz herzlichen Dank übrigens an alle, die den Post von neulich kommentiert haben (hier oder auf Facebook). Was ich daraus lerne, ist dies: Die Leute von Youtube sind ganz okay darin, einem neue Videos vorzuschlagen. Aber so RICHTIG gut sind sie nicht.

bookmark_borderDer Dammbruch in Michigan war kein Zufall

Gestern sind im mittleren Michigan zwei Dämme gebrochen. Ich hab die Bilder von den CBS Morgennachrichten gezogen. Midland County – der betroffene Bezirk – liegt knapp 200 Kilometer nördlich von uns. Schlimme Sache. Die umliegenden Dörfer und Städte werden evakuiert, dort steht das Wasser jetzt teilweise mehr als zwei Meter hoch in den Straßen. Die Gouverneurin hat den Notstand ausgerufen.

Auch der Spiegel berichtet über die Sache. Die dort erwähnten „heftigen Regenfällen“ sind eine korrekte Beschreibung dessen, was hier vorgestern los war. Da bin ich nach dem Mittagessen runter zum Huron River gegangen. Das dauert ungefähr vier bis fünf Minuten. Ich hatte meinen Hut auf, Regenjacke und Regenhose an, Gummistiefel sowieso. Hat leider nicht gereicht: Als gerade der halbe Weg vorbei war, hat mein T-Shirt schon nass auf der Haut geklebt. Mann, hat das geschüttet. Der Uferweg unten am Barton Dam steht heute kräftig unter Wasser. Angeblich ist es der höchste Wasserstand seit je (der Staudamm ist übrigens schon mehr als 100 Jahre alt).

Vorhin nochmal mit Coco dagewesen. Sie fand’s ganz lustig, glaub ich.

Man kann wegen der Überschwemmung natürlich sagen: „So ein Pech auch – ausgerechnet jetzt während der Pandemie!“ Das stimmt. Die Umstände sind ungünstig. Dass so viel Wasser auf einmal kommt, ist auch doof. Man hat die ganze Sache einfach nicht kommen sehen. Dies hier ist übrigens der Lagebericht der Behörden vor Ort: Wenige Stunden vor dem Dammbruch war man sich noch sicher, dass mit den Anlagen soweit alles klar geht.

Aber andererseits.

Gibt’s ein paar Leute, die’s halt total haben kommen sehen. Vor zwei Jahren hat der amerikanische Berufsverband der Bauingenieure einen Lagebericht darüber abgeliefert, in welchem Zustand die Infrastruktur in Michigan sich befindet. Straßen, Stromleitungen, Brücken, Abwasserrohre und so Sachen.

Eines der Kapitel befasst sich mit den verschiedenen Staudämmen. Und da liest man dies:

  • Insgesamt haben die Staudämme in Michigan eine 3- bekommen. Nicht gerade eine Bestnote.
  • Es gibt im Staat ungefähr 2600 solcher Dämme. Also viele.
  • Die Dinger sind üblicherweise auf eine Lebenszeit von rund 50 Jahren ausgelegt.
  • Bis zum Jahr 2023 werden mehr als 80 Prozent aller Wehre das Alter von 50 Jahren überschritten haben. Das Haltbarkeitsdatum ist abgelaufen. Die Bausubstanz ist viel zu alt. Man müsste viele der Wehre abbauen und andere erneuern.
  • 271 Dämme stammen noch aus dem 19. Jahrhundert.
  • 140 der Wehre werden als „Hochrisiko-Dämme“ eingeschätzt. Das sagt nichts über ihren Zustand aus. Sondern darüber, dass es sehr schlimm wird, wenn die Dinger mal brechen sollten (die beiden Staudämme in Midland gehören genau zu dieser Hochrisiko-Kategorie; unser „Barton Dam“ übrigens auch).
  • Pro Jahr brechen in Michigan im Schnitt etwa zwei Dämme. Man kriegt es nur nicht mit, weil sie meist kleiner sind als die beiden, die gerade ihren Geist aufgegeben haben.
  • „Michigan“, so das Fazit, „muss weitere Fortschritte dabei machen, Dämme zu reparieren oder abzubauen.“ Sonst wird’s gefährlich für die Leute, die in der Nähe wohnen.

Das alles klingt schon mal wenig beruhigend.

Richtig übel wird die Sache aber, wenn man sich die Geschichte des Edenville Dam ansieht. Das ist der obere der beiden gebrochenen Dämme. Er befindet sich – wie 75 Prozent dieser Bauwerke – in Privatbesitz.

Am Edenville Dam wird Strom erzeugt. Vor zwei Jahren haben die Behörden den Betreibern aber die Lizenz entzogen. Die Begründung: Die Betreiberfirma habe „viele Jahre lang wichtige Lizenz- und Sicherheitsbestimmungen missachtet“. Die Firma habe das Projekt „13 Jahre lang“ dem Risiko einer Flutkatastrophe ausgesetzt. Wenn man die Tricks und Ausreden der Betreiber liest, kriegt man wirklich einen dicken Hals. Die Behörden sagen schon vor Jahren: Euer Damm hat bei starkem Regen nicht genügend Abflussmöglichkeiten, das ist gefährlich, das müsst ihr reparieren, sonst schalten wir euch ab. Die Firma sagt: Wenn ihr uns ausknipst, lassen wir die Anlage verrotten und dann geht hier gar nix mehr. Sie haben den Staat ganz einfach erpresst. Scheint zu klappen, wenn man auf kritischer Infrastruktur sitzt: Es gab wohl noch eine Alternativtaktik. Die Firma hat irgendwann gesagt: Okay, okay, wir geben nach, wir werden in Zukunft 50 Prozent unserer Einkünfte dafür ausgeben, den Damm in Ordnung zu bringen. Darauf haben die Behörden die nächste Genehmigung erteilt. Aber danach hat die Firma ihr Geld einfach behalten und so getan als wär nix. 2017 wollten sie dieselbe Nummer nochmal durchziehen, sind aber nicht damit durchgekommen. Im Übrigen beschreibt das Papier schon vor zwei Jahren genau das, was jetzt passiert ist: Wenn der Damm bricht, gehen in den Dörfern und der Stadt Midland die Lampen aus.

Der Dammbruch in Michigan war kein Zufall. Denn der Entzug der Lizenz hat natürlich den Damm nicht repariert. Vielleicht ist es besser, kritische Infrastruktur in öffentlicher Hand zu behalten? Das ist in den Sozialen Medien hier gerade eine der Sachen, die man lesen kann. Als Europäer kommt man sich sowieso vor wie ein Sozialist.

Dass das Mutterwerk von Dow Chemical sich im Überschwemmungsgebiet befindet, macht die Sache übrigens auch nicht besser.

Bin gespannt, wie die Gegend da oben aussieht, wenn alles wieder trocken ist. Heute war’s sonnig. Kein Regen angesagt. Immerhin.

Hier: Wie die für alle verlorene Pokerpartie um die beiden Staudämme im Detail abgelaufen ist.